Das Attentat auf die Bundeswehr wurde vor mehr als einem Jahr verübt. Nun starb ein Soldat an den Verletzungen, die er sich damals zuzog. Foto: dpa

Nur scheibchenweise dringen die Details des Luftschlags im afghanischen Kundus an die Öffentlichkeit. Ein deutscher Oberst erteilte den Befehl - war auch die Elite-Einheit KSK eingebunden?

Berlin - Nur scheibchenweise dringen die Details des furchtbaren Luftschlags vom 4. September im afghanischen Kundus an die Öffentlichkeit. Ein deutscher Oberst erteilte den Befehl - war auch die Elite-Einheit KSK eingebunden?

Die Generalstagung im Offiziersheim des Luftwaffenstützpunktes Köln-Wahn ist geprägt vom Grau dieses Tages. Kaum heben sich Asphalt und Himmel voneinander ab, so dunkel bewölkt ist der Himmel im Rheinland. Kein Strahlen nirgends - trotz der vielen Sterne auf den ebenfalls so trostlos grauen Uniformen der Bundeswehr-Generäle. Viele sind gekommen, vom Ein- bis zum Viersterner, um jenen Mann zu erleben, der Lichtgestalt sein soll und zugleich junger Hoffnungsträger für die Truppe - den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Doch auch der 38-Jährige schaut irgendwie grau aus, mitgenommen gar, "was vom vielen Aktenstudieren kommt", ätzt ein General, "aber das soll der mal machen, damit wir rauskommen aus dem Kundus-Schlamassel".

Der Kundus-Schlamassel. Fast täglich muss sich Karl-Theodor zu Guttenberg fragen lassen, was er tatsächlich zu welchem Zeitpunkt wusste von dem fatalen Luftschlag auf zwei entführte Tanklastwagen in Nordafghanistan. Der in dieser Region zuständige deutsche Oberst Georg Klein hatte in der Nacht zum 4. September zu entscheiden, mit welchen Mitteln, Waffen also, die Taliban bekämpft werden sollten, die die mit Benzin beladenen Lkw auf eine Sandbank manövriert hatten. Klein orderte zwei F15-Kampfjets und ließ Bomben werfen. Die Nato nannte den Einsatz später überzogen, untersuchte den Vorgang und zählt 142 Tote und Verletzte - darunter viele Zivilisten, auch Kinder und Jugendliche.

Ebenso meldeten eigene Berichte der Bundeswehr unbeteiligte Opfer, wurden aber unter den Teppich gekehrt: Entweder weil der damalige Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan sie vorenthielt oder weil Guttenbergs Vorgänger Franz Josef Jung sie ungelesen weiterreichte. Nun soll sogar die Elite-Truppe der Bundeswehr, das Kommando Spezialkräfte (KSK), an der Aktion beteiligt gewesen sein.

Das erklärt auch zu Guttenbergs fahles Gesicht bei den Generälen in Köln. Der Minister wird zum Getriebenen, die Fallhöhe, dieser Eindruck entsteht, wird bedenklich hoch. Schließlich war der CSU-Politiker aus Franken, dem nach seinem kurzzeitigen wie kurzweiligen Auftritt als Bundeswirtschaftsminister die ungeteilte Aufmerksamkeit sicher war, mit großer Vorschusslorbeer in den Bendlerblock gestartet. Transparenz und Offenheit versprach er bei der Aufklärung des Kundus-Desasters. Und nun das: tröpfchenweise Neuigkeiten und der fließende Eindruck, zu Guttenberg sage doch nicht all das, was er wisse, und beraube sich damit selbst seiner Glaubwürdigkeit. Nimmt das Informationsdesaster kein Ende, in dessen Folge Jung, Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert ihre Posten verloren? Der Deutsche Bundestag hat einen Untersuchungsausschuss beauftragt, Licht ins Dunkel zu bringen.

Er wird auch nach der Rolle des KSK fragen. Dass die Spezialtruppe im deutschen Feldlager Kundus einen eigenen Gefechtsstand unterhält, ist kein Geheimnis. Sie arbeitet zusammen mit der sogenannten Task-Force 47, einer deutschen Aufklärer-Einheit, "die mit dem Modernsten vom Feinsten ausgestattet ist" und Angriffe auf das Feldlager aufklären und verhindern soll. Die Task-Force 47 ist kein eigenständiger Trupp, sondern dem deutschen Isaf/Afghanistan-Mandat unterstellt.

Doch was ist davon zu halten, dass die KSK "offenbar maßgeblich beteiligt" war, wie Boulevardmedien berichten? Sicher ist, dass mindestens ein KSK-Soldat in jener Nacht mit im Gefechtsstand saß, als Klein die Führung der Operation Luftschlag übernahm. Der Spezialist führte Protokoll, "Tagebuch" sagen sie im Verteidigungsministerium dazu.

Sollten dagegen weitere KSK-Soldaten in der Task-Force 47 bei der Planung und Umsetzung des Luftschlags beteiligt gewesen sein, deutet vieles darauf hin, dass die Bundeswehrführung ein Eigenleben jenseits aller politischer Kontrolle entwickelt hat. So erklärte sich nämlich auch, warum der damalige Generalinspekteur Schneiderhan die Minister Jung und zu Guttenberg womöglich nicht über die Hintergründe der Militäroperation unterrichtete. Der Verteidigungsausschuss des Bundestags jedenfalls wusste bisher nichts über die Beteiligung von KSK-Soldaten an Planung oder Aufklärung des Luftschlags. Bis kommende Woche will zu Guttenberg herausfinden, ob und inwiefern die Elitetruppe eingebunden war - und das Parlament unterrichten.

Mit Hilfe der Task-Force wollte Oberst Klein die Lage der Tanklastzüge auf jener Sandbank aufklären und beobachtete aus dem Gefechtsstand die Live-Bilder, die die US-Kampfjets überlieferten. Er ging schließlich von einer "unbestimmten Zahl von Aufständischen" aus, die sich an den Lkw aufhielten. Auf den verschwommenen Schwarz-Weiß-Bildern markieren sich bewegende Punkte, wie viele Menschen sich dort aufhalten. Es fällt auf, dass es nicht 142 Punkte sind - so viele Opfer, wie die Nato später zählte, sondern zwischen 30 und 40 Punkte. Auch das wird der Untersuchungsausschuss zur Kenntnis nehmen.

Um 1:56 Uhr schlagen die beiden je 227 kg schweren Bomben auf. Die Stimmung im Gefechtsstand soll in den Stunden zuvor äußerst angespannt gewesen sein. Bei einem Anschlag war vor wenigen Tagen ein deutscher Soldat getötet worden, noch am Vortag wurden weitere verwundet. Am 5. September gab es weitere Verletzte im deutschen Kontingent. "Es waren besondere Umstände", beschreibt einer aus dem Feldlager die Situation damals.

Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) hatte zu Guttenberg am 6. November ebenfalls von vielen unschuldigen Opfern unterrichtet. Wie diese Zeitung erfuhr, hat aber auch das IKRK nicht mehr getan als die Nato auch: Die Hilfsorganisation befragte Afghanen in den Nachbarorten, die erzählten, dass es Tote und Verletzte gegeben habe. Die Toten selbst wurden den landestypischen Sitten entsprechend schnell begraben, so dass ihre Zahl nie genau beziffert werden konnte. Nur Forensiker könnten feststellen, unter welchen Umständen die Menschen ums Leben kamen. Die Anordnung zur Exhumierung - noch dazu aus Deutschland - ist angesichts der Empörung über den Luftschlag kaum denkbar.

Diese Details erörtert der Verteidigungsminister an diesem grauen Donnerstag auch mit seinen Generälen. Nicht alle in dem Kölner Offiziersheim sind ihm gewogen - nicht mehr. Einer meint: "Er hat sich nicht nur Freunde gemacht, als er so schnell den Generalinspekteur schasste, allein um Durchsetzungsfähigkeit zu demonstrieren." Jetzt müsse zu Guttenberg ein glückliches Händchen beweisen, wenn er Schneiderhans Nachfolger bestimme. Wer den Minister infrage stellt, wird da kaum Chancen haben. Entsprechend kleinlaut klingt der Sternenträger. Zu Guttenberg habe der versammelten Generalität eindringlich ins Gewissen geredet, sich eng mit ihm und der politischen Führung im Ministerium abzustimmen. Das Informationsdesaster, das unter Jung begonnen und in zu Guttenbergs Amtszeit gewirkt hätte, müsse schnellstmöglich analysiert und beendet werden. Ein mögliches Eigenleben werde er nicht hinnehmen.

Die Spannung zwischen Minister und Militär im Offiziersheim ist enorm. "Das ist eine tickende Bombe", sagt ein Teilnehmer. Die Generäle ergreifen die Flucht nach vorn, dringen auf Rechtssicherheit für sich und ihre Untergebenen. "Die Leute müssen wissen, dass es zu militärischen Konflikten mit einer größeren Anzahl Toter kommen kann." Wilfried Stolze ist Sprecher des Bundeswehrverbandes, der Gewerkschaf der Soldaten. Er ergänzt: "Wer sich heute für die Militärlaufbahn entscheidet muss abgesichert sein. Wir können nicht mit dem Staatsanwalt im Gepäck in den Auslandseinsatz gehen." Als zu Guttenberg die Generäle verlässt, ist es noch dunkler als es das Grau dieses Tages angedeutet hatte.