„Über Kunst“ heißt eine Gesprächsreihe unserer Zeitung zur gesellschaftlichen Bedeutung von Kunst. Gäste am Mittwochabend in der Galerie Parrotta in Stuttgart waren der jüngst mit dem Staatspreis für Bildende Kunst geehrte Elger Esser und Jürgen Walter, Staatssekretär im Kunstministerium.
Stuttgart – -
Ausgangsfragen
Was ist Malerei? Was Fotografie? Und wie definiert einer, der selbst malerisch fotografiert, den Unterschied? Elger Esser, 1967 in Stuttgart geboren, in Rom aufgewachsen und nach seinem Studium bei Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie seit den späten 1990er Jahren zu einem der bekanntesten deutschen Künstler avanciert, zeigt sich offensiv. „Jeder Maler würde aufschreien: Nein!“, sagt er auf die Frage von Nikolai B. Forstbauer, Kulturressortleiter unserer Zeitung, ob er seine fototechnischen Verfahren parallel zu malerischen Mittel einsetze. „Ich benutze nicht die selben Mittel wie die Malerei“, sagt Esser, „sondern fotografische Mittel, die einen malerischen Effekt entstehen lassen. Trotzdem habe habe ich mich von der Fotografie fortbewegt, schon zu Akademiezeiten.“
Der Preisträger
Vor wenigen Wochen ist der in Düsseldorf lebende Elger Esser mit dem Oskar-Schlemmer-Preis ausgezeichnet worden. Der Große Staatspreis des Landes Baden-Württemberg für bildende Kunst ist mit 25 000 Euro dotiert. Esser ist, nach der Malerin Katharina Grosse, der zweite Träger dieses Preises, dessen Verleihung jeweils von einer Ausstellung begleitet wird - in zweijährigem Wechsel in der Staatsgalerie Stuttgart und der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Dort ist seit dem 20. Februar eine Einzelausstellung Essers zu sehen. Nicht wenige der „Über Kunst“-Gäste kennen Elger Essers Schaffen jedoch aus einer Stuttgarter Ausstellung – 2009 präsentierte das Kunstmuseum Essers Fotografien. „Eigenzeit“ lautete der Titel, „zeitigen“ ist nun die Karlsruher Ausstellung benannt.
Tatsächlich scheinen Essers Bildwelten die Zeit aufzuheben, zeigen dabei aber nicht selten Motive, in denen ihr Vergehen präsent ist: historische Landschaften, Gemäuer, das Meer. Seine Fotografien wirken wie Gemälde von melancholischer Schönheit - aber weder will Esser der Malerei den Rang ablaufen, noch ist Schönheit sein Ziel.
Historische Linien
Esser sieht sich heute „weit eher als Lichtbildner denn als otokünstler“, hat sich angenähert an eine „Kunst mit Fotografie“, wie sie der Stuttgarter Sammler Rolf H. Krauss zu Beginn der 1990er Jahre skizzierte. Elger Esser zeigt sich hier vorsichtig. Dass Fotografie Kunst ist, gibt er zu bedenken, sei bis heute für manch einen Maler noch eine erschreckende Vorstellung.
Und Elger Esser? Er folgt der Debatte um den künstlerischen Wert seines Metiers gerne bis zurück zu Baudelaire und Delacroix. Die Frage nach den historischen Linien verbindet sich mit der Frage der Kontinuität im eigenen Werk.
Kunst als Versprechen
Wo aber beginnt es überhaupt, das eigene Werk? Elger Esser, der frühere Meisterschüler von Bernd Becher erinnert sich an eine Arbeitsfahrt mit Bernd Becher durch das Ruhrgebiet und an Bechers Satz: „Esser, „man sollte eine Geschichte zu erzählen haben.“ „Erst“, sagt Elger Esser auf dem „Über Kunst“-Podium, „habe ich das nicht begriffen. Aber es hat sich festgesetzt.“
Auch ein anderer Satz setzte sich fest, Konrad Klapheck sagte ihn zu Esser anlässlich einer frühen Ausstellung seiner Fotografien: „Jetzt sind Sie ein Leben lang dem abgegebenen Versprechen Ihrer Arbeit verpflichtet.“ Jene Geschichte, Verpflichtung auch, die seinem Werk Zusammenhalt gibt, liegt bei Elger Esser offenbar in der Konzentration auf bestimmte Inhalte, den Verzicht auf andere.
Das weite Feld
Esser hat einen weiten Kunstbegriff, er sagt: „Jedes Feld muss beackert werden in der Kunst. Die Gesellschaft bekommt immer die Kunst die sie verdient.“ Er wehrt sich gegen „Monokulturen“, ist sich aber klar darüber, dass sein eigenes Feld im Zusammenspiel von Landschaft, Zeitlichkeit, Erinnerung liegt. Dass das Ergebnis von Betrachtern als schön empfunden wird – für den Fotografen ist es eher Nebeneffekt: „Ich mache Bilder nicht der Schönheit halber“, sagt er. Schönheit, sagt er, entstehe in seinen Arbeiten durch den Ausschluss aller Elemente, die einen konkreten Zeitbezug aufweisen – „Autos“ etwa oder auch über die Kleidung ihrer Zeit verpflichtete Menschen. Natürlich gebe es jedoch Fotografen, Künstler, die Schönheit finden, in dem sie sich auf genau solche Elemente konzentrieren.
Der eigene Weg
Letzten Endes liegt für Elger Esser alles beim Künstler selbst. Die Schönheit auf seinen Fotografien, sagt er, sei immer auch eine gebrochene – ein „ungelöster Faktor“, eine Spur die weit zurückführen ist. In seinem Fall bis in die Kindheit, die er in Rom erlebte. „Man kann nicht mit 35 beschließen, Künstler zu werden“, sagt Esser, „da ist schon viel zu viel passiert, zu viel vorgegeben und eingeordnet. „Man braucht eine atemberaubende Naivität, um in die Kunst hinein zu rutschen“, sagt er – und bleibe in der Folge „in aller Konsequenz auf sich selbst zurückgeworfen.“
Kunst braucht Förderung
Braucht Kunst nicht aber auch Begleitung, Förderung? Elger Esser hat international gelehrt – und er sieht vor allem nach Erfahrungen in Spanien und Italien manch schnelle Förder-Forderung differenzierter. „Im Grunde“, sagt Esser, „ist ja schon das finanziell freie Studium an einer Kunstakademie ein Geschenk“. Das, sagt er weiter, umso schwerer wiegt, als die Freiräume an deutschen Kunstakademien noch immer „weitaus größer sind“ als in anderen europäischen Ländern.
Es ist an diesem „Über Kunst“-Abend der Moment, Jürgen Walter auf die Bühne zu bitten. Seit 2011 ist der vormalige kulturpolitische Sprecher der Grünen im Stuttgarter Landtag Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Welche Rolle spielt ein „Staatspreis“ in der Förderpolitik – und welche Möglichkeiten gäbe es , um etwa auf die schnell steigenden Mietpreise für Ateliers zu reagieren?
„Für die Frage der Künstlerateliers wäre ein Zusammenspiel von Land und der jeweiligen Stadt nötig“, sagt Walter. Und betont den „Signalcharakter“, der mit dem Schlemmer-Preis „und vor allem der mit der Auszeichnung verbundenen Ausstellung verbunden ist“. Als Gegenprogramm will Walter die Projektförderung über den durch das Land etablierten Innovationsfonds Kunst nicht verstanden wissen. Die Frage sei zum Beispiel vielmehr, „wie bekommen wir noch mehr Mittel für die vielen und hoch engagierten Kunstvereine im Land frei“.
Kein Ausverkauf
Den Kunstpolitiker Jürgen Walter fordert aktuell auch eine bundesweite Debatte – das neue Kulturgutschutzgesetz. Von Bundes- Kulturtsaatsministerin Monika Grütters (CDU) Mitte 2015 vorgelegt, ist es nun in erster Lesung in den Bundestag eingebracht. Begleitet von harter Kritik vor allem von Seiten des international tätigen Kunsthandels, aber auch von manch spektakulärem Abzug von Leihgaben aus öffentlichen Sammlungen. Der Grünen-Politiker Jürgen Walter stützt das Gesetzesvorhaben. Warum? „Man sollte das gelassener diskutieren“, sagt Walter. „Diese Gesetze gibt es schon seit Jahrzehnten. Und sie gelten in der jetzt für Deutschland erarbeiteten Summierung in unseren europäischen Nachbarländern bereits.“ Wird aber nicht Forschung schwieriger, wenn Sammler die Wege von ihnen verkaufter Arbeiten nicht mehr offenlegen? „Hierfür sehe ich keine Anhaltspunkte“, sagt Walter – „im Gegenteil“: „Über alle Bundesländer hinweg ist die gemeinschaftliche Provenienzforschung heute selbstverständlich“. Und dies schaffe Vertrauen gerade auch bei den Privatsammlern und im Handel.
Für Elger Esser ist die „Überreaktion“ mancher prominenter Künstlerkollegen auf das weiter zu diskutierende Kulturgutschutzgesetz zuletzt Anlass, zur Frage der Künstlerförderung zurückzukehren. „Kunst muss gefördert werden – aber sie sollte nicht getragen werden“, sagt Esser. Dass er selbst, nun Träger des Großen Staatspreises für Kunst, darüber zum „Staatskünstler“ werden könnte, glaubt er nicht. „Es wird mir nicht passieren, dass ich in diese Rolle hinein rutsche“, sagt er. Und ergänz lachend: „Ich bin ganz froh, dass ich dieses Amt in zwei Jahren wieder abgeben darf.“