Teststrecke von Siemens in Berlin: Hier fahren schwere Lastwagen mit Strom. Foto: Siemens AG

Siemens glaubt an die Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs, bei Daimler keine Überzeugung.

Berlin - Es klingt utopisch. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen schlägt vor, Autobahnen mit Oberleitungen zu versehen, damit der Lkw-Verkehr elektrifiziert ablaufen kann.

„Nein, wie soll das denn funktionieren? Das kann doch nicht klappen!“ Als Karlheinz Schmidt von der Idee zum ersten Mal hörte, reagierte er, wie die meisten Menschen reagieren, wenn sie mit einer kühnen Zukunftsvision konfrontiert werden – mit einem gehörigen Schuss Skepsis. Zumal Schmidt vom Fach ist und weiß, wovon er redet. Er ist der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr. Und dass Lastwagen einfach mal Zug spielen und ihre schwere Ladung elektrisch und durch Kontakt mit einer Oberleitung angetrieben auf der Straße transportieren – das wollte ihm nicht in den Kopf.

In Großdölln betreibt Siemens eine Pilotstrecke

Jetzt denkt er anders, denn er war in der Uckermark. Dort hat er selbst gesehen, dass es funktioniert. In Großdölln betreibt Siemens eine Pilotstrecke. Das Projekt nennt sich „Enuba“ und wurde vom Bundesumweltministerium in den Jahren 2010 und 2011 mit über zwei Millionen Euro gefördert, inzwischen läuft Enuba II. In der technischen Sprache der ministeriellen Planer hieß das Ziel, „den elektrischen, fahrdrahtgebundenen Betrieb schwerer Nutzfahrzeuge für den Straßengüterverkehr zu untersuchen und die technische Realisierbarkeit des Systems auf einer Teststrecke zu demonstrieren“.

Das Ergebnis kann man so beschreiben, wie es Karlheinz Schmidt tut: „Ich bin fasziniert. Es funktioniert. Es gibt auch beim Überholen kein Rütteln und Schütteln, ganz sanft, wegen der Hybridtechnik. Wenn der Lkw den Kontakt zum Fahrdraht verliert, springt der Dieselantrieb ein.“ Oder so, wie es in einer offiziellen Broschüre des Ministeriums heißt: „Insgesamt konnte auf der Teststrecke die technische Machbarkeit des gewählten Systems aus Fahrzeug, Fahrleitungssystem und Energieversorgung zur Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs nachgewiesen werden.“ Aber dann schleicht sich selbst in die staubtrockene Beamtenprosa ein Hauch Euphorie: „Mit dem Projekt Enuba wurde der Grundstein für ein neuartiges, ökologisch orientiertes Güterverkehrskonzept gelegt.“

Die Nachricht kommt zur rechten Zeit, denn zwei Entwicklungen machen allen Umweltexperten große Sorgen: Die Verkehrsleistung wird in Tonnenkilometern gemessen. Sie liegt heute insgesamt im Güterverkehr bei 620 Milliarden Tonnenkilometern. Etwa 70 Prozent entfallen dabei auf den Verkehrsträger Straße. Bis zum Jahr 2050 wird sich dieses Volumen nach seriösen Prognosen verdoppeln. Von 2008 bis 2050 werden sich zudem die CO2-Emissionen von 67,5 Millionen Tonnen auf dann 120 Millionen Tonnen erhöhen. Das ist grotesk, denn soll das Klimaziel der Bundesregierung bis 2050 verwirklicht werden, dann dürfte der Ausstoß bis dahin nicht über zehn Millionen Tonnen liegen. Es besteht also – milde ausgedrückt – Handlungsbedarf. Am Montag stellt der Sachverständigenrat für Umweltfragen sein Jahresgutachten vor. Die Ratgeber der Bundesregierung empfehlen darin, „der leitungsgebundenen Elektrifizierung des Güterverkehrs Priorität“ einzuräumen.

Aber, zweiter Einwand, die Kosten dafür sind doch uferlos

Aber wie soll das denn funktionieren? Da ist sie wieder – die Frage von Karlheinz Schmitt. Man kann doch nicht im Ernst alle Autobahnen mit elektrischen Oberleitungen versehen. Doch, kann man, sagt der Sachverständigenrat. Er findet, dass ein solches Trolley-Truck-System recht „einfach ins bestehende Fernstraßensystem integriert werden“ kann. Zusätzliche Fahrspuren seien nicht erforderlich, „wenn bei dreispurigen Fahrbahnen, wie auf den Hauptstrecken der Autobahnen, die rechte Fahrspur mit Oberleitungen ausgestattet wird“. Zu denken sei zunächst „an eine Elektrifizierung aller einstellig nummerierten Autobahnen (A 1 bis A 9)“.

Aber, zweiter Einwand, die Kosten dafür sind doch uferlos. Einige Studien haben versucht, einen ersten Richtwert zu ermitteln. Die jüngste kommt aus Schweden und errechnet für die Leitungskosten 1,1 Millionen Euro pro Kilometer. Andere Berechnungen kommen auf 2,5 Millionen Euro pro Kilometer. Der Sachverständigenrat rechnet so: „Geht man überschlägig davon aus, dass die Hauptmagistralen mit dem größten Verkehrsaufkommen über elektrische Oberleitungen versorgt werden, ergäben sich bei einer Länge von 5700 Kilometern Investitionskosten von 14,25 Milliarden Euro als oberster Wert.“ Karlheinz Schmitt vom Bundesverband Güterkraftverkehr lässt sich vom Kostenargument nicht abschrecken. Ein Netzbetreiber mit Konzession könne das gut machen, findet er. „Das ist amortisierbar.“

Das Projekt hat bereits international für einige Aufmerksamkeit gesorgt

Jedenfalls glaubt wohl auch Siemens an ökonomische Chancen. Das Projekt hat bereits international für einige Aufmerksamkeit gesorgt. In Los Angeles ist man von der neuen Idee angetan. Siemens nennt sein Produkt „eHighway“ und solch eine „elektrische Autobahn“ könnte Los Angeles für seinen Hafen-Hinterlandverkehr gut gebrauchen. Eine US-Studie hat gezeigt, dass das Siemens-Modell die lokalen CO2-Emissionen drastisch reduzieren könnte.

Ein Siemens-Sprecher sagte unserer Zeitung, die Tests hätten gezeigt, „dass das e-Highway-Konzept technisch machbar ist“. Es sei „vor allem auf von Lkw hochfrequentierten Strecken sinnvoll“. Das Unternehmen weist darauf hin, dass auch die schwedische Regierung schon über die Elektrifizierung von Lkw-Transportstrecken nachdenke. Bei Daimler beurteilt man die Sache anders. „Wir haben das diskutiert und davon Abstand genommen“, sagte ein Sprecher auf Anfrage unserer Zeitung. „Wir werden uns da nicht beteiligen.“

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen drängt die Politik. Sein Chef, Professor Martin Faulstich, sagt: „Die Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs ist ein spannendes Projekt. Damit können Klimaschutz, Innovation und zukunftsfähige Investitionen zusammengeführt werden. Das Bundesverkehrsministerium sollte das Thema ernsthaft vorantreiben.“