Elefant in der Wilhelma Foto: Leserfotograf karen75

Klug, weise und verständiger als alle anderen Tiere: der Elefant. Haben Mensch und Dickhäuter etwas gemeinsam? Ein Tag bei den Elefanten in der Wilhelma hat uns der Weisheit ein Stück näher gebracht.

Stuttgart - Die Tür zum Elefantenhaus ist geöffnet, die Luft angefüllt mit Wärme, Schlaf und schweren Träumen. 7.45 Uhr, für die Elefanten in der Wilhelma, „Zella, 1967“ und „Pama, 1966“ laut Namensschild an der Betonwand, ist es schon länger Tag. Zella wiegt Kopf und Oberkörper heftig hin und her, an Pama hantiert der Pfleger. Kurzer Begrüßungsruf über den tiefen Graben hinweg, der sicherheitshalber die Zoobesucher vom Stall der Zootiere trennt. Der Hall verwirbelt die Wörter.

Ich schaue den Elefanten zu, das ist die Idee. Sehen, was es zu sehen gibt. Was zeigen sie mir? Worauf lenken sie den Blick? Zuschauen ist geschehen lassen, sich führen lassen. Zur Vorführung wird es erst im Blick des Zuschauers. Kann man Wildtiere unvoreingenommen beobachten, wenn man Bilder von früher und aus hollywoodreifen Tierfilmen im Kopf hat und man ja weiß, dass der Mensch ihr Überleben auf der Erde zusehends gefährdet? Ist es die Schaulust am Objekt, oder suche ich etwas im Elefanten, das ein Teil von mir ist?

Elefantin Zella bemerkt den Besucher, sie kommt näher. 7.50 Uhr, um diese Zeit ist kein Fremder hier, sonst käme sie nicht, es wäre ihr schnuppe. Ihr Rüssel reicht über den Graben, sie schnuppert, fingert nach mir, bläst mich mit ihrem warmen Atem an. Ein leicht süßlicher Geruch, nicht unangenehm. Zella hat mich, den Mann am Morgen, gerochen. Er spricht mit ihr in einem Ton, der Katzen schmeichelt. Ob eine Elefantin darauf anspricht? Der sanfte Ton ist ein Schutz, den Rüssel könnte er berühren, ihm mit der Hand einen Klaps geben, so wie der Pfleger, offenbar ein Zeichen, dass alles gut ist. Er traut sich nicht. Zella hat genug gehört und geschmeckt. Sie wendet sich ab – und ihren wiegenden Wiederholungsbewegungen zu. Eine Verhaltensstörung bei Zoo- und Zirkustieren, „Weben“ genannt, hatte ich auf der Fahrt gelesen.

Virtuos, diese betagte Elefantendame

Der Pfleger wirft Äste herein, zwei bis drei Meter lang, „Beschäftigungsfutter“; beim Bärenschlössle im Rotwildpark, einem Naherholungsgebiet der Stuttgarter Menschentiere, wöchentlich abgeholt. Der Rüssel greift zu, legt sich den Zweig zurecht. Es knackt und knallt in der Halle. Der Rüssel rupft zuerst die dünnen Zweige, dann die dickeren Teile, es geht sauber und systematisch von dünn nach dick. Zella hat eine ausgefeilte, blitzsaubere Technik: Im eingerollten Rüssel bricht sie den Ast in immer kleinere Stücke, mühelos, wirft sie kurz hoch, um sie neu zu sortieren, und zwar so, dass sie noch kleinere, maulgerechte Portionen erhält; und nichts fällt zu Boden, nicht das kleinste Stück. Virtuos, diese betagte Elefantendame. Wenn man unsereins beim Essen zusieht, meine Güte.

Pamas Technik ist großzügiger, gieriger; sie stopft längere Zweige, vom Rüssel halbwegs gebündelt, ins Maul, nicht immer der Länge nach, wie Zella, auch quer soll es hinein in den rosafarbenen Schlund, wo die dickfleischige Zunge immer schon wartet. So gleichförmig und rasch, als treibe ein Motor den Rüssel an. Pamas Trick: Die dicksten Äste stellt sie in einem bestimmten Winkel an die Stallwand und tritt krachend mit dem Fuß darauf. Es funktioniert mit jener Selbstverständlichkeit, mit der eine darin geübte Person Feuerholz macht.

In meinen Augen fauler als Zella, doch nicht weniger intelligent, beißt Pama die nicht ganz so dicken Äste entzwei, lässt sie kurzerhand fallen, statt sie im Rüssel artistisch zurechtzumodeln, der sie greift und geschwind zwischen Nase und spitz zulaufender Unterlippe ins Maul schiebt, unersättlich, unentwegt. Dann und wann bricht sich Pama entspannt ein Stöckchen zurecht und kratzt sich damit an der Brust, zwischen den Vorderbeinen, bevor es im Orkus verschwindet.

Pama führt Körperpflege vor

8.40 Uhr. Baden, Duschen. So lange wie möglich im warmen Wasser liegen, sich vom Pfleger mit dem Wasserschlauch von oben bis unten, auch die Fußsohlen, abspritzen lassen. Pama führt Körperpflege vor: Körper seitlich, auch das Hinterteil, an der Betonwand schaben. An den Stahlseilen, die Pamas Stallgeviert von dem Zellas trennen, die Beine innen und außen trocken reiben und die abgestorbenen Hautzellen entfernen, auch Rüssel (innen) und die Fußsohlen müssen sein. Pama benützt das Stahlseil wie ein raues Handtuch. Dann trocknet sie mit dem Rüssel Bauch, Beine, Brust, die kleinen Ohrlappen (Asiatischer Elefant). Mit einem Schnipsel reinigt sie ein Auge. Der Reisigbesen des Betreuers wischt die letzten Wassertropfen vom Höcker am Kopf und aus den Hautfalten. Zella legt mehr Wert auf Tischmanieren als auf hygienische Maßnahmen (schon wieder diese Vermenschlichung der Tiere im Sprachverhalten!).

Das Panzernashorn Bruno von nebenan liegt, mit gelegentlich zuckendem Ohr, wie tot im Bad. eine Stunde oder länger, dann erhebt es sich, steigt mit der Würde eines Großmoguls, wie im Halbschlaf also, die Stufen hoch; zweimal schießt Majestät einen fast waagrechten Strahl ins Wasser. Spatzen fliegen durch, bei den Nashörnern ist für sie mehr zu holen als bei den reinlichen Elefanten. Elefantöse Kothaufen aus vielen Kotbollen, der einzelne bis zu zwei Kilogramm schwer, kollern auf den Boden; Schubkarre und Schaufel für den Abtransport des faserigen, trockenen, im Darm eckig oder rund gepressten Dungs stehen bereit.

Der Pfleger kippt Futter aus dem Schubkarren auf den Boden, sogenanntes Müsli, gequetschte und eingeweichte Gerste und Kleie. Gegen Abend Gemüse. Fußpflege während des Essens. Die Pflegerin reibt mit der in Pferdefett getunkten Wurzelbürste Nagelbett und Zehennägel ab. Pama und Zella trinken gurgelnd aus dem Wasserschlauch am Boden.

Der Rüssel funktioniert wie ein Teppichklopfer

Markus Koch, der Pfleger, hängt über jedem Elefanten ein mit Heu prall gefülltes Netz auf. Zella rüttelt, rupft, zupft, zieht Halme heraus. Pama schlägt dagegen, der Rüssel funktioniert wie ein Teppichklopfer. Heu rieselt, es staubt. Der Elefant pustet ihn weg, der Zoobesucher schnäuzt in sein Papiertaschentuch. Mit dem Rüssel fegen sie das Heu zu Häufchen zusammen. Der Rüssel ist an der Spitze schneckenförmig zusammengerollt. Der Rüssel ist ein Besen. Bei großen Ästen eine Würgeschlange. Kurz vor zwölf stehen die alten Elefantendamen am Ausgang.

Draußen, im Sand, bewegen sie sich mit der schwingenden Eleganz von Kolossen. Schwerelos erscheint ihr Gang auf vier Säulen, geerdet durch das Gewicht des massigen Körpers. Ein Gang wie auf Luftkissen, als benötige das klumpfüßige Tiere keine Gelenke zur Fortbewegung.

Wieder Äste. Sorgsam verstreut der Pfleger gepresste Heubonbons im Gelände. Zella findet eine Eisschicht auf einer gefrorenen Pfütze, dünn wie Glas, das splittert und in die unersättliche Öffnung wandert, den gierigen Schlund, nur dazu da, ständig Brennstoff zu schlucken, wie der Kessel einer Dampflokomotive.

Zella webt an ihrer uralten Erzählung

Wenige bleiben stehen, sagen nicht viel. Junge Eltern mit Kinderwagenkindern, Großeltern mit Enkeln auf dem Weg ins nahe gelegene Menschenaffenhaus. Zwei Rüssel kriechen wie Raupen über die Felsen, streichen über den Sand. So ein Rüssel ist Hand, Trompete, Nase, Wasserspritze und Saugrohr. Werkzeug und Waffe. Antenne und Suchmaschine. Eine Sonde im Sand. Pama gibt nicht auf, bläst Sand unter und über sich. Reibt den sandigen Rüssel an der Lippe, malt Kringel in die Luft. Sie sucht im Sand – und was sie sucht, wird sie in diesem Leben nicht finden. Zella, in Wahn und Wiegeschritt gefangen, tanzt sich mit offenem Maul in Ekstase. Sie webt an ihrer uralten Erzählung. Sind es die Hirngespinste des Beobachters? Traurigkeit liegt über der Szene. Ein Zoos ist nicht unbedingt ein Hort der Lebensfreude.

Kurzes Aufwärmen im Haus der Affen. Die Affen schlafen, sitzen, träumen im Leerlauf des Mittags. Die Wände spiegeln.

Zartblauer Himmel, dünne Wolken, die Temperatur kurz über null. Traktoren dröhnen, Polizeisirenen toben, Verkehrslärm von der Pragstraße rauscht um den Elefantenhügel. Die Elefanten sind in eine falsche Zeit geraten. Ist einer sentimental, der das so sieht?

Man kann Elefanten nicht fühllos, mit kalten Augen, anschauen. Woher die Gefühle kommen, ob es eine Verbindung zwischen uns gibt, haben andere, Berufenere erlebt, die jahrelang Elefanten in Nationalparks beobachtet, mit ihnen gelebt, sie auf ihren weiträumigen Wanderungen begleitet und die elefantische Art der Verständigung studiert haben.

Fast wie die wabernden Reden des Präsidenten

Vielleicht ist es so, wie der Philosoph Markus Gabriel am Ende seines Buches „Warum es die Welt nicht gibt“ schreibt: „Wir befinden uns alle gemeinsam auf einer gigantischen Expedition – von nirgendwo hier angelangt, schreiten wir gemeinsam fort ins Unendliche.“ Schön gedacht, pathetisch gesagt. Fast wie die wabernden Reden des Präsidenten.

s Die Elefanten hören es wohl. Allein ihnen fehlt der Glaube. Das „Weben“ der Tiere, als Bild und Bewegung, hallt, wenn man so will, lange nach. Dieses Wiegen und Weben erscheint wie ein Tanz. Und ist doch ein Zwang. Auch die Elefanten leben die Wiederholung.