Kerstin Thomas zittert im Wasser – obwohl sie regelmäßig im Kalten übt, sind 6,6 Grad eine Herausforderung. Foto: Eva Herschmann

Kerstin Thomas will im Februar im slowenischen Bled ihren Titel über 200 Meter in ihrer Altersklasse im kühlen Wasser verteidigen. Dafür zieht sie regelmäßig im Plüderhausener See ihre Bahnen.

Fellbach - Wie eine Weltmeisterin sieht Kerstin Thomas nicht aus. Die 49-Jährige steht im Badeanzug im seichten Wasser des Badesees in Plüderhausen, der an diesem kühlen Herbstsonntagmorgen wie ausgestorben wirkt, und zittert. Im Sommer tummeln sich hier die Badegäste, bei Wassertemperaturen von 6,6 Grad sind Kerstin Thomas und ihre Trainingsgefährtin Katja Hechel unter sich. Doch die Schwimmerin will ihren Titel verteidigen, und dafür muss sie trainieren. Vergangenes Jahr gewann sie bei den Weltmeisterschaften im Hafenbecken von Tallinn in Estland über 200 Meter in ihrer Altersklasse.

1000 Meter ist die magische Grenze beim Eisschwimmen

Doch noch zögert die routinierte Eisschwimmerin. „Bei den Temperaturen spürst du jedes Grad“, sagt Kerstin Thomas, die bei der Sportlerehrung der Stadt Fellbach mit dem goldenen Ehrenblatt ausgezeichnet wurde und für die SG Schwarzwald-Baar-Heuberg startet. Sie fügt hinzu: „Im Training bin ich beim Reingehen eine richtige Diva.“ Im Wettkampf kennt sie allerdings keine Gnade. Wovon ihre Konkurrentinnen mit klappernden Zähnen ein Liedchen singen können. Vor dem Titelgewinn in Tallinn war Kerstin Thomas bei den Weltmeisterschaften 2017 in Burghausen Zweite über 1000 Meter in ihrer Altersklasse. „In dem Jahr war ich die Dreizehnte der Weltrangliste, die ohne Altersklassen gewertet wird. Mittlerweile sind einige Jüngere und Schnellere dazu gekommen. Aktuell stehe ich auf Platz 26“, sagt die 49-Jährige. 1000 Meter ist die magische Grenze beim Eisschwimmen und die längste Strecke, die bei internationalen Titelkämpfen geschwommen wird.

Kerstin Thomas testet ihre Fitness bei den 6. Ice Swimming Aqua Sphere German Open

Zwei Dachorganisationen, der Internationale Verband für Winterschwimmen (IWSA) und die International Ice Swimming Association (IISA), veranstalten die Wettbewerbe. Die nächsten Weltmeisterschaften finden im Februar 2020 im slowenischen Bled statt. Mehr als 100 Teilnehmer werden dann voraussichtlich am Start sein, denn die Gemeinde ist gar nicht so klein, wie man meinen könnte. Und auch Kerstin Thomas wird mit dabei sein. Sie startet über 200, 450 und 1000 Meter. Vor der Weltmeisterschaft wird sie ihre Fitness aber noch vom 4. bis zum 6. Januar bei den deutschen Meisterschaften, den „6. Ice Swimming Aqua Sphere German Open“, im Veitsbad in Veitsbronn bei Nürnberg testen.

Kerstin Thomas in Aktion. Foto: Privat

„Als Eisschwimmerin muss man ein bisschen durch die Welt fahren“, sagt die gebürtige Hamburgerin. Sie ist in der Amstel in Amsterdam geschwommen und in der zugefrorenen Neva, die durch St. Petersburg fließt. „Die Eisschicht war bis zu 40 Zentimeter dick, für die Wettkämpfe wurde ein Becken gesägt“, erzählt sie.

Mit schnellen Schritten steigt die Eisschwimmerin in die Kälte

Wo immer sie schwimmt, die gelbe Badekappe ist ihr Markenzeichen. Auch im Training steigt sie nie ohne die knallige Kopfbedeckung ins eiskalte Wasser. Ebenso wie diese gehört aber auch eine orange, aufblasbare Boje zu ihr, die sie hinter sich herzieht und die mit einer Kordel um ihren Bauch gebunden ist. Als Ärztin weiß Kerstin Thomas, dass sie als Extremsportlerin vorsichtig sein muss. Wer lange im kalten Wasser bleibt, der bringt den Körper in Grenzbereiche. Deshalb ist es wichtig, sich nach dem eisigen Bad so schnell wie möglich so warm wie möglich einzupacken. „Irgendwann zittert man so, dass man nichts mehr machen kann. Auch nicht reden“, sagt Kerstin Thomas.

Die Zeit des Zauderns ist vorüber. Mit schnellen Schritten steigt die Eisschwimmerin in die Kälte. Gut elf Minuten zieht sie ihre Runden durch den See. 600 Meter legt sie in dieser Zeit in etwa zurück. „Bis 500 Meter ist es nicht schlimm“, sagt sie. Im Gegenteil. Ein eisiges Bad von drei bis vier Minuten trägt zum Wohlempfinden bei. „Das kann ich jedem nur raten“, sagt sie.

Eisschwimmen kann geradezu süchtig machen

Wenn die Extremsportlerin nach 1000 Meter und etwas mehr als einer Viertelstunde aus dem Wasser kommt, ist sie hingegen eingefroren. „Es ist einfach nur kalt, alles tut weh, und es brennt richtig“, sagt sie und steckt nach dem Bad ihre Füße in eine Isoliertasche mit Wärmflaschen. Heißer Tee und Kuchen helfen außerdem, die Lebensgeister wieder zu wecken. Eisschwimmen kann geradezu süchtig machen, heißt es. Der Körper setzt beim Eintauchen ins kalte Wasser Adrenalin und Endorphine frei, die Glücksgefühle auslösen. Das Wechselbad der Temperaturen verleiht zudem einen schönen rosigen Teint und man verbraucht viel Kalorien, weil der Körper die Wärme, die ihm das kalte Wasser entzieht, ersetzen muss. Kerstin Thomas, die wie viele andere mit sechs Jahren im Schwimmverein angefangen hat, hat weitere Gründe für einen Sport, der bei vielen nur Kopfschütteln auslöst. „Ich mache es, weil ich gut darin bin, aber auch, damit man sagen kann, dass man es gemacht hat. Aber 1000 Meter sind schon eine Quälerei“, sagt sie, während sie eingemummelt in mehreren Jacken auf einer Bank sitzt, zittert und über den Plüderhausener See blickt.