Sie sagt, wo es langgeht: Jessica Campbell mit Samuel Soramies (li.) Foto: imago/Lehtikuva

Die Kanadierin Jessica Campbell ist Assistentin von Bundestrainer Toni Söderholm – und damit die erste Frau in einem Trainerteam bei einer WM der Männer.

Die Frau fällt auf. Nicht unbedingt wegen ihrer Erscheinung, sie misst lediglich 166 Zentimeter und bringt gerade mal 62 Kilogramm auf die Waage. Aber wenn eine Frau bei einer Eishockey-WM der Männer hinter den Spielern an der Bande auftaucht, weckt das Aufmerksamkeit. Denn eigentlich sind die Posten der Funktionäre und Trainer in der harten, körperbetonten Sportart Eishockey von nicht minder harten Kerlen besetzt. Jessica Campbell ist da die Ausnahme. Die Kanadierin ist die erste Frau, die bei einer Männer-WM als Mitglied eines Trainerstabes an der Bande steht – die 29-Jährige ist Co-Trainerin von Bundestrainer Toni Söderholm.

Auch im Gruppenspiel der deutschen Mannschaft am Sonntag gegen Kasachstan ging Jessica Campbell ihrer Aufgabe nach – allerdings tat sich das Team um Kapitän Moritz Müller gegen das Schlusslicht über 60 Minuten schwer. Am Ende stand ein 5:4 (3:2, 1:1, 1:1) durch Treffer von Jonas Müller (5.), Leo Pföderl (17.), Daniel Fischbuch (19.), Lukas Reichel (26.) und Yasin Ehliz (48.).

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Nun ist der Deutsche Eishockeybund (DEB) bislang nicht als Verband aufgefallen, der bei der Emanzipation der Frau auf dem Eis als Kämpfer an vorderster Front galt, aber der Schritt, die Eishockey-Fachfrau aus der Provinz Saskatchewan zu verpflichten, fand als Pionierleistung internationale Beachtung. In Nordamerika wurden bislang nur einige wenige Frauen von NHL-Clubs eingestellt, sie kümmern eher um Scouting, Analysen und die Arbeit hinter den Kulissen; 2020 stattete der Schweizer Topclub SC Bern Florence Schelling mit einem Vertrag als Managerin aus – doch die Spielerbank blieb eine frauenfreie Zone. Toni Söderholm musste im Vorfeld der WM deshalb die eine oder andere Frage beantworten, warum in seinem Trainerstab eine Frau in dieser bisherigen Tabuzone auftauche. Der Finne konterte offensiv. „Ich halte das für völlig normal“, entgegnete der 44-Jährige mit erzieherischer Miene, „wenn Sie in ein Flugzeug steigen und sich eine Frau als Kapitänin aus dem Cockpit meldet, dann steigen Sie doch auch nicht wieder aus, oder?“ Damit war in Sachen Frauen in sogenannten Männerberufen alles gesagt. „Wenn man in die Kabine kommt, muss man mit Kompetenz überzeugen“, sagte Kapitän Moritz Müller, „und sie hat sofort überzeugt.“

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Jessica Campbell sieht sich dabei nicht als Speerspitze der Gleichberechtigung. „Ich konzentriere mich aufs Coachen“, betont die Nordamerikanerin , „wenn ich so anderen Frauen den Weg ebne, ist das schön, aber nicht meine Hauptaufgabe.“ Die Verbesserung des Teams sei ihre Pflicht, und zwar kollektiv wie individuell. Dass die blonde Frau mit dem Pferdeschwanz eine ausgemachte Expertin ist, steht außer Frage. Sie kennt sich seit Kindertagen aus mit Schläger und Puck, spielte in Ligen in Nordamerika und Schweden, wurde mit dem kanadischen Team 2015 Vizeweltmeisterin. Als Lauf- und Techniktrainerin hat sich die Kanadierin einen Namen gemacht, sie arbeitet für NHL-Profis und ein Nachwuchsteam aus Chicago.

Stefan Ustorf, der Sportdirektor der Nürnberg Ice Tigers, hörte davon und holte sie im Frühjahr für ein paar Wochen nach Franken, wo sie mit ihren Methoden überzeugte. Die Frau unter Männern assistierte einige Male dem Nürnberger Chefcoach Tom Rowe, der – und so fügt sich das eine ins andere – ebenfalls zum Trainerstab von Söderholm zählt. „Wir haben schnell festgestellt, dass wir ziemlich ähnlich denken, wie Eishockey gespielt werden sollte“, erzählt die Assistentin, die nicht überrascht war, dass sie den Job bekommen hat. „Ich glaube an mich und meine Fähigkeiten“, sagt Jessica Campbell, „egal, wo du herkommst, wer du bist, welches Geschlecht du hast – wenn du gut bist, solltest du Erfolg haben. Denn am Ende des Tages sprechen wir alle über Eishockey.“