Foto: picture alliance / dpa

Lehrerverbände und Parteien sind erstaunt über die plötzliche Vorliebe von Susanne Eisenmann für ein bundesweites Zentralabitur. Doch die Kultusministerin will vor allem keinen nationalen Bildungsrat.

Stuttgart - Mit den bundesweiten Aufgabenpools haben Abiturienten und ihre Lehrer auch in diesem Jahr nicht die besten Erfahrungen gemacht. Besonders die Mathematikprüfung wurde vielfach als zu schwer kritisiert. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) bezeichnet den gemeinsamen Aufgabenpool, der seit 2017 eingesetzt wird, zwar als ersten Schritt in die richtige Richtung, doch das Ziel, mehr Vergleichbarkeit, werde nicht erreicht. „Das diesjährige Abitur hat gezeigt, dass wir sehr weit entfernt von einem vergleichbaren Abitur sind“, sagt Eisenmann und ergänzt: „Wenn einzelne Länder die Benotung anpassen, weil die Aufgaben zu schwer waren und andere Länder ankündigen, dass sie sich ganz aus dem gemeinsamen Weg verabschieden, dann ist es Zeit, dass wir uns ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzen.“

Wie berichtet, macht sich Eisenmann stattdessen für ein bundesweites Zentralabitur stark, das in fünf bis zehn Jahren eingeführt werden soll. Das hat ihr von allen Seiten Kritik eingebracht.

GEW wirft Ministerin Populismus vor

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) spricht von einer „erneuten populistischen Forderung, die den Gymnasien in Baden-Württemberg nicht weiterhilft“. Die GEW-Vorsitzende Doro Moritz sagte, „ein zentrales Abitur und zentrale Prüfungen für andere Schularten sind weder sinnvoll noch in fünf bis zehn Jahren realisierbar“. Die Kultusministerin sollte besser den Unterrichtsausfall senken und in Qualitätsentwicklung investieren statt auf Prüfungen zu setzen, rät Moritz.

Der Philologenverband (PhV), der die Gymnasiallehrer im Beamtenbund vertritt, nimmt Eisenmanns geänderte Position zum Zentralabitur „mit Interesse“ zur Kenntnis, warnt aber vor einem „Billig-Abitur“. Ein deutschlandweites Abitur auf höchstem Niveau wäre ein Riesenschritt, meint Ralf Scholl, der Vorsitzende des PhV in Baden-Württemberg. Bisher hätten sich die Kultusminister jedoch auf dem niedrigsten Niveau geeinigt, und schon jetzt gebe es ein Qualitätsproblem. Das zeigten, so Scholl, die hohen Abbrecherquoten in den Studienfächern Mathematik und Naturwissenschaften.

Koalitionspartner finden die Ankündigungen großspurig

Auch bei ihrem Koalitionspartner Grüne stößt die designierte CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2021 auf Skepsis. Die grüne Bildungspolitikerin Sandra Boser meint: „Bevor Eisenmann großspurige Ankündigungen macht, sollte sie als Kultusministerin erstmal dafür sorgen, dass die KMK den holprigen Start des gemeinsamen Aufgabenpools in den Griff bekommt.“ Die oppositionelle SPD zeigt sich verwundert, da sich Eisenmann „vor wenigen Monaten noch als Retterin des Bildungsföderalismus inszenierte“. Jetzt schiene sie bereit, die Gestaltungsfreiheit der Länder massiv einzuschränken, ätzt Stefan Fulst-Blei, der SPD-Bildungsexperte. Er warnt vor Schnellschüssen. Die Umsetzung sei nicht einfach. So seien zentrale Prüfungstage notwendig. Wegen des späten Schuljahrbeginns hätten baden-württembergische Schüler dann weniger Vorbereitungszeit. „Die Pannenanfälligkeit würde ebenfalls steigen.“

Eisenmann will verbindlichen Staatsvertrag statt Bildungsrat

Kultusministerin Eisenmann sieht ihren Vorschlag nicht als Widerspruch zum Bildungsföderalismus, für den sie sich bisher stark gemacht hat. Dazu bekenne sie sich uneingeschränkt. Allerdings wendet sie sich gegen das Vorhaben des Bundes, einen nationalen Bildungsrat einzurichten. Das wäre ihrer Ansicht nach nur ein „zusätzliches beratendes Gremium, das bedrucktes Papier ohne verbindliche Wirkung produziert“. Eisenmann setzt vielmehr auf einen Staatsvertrag der Länder, mit dem Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit der Schulsysteme hergestellt werden soll. Das Vorhaben hat sie schon im vergangenen Jahr vorangetrieben, im Herbst 2020 sollte der Vertrag unterschriftsreif sein, doch die Ergebnisse sind bisher überschaubar.

„Wir Kultusminister müssen uns in diesem Rahmen auf ein deutschlandweites Zentralabitur verständigen“, sagte Eisenmann. Etwas Bewegung verzeichnet sie in der KMK. Die Minister hätten sich in ihrer Juni-Sitzung immerhin einstimmig darauf verständigt, sich Impulse aus der Wissenschaft zu holen, um den Staatsvertrag voranzubringen. Ihr Vorschlag zum Zentralabitur sei als Signal zu werten, dass die Verständigung vorangetrieben werden solle.