Viel Aufwand, viel Effekt? Die französische Modemarke Hermès hat viel Mühe in die Gestaltung ihrer Schaufenster in der Stuttgarter Innenstadt gesteckt. Foto: Martin Haar

Wenn aus dem Schaufenster ein Spiegel der Krämerseele statt einem Blick auf die kreative Warenwelt wird, fühlen sich manche Passanten belästigt. Handels-Experten wissen jedoch: Nie war das Schaufenster wertvoller.

Stuttgart - Es soll Menschen geben, die schauen mit anderen Augen auf die Welt. Kreative, Architekten, Feingeister. Wer sich mit ihnen bei einem Spaziergang durch die Stadt unterhält, hört: „Ich fühle mich optisch gequält.“ Die massenhafte Werbung für alles und jeden stört Sensible massiv. Auch die zugeklebten Schaufenster vieler großer Ketten. Das böse Wort „Belästigungskommunikation“ fällt. „Manchmal“, so seufzt ein bekannter Architekt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, „habe ich das Gefühl, man hat Haltestellen nur errichtet, damit die SSB sie für Werbung vermieten kann. Wenn ich durch die Straßen laufe, habe ich oft das Gefühl, die Stadt hat ihre Seele längst verkauft – an Werbekunden.“

Viele Händler haben keine Zeit, kein Geld und keinen Platz für aufwendig gestaltete Flächen

In Stuttgart ist laut Ordnungsamt das Plakatieren auf öffentlichen Flächen – bis auf einige Ausnahmen – verboten. Für Veranstaltungs- und Wirtschaftswerbung besteht aber die Möglichkeit, bei Werbeanbietern Flächen zu mieten. Doch nicht nur die viele Werbung stört den Blick des Stuttgarter Architekten. Wenn er durch die Straßen flaniert, will er etwas sehen. Und gerade auf Augenhöhe kriege der Mensch gar nichts zu sehen, sagt er. Wer zum Beispiel in der Gegend rund um die Ecke Rotebühl- und Schwabstraße unterwegs ist, sieht fast nur zugeklebte Schaufenster.

Vor allem Supermärkte und Drogerieketten nutzen oft das letzte bisschen Platz aus, um Ware unterzubringen, für eine ansprechende Gestaltung ihrer Fenster scheint es da keinen Platz zu geben. Der Architekt tut sich damit schwer: „Die zugepflasterten Schaufenster machen das Stadtbild hässlich.“ Dabei würde doch ein einladendes Schaufenster auch viel mehr Kunden in den Laden locken, so glaubt er.

Hübsche Schaufenster bereichern ein Stadtbild

Als eher negatives Beispiel nennt er auch die geschlossene Front des Einkaufscenter Gerber an der Paulinenbrücke: „Das ist doch eine Missachtung der Bürger. Man wendet damit der Stadtgesellschaft den Rücken zu.“ Aber es gibt Händler und Läden, die seine Gnade finden. Sogar das chaotisch gestaltete Schaufenster eines Zeitungsladens lässt er noch durchgehen: „Selbst ein nicht gestaltetes Schaufenster ist schöner.“

Vielleicht lohnt sich für den Kritiker des Stadtbildes dieser Woche ein Spaziergang in die Stiftstraße. Die französische Nobelmarke dürfte die Seele des Mannes vielleicht umschmeicheln. „Aufgrund der Art und Weise, wie sie ausgerichtet sind, gehören Fenster mehr zur Straße als zum Geschäft. Sie sind unsere Botschafter. Jeder Entwurf erzählt eine andere Geschichte über das Haus und seine Objekte“, sagt eine Konzernsprecherin von Hermès: „Unsere Fenster sind 24 Stunden und sieben Tage geöffnet, sollen die Passanten überraschen, ihre Fantasie anregen und Emotionen auslösen. Wenn sie gelungen sind, bereichern Schaufenster das Stadtbild.“

Im aktuellen Fall hat Hermès mit Luca Sacchi, einem Papier-Designer aus Mailand, zusammengearbeitet. Er hat die Papierskulpturen für das Schaufenster in seinem Studio gefertigt und bringt sie nun nach Stuttgart. „Sein Konzept soll die Grenze zwischen der realen Arbeitsgeste und der Fantasie des Betrachters herstellen“, sagt eine Hermès-Sprecherin, „durch die Dreidimensionalität der Papierskulpturen sollen die Hermès-Kunsthandwerker aus Papier im Fenster zum Leben erwachen.“

Innenstädte regen alle Sinne an, überraschen die Passanten auch mal wieder

Auch Marc Schumacher, Chef der Stuttgarter Agentur Liga Nova, ist davon überzeugt, dass „Schaufenster in ihrer Relevanz und Bedeutung vielleicht niemals größer waren“. Die Welt sei inzwischen ja voller E-Commerce, im Internet finde jeder für sich zwar persönlich optimierte Angebote. „Aber ein Besuch der Innenstadt überrascht mich als Kunde doch viel mehr.“

Und das sei eine Lücke, in die Einzelhändler stoßen könnten: „Die Liebe zum Detail, die Dramaturgie – das macht alles viel aus.“ Wer gute Ideen zu den richtigen Anlässen habe und diese ästhetisch umsetze, der habe schon viel gewonnen. Innenstädte hätten zwar mit der Konkurrenz durch das Internet zu kämpfen. Der Frequenzverlust bei Einzelhändler werde aber oft verkannt: „Die Innenstädte sind ja nicht leer, sondern nur die Geschäfte“, sagt Schumacher.

Bei großen Ketten herrscht inzwischen ein großer Wettbewerb um das schönste Fenster

Sabine Hagmann, Geschäftsführerin vom Handelsverband, hat den Eindruck, Händler legen immer mehr ihr Augenmerk auf die visuelle Darstellung ihrer Läden: „Sie geben immer mehr Geld dafür aus.“ Ganz besonders sei dies bei den großen Ketten zu beobachten: „Dort existiert ein ziemlicher Wettbewerb um das schönste Schaufenster.“ Natürlich sei dies gerade bei Supermärkten nicht unbedingt ein großes Thema. Da stellten sich Händler eher die Frage, was komme beim Verbraucher an? Meistens bevorzugt der, günstig einzukaufen. „Da sind die Ansichten dann vielleicht nicht deckungsgleich mit den Vorstellungen eines Architekten“, sagt Hagmann schmunzelnd. Es gibt tatsächlich Menschen, die schauen mit anderen Augen auf die Welt, als es ein Architekt tut.