Kamerasysteme, Mitarbeiterschulungen und Warensicherungssysteme habe nur eine begrenzte Wirkung im Kampf gegen Ladendiebstahl. Foto: dpa

Diebesbanden aus Georgien treiben derzeit ihr Unwesen in Stuttgart. Viele Einzelhändler fühlen sich hilflos im Kampf gegen die Täter, denn die Brutalität bei Diebstählen nimmt immer mehr zu.

Stuttgart - Selbst einem hart gesottenen Beamten entweicht beim Thema Ladendiebstahl schon mal ein Seufzer der Resignation. „Es hört nie auf“, sagt Polizeihauptkommissar Michael Schossig vor einer Gruppe Einzelhändler bei einer Präventions-Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer (IHK). Was er meint: Obwohl er durch die Lande tourt, um die Händler fit gegen Diebstahl zu machen, weiß er: Der Kampf gegen die Verbrecher wird immer schwerer – auch „weil er zuletzt oft bandenmäßig“ vorkommt. Das bestätigt auch Handelsverbands-Geschäftsführerin Sabine Hagmann: „Derzeit treiben Banden aus Georgien ihr Unwesen.“

Viele Einzelhändler fühlen sich daher hilflos diesem Phänomen ausgeliefert, so wie ein Boutique-Besitzer in der Innenstadt. Technisch bestens ausgerüstet, schaffte es sein geschultes Personal zuletzt nicht, einen Wiederholungstäter zu stoppen. „Wir hatten ein Video von dem Kerl“, sagt eine Verkäuferin der Boutique, „wir waren gewarnt und mit der Polizei in Kontakt, aber als er wieder zuschlug, ging alles ganz schnell.“ Händler wissen: Kamerasysteme, Mitarbeiterschulungen und Warensicherungssysteme haben nur eine begrenzte Wirkung. Häufig piepst es, aber keiner schaut hin. Die Angst vor der Konfrontation mag hier eine Rolle spielen. „Die schier grenzenlose Brutalität ermöglichte dem Mann die Flucht“, sagt die Verkäuferin. Mit Gewalt drängte er sich durch die Tür, die ein Mitarbeiter zuhielt. Selbst die Verfolgung war zwecklos. Der Dieb entkam mit einer 1000 Euro teuren Jacke.

Polizeirät: Nicht den Helden spielen

Von einer krimireifen Verfolgungsjagd rät Polizeihauptkommissar Michael Schossig ab: „Nur nicht den Helden spielen.“ Auch Sabine Hagmann schlägt die Hände vors Gesicht: „Nein, viel zu gefährlich. Das ist Aufgabe der Polizei, die tut, was sie kann. Aber wegen der vielen Einsätze bei den Demos und anderen Aufgaben haben die gar keine Zeit mehr für so etwas.“

Ob es sich bei dem beschriebenen Jacken-Dieb in der City um einen Einzeltäter oder um ein Mitglied einer Diebesbande handelt, ist unklar. Gewiss ist indes, dass sich dieser Fall in eine Serie reiht, die für den gesamten Einzelhandel bedrohliche Ausmaße annimmt. Michael Schossig nennt Fakten: Im Jahr 2016 sind 3966 Ladendiebstähle angezeigt und 3578 Fälle aufgeklärt worden. Doch diese Fälle sind nur die Spitze eines Eisberges. Schossig: „Mehr als 98 Prozent der Ladendiebstähle bleiben nach Einschätzung der Experten unentdeckt.“ Ein Grund ist: Viele Geschäfte bringen den Diebstahl nicht zur Anzeige, weil sie denken, dass es sinnlos sei. Jährlich kommt es laut Schossig bundesweit zu 26 Millionen Ladendiebstählen, die dem Handel Milliardenschäden zufügen. Der Handel nennt konkret vier Milliarden Euro. Ein Schaden, der die Renditen im Schnitt um 0,98 Prozent des Umsatzes schmälert. Und während die Zahl einfacher Diebstähle eher konstant bleibe, nähmen schwere Ladendiebstähle zu.

Kriminelle werden immer dreister

„Die Kriminellen gehen immer dreister vor und verursachten nicht nur hohen finanziellen Schaden, sondern sie sorgten auch für große Unsicherheit in der Belegschaft“, bestätigt Hermann Hutter, Präsident des Handelsverbandes. Er bemängelt, dass die Strafen viel zu lasch seien und die Kriminellen dadurch nicht abgeschreckt würden. „Viel zu viele Verfahren werden wegen Geringfügigkeit eingestellt oder die Täter bekommen nur einen Mini-Bußgeldbescheid“, moniert Sabine Hagmann, „humanistisches Gedankengut passt nicht im Kampf gegen georgische oder bulgarische Verbrecherbanden. Das schreckt die nicht ab.“ Soll heißen: Ladendiebstahl werde nicht ausreichend und stringent bestraft – die Kriminellen wüssten das und nutzten es aus. Hagmann fordert daher: „Die Justiz muss genug Kapazität schaffen, um bereits bestehende Gesetze umzusetzen.“

Wie hoch die Quote der Fälle ist, die nach einer Anzeige von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden, kann das Justizministerium nicht beziffern. „Ladendiebstähle werden statistisch nicht gesondert erfasst“, erklärt Steffen Tanneberger, Richter und Sprecher des Justizministeriums – eine Tatsache, die den Handel in seiner Sicht bestärkt und den Unmut eher verstärkt. „Nach unserer Erkenntnis werden knapp 50 Prozent aller Fälle eingestellt“, sagt Sabine Hagmann, „das kann und darf nicht sein.“ Zumal die Folgen der Digitalisierung dem Handel dieses Mal auf eine andere Art schaden, wie ihr Verbandspräsident Hutter weiß: „Auftrieb bekommt der Diebstahl durch das Internet. Früher haben die Kriminellen für ihr Diebesgut einen Hehler finden müssen, dem sie es für einen relativ niedrigen Preis verkauft hätten. Heutzutage könnten sie es im Internet mit einem recht geringen Abschlag im Vergleich zum Originalpreis verkaufen, da viele Käufer sich nicht bewusst seien, dass es Diebesgut sei.