Das Aus nach 87 Jahren: Mit dem Optiker Peschke verlässt erneut ein Traditionsgeschäft den Rotebühlplatz. Der Inhaber macht dafür auch den Standort verantwortlich.
Stuttgart - Eine seriöse Brille für den anstehenden Gerichtstermin: Mit diesem Wunsch stand der Besitzer eines Stuttgarter Sexclubs einst im Foyer des Optikers Peschke am Rotebühlplatz. Nach kurzem Zögern machten sich Geschäftsführer Hans Ulrich Alt und seine Frau auf die Suche. „Wir haben ihm verschiedene Modelle gezeigt, ihm gefiel das aus Massivgold“, erinnert sich Alt. Innerhalb weniger Stunden fertigte das Ehepaar in seiner Werkstatt über dem Verkaufsraum die ungewöhnliche Brille an – pünktlich zur Gerichtsvorladung des Kunden. „Bezahlt hat er mit Scheinen aus einer riesigen Tasche.“
Lebensgeschichten im Brillengeschäft
Solch skurrile Geschichten kann Hans Ulrich Alt viele erzählen. Seit 1993 führt er das heute 87 Jahre alte Brillengeschäft „Optiker Peschke“ am oberen Ende der Königstraße als Teilhaber, seit 2000 in Eigenregie. Quasi nebenbei sammelte er in dieser Zeit zwischen seinen samtüberzogenen Verkaufstischen die Alltagserzählungen seiner Kunden. Einst hat er hier zum Beispiel einer Schauspielerin, die in ihrer Suite besonders unglücklich gegen eine Glasscheibe gelaufen war, im Eilverfahren eine Sonnenbrille verpasst und damit ihren Drehtag gerettet. Einen kleinen Jungen, der immer wieder schüchtern auf den gepolsterten Sesseln im Verkaufsraum gesessen hatte, begleitete er dabei, wie er sein Stottern los wurde und später eine Familie gründete. „Ich kann gar nicht sagen, wie viele Lebensgeschichten ich in diesem Laden gehört habe. Das macht das Geschäft für mich aus“, sagt Alt.
Jetzt jedoch soll Schluss sein mit dem Optiker Peschke. „Wir haben uns entschieden, den Mietvertrag zum 31. Januar nicht mehr zu verlängern“, sagt der Geschäftsführer. Die Gründe dafür seien vielseitig – und ähneln dem Schicksal vieler Einzelhandelsgeschäfte im Umkreis. Zum einen habe der Online-Handel das Geschäft in eine Richtung getrieben, in der er als traditioneller Optiker nicht mehr mithalten könne, so Alt: „Viele Kunden lassen sich bei uns professionell beraten und kaufen dann im Internet – das geht für uns nicht.“ Daneben bleibe dem Traditionsgeschäft dank großer Konsumtempel wie dem Gerber oder dem Dorotheenviertel zunehmend die Laufkundschaft weg.
Problem: Rotebühlplatz
Doch speziell der Standort am Rotebühlplatz ist für den Unternehmer in den letzten Jahren immer mehr zur Last geworden. „Wir haben hier große Probleme mit Alkoholikern und Drogenabhängigen“, klagt er beispielsweise. Besonders vor dem nahe gelegenen Netto stünden Menschen mit Alkoholproblemen schon morgens Schlange, daneben befänden sich verschiedene Treffpunkte für Junkies – und das habe auch Auswirkungen auf die Geschäfte, die sich im Umkreis neu ansiedelten. Neben dem Optiker befindet sich heute ein Dönerladen, links davon eine Filiale der Targo-Bank. „Hier fühlen wir uns nicht mehr wohl. Es ist schmuddelig. Ich komme sogar sonntags her und sammle den Müll der Leute auf“, so Alt.
Auch in der City-Initiative Stuttgart nimmt man solches wahr: „Ein Anrainer in der Rotebühlpassage hat seit dem Sommer verstärkt Probleme mit pöbelnden und alkoholisierten Menschen, die in und um seinen Laden negativ auffallen“, sagt Pressereferent Holger Siegle. Rund um den Rotebühlplatz gebe es „zweifelsohne Probleme, wie die Drogenszene, um die sich die Stadt dringend kümmern muss“, heißt es auch beim Einzelhandelsverband Baden-Württemberg. Dennoch dürfe man die Umgebung nicht vorschnell bewerten, denn direkt angrenzend existiere auch ein attraktiver Mix aus Gastronomie, Einzelhandel und Kultur.
Einige Händler werfen das Handtuch
Der Optiker Peschke ist jedoch nicht der einzige Laden, der am Rotebühlplatz das Feld räumt: Stuttgarts älteste Buchhandlung Steinkopf zum Beispiel zieht ebenfalls aus ihren Räumlichkeiten aus. Verantwortlich macht Inhaber Reiner Steegmüller dafür unter anderem die „drohenden großen Baustellen des Zugangs zur S- und U-Bahn auf unserer Seite des Rotebühlplatzes“. Um die frühen Pendler abzufangen, hatte Steegmüller sein Geschäft bisher bereits um 7.30 Uhr aufgeschlossen, jetzt bleiben diese Kunden aus. Grund dafür ist die Baustelle am Gebäudekomplex um die ehemalige Calwer Passage, wo die Abrissarbeiten inzwischen in vollem Gange sind. Passanten, die dort zur S- oder U-Bahn wollen, werden zum nächstgelegenen Zugang umgeleitet – und der ist ein ganzes Stück von der Buchhandlung entfernt.
Doch die Baustelle, die erst Ende 2020 verschwinden soll, dürfe nicht den Charakter des Platzes bestimmen, so der Einzelhandelsverband: „Der Rotebühlplatz hat Potenzial und darf auf keinen Fall auf das Gebäude City-Plaza beschränkt werden.“ Dass nun gleich zwei Traditionsgeschäfte schließen, sei zwar bedauerlich, aber: „Handel heißt Wandel. “
Hans Ulrich Alt hingegen ist skeptisch. Daran, dass sich die Situation vor Ort für Einzelhändler wieder verbessern werde, glaubt der Optiker nicht mehr. Für ihn ist die Schließung der letzte konsequente Schritt: „Ich will mich nur noch bei meinen Kunden für ihre langjährige Treue bedanken“, sagt er zum Abschluss.