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Der Anfang vom Ende? Die Orchester des SWR sollen 25 Prozent ihres Etats einsparen.

Stuttgart - Die erste Attacke kam im Jahr 2004. Als damals der amtierende SWR-Intendant Peter Voß das SWR-Vokalensemble halbieren und zu einem halbprofessionellen Chor machen wollte, ging ein Aufschrei durch das Land. 2005 einigte man sich auf eine schrittweise Reduzierung von 36 auf 24 Sängerstellen, die 2020 abgeschlossen sein wird. Bis dahin erwartet sich der Sender eine Einsparung von rund 0,72 Millionen Euro. 2005 teilte der SWR mit, bei seinen großen Orchestern zunächst noch nicht den Rotstift ansetzen zu wollen. 2007 fusionierte das Rundfunk- Sinfonieorchesters Saarbrücken mit dem ebenfalls SWReigenen Rundfunkorchester Kaiserslautern zur deutschen Radio-Philharmonie. Jetzt hat der Intendant Peter Boudgoust verkündet, auch die beiden Klangkörper in Stuttgart und Freiburg/Baden-Baden in das aktuelle Spar-Szenario des Senders einbinden zu wollen.

Die Orchester

Die beiden großen Orchester des Senders haben ihren Sitz in Stuttgart (Radio-Sinfonieorchester, RSO) und in Freiburg und Baden-Baden (SWR-Sinfonieorchester, SO). Das Jahresbudget des SWR-Hörfunkprogramms beträgt 90 Millionen Euro, etwa 25 Prozent davon gehen an die beiden Orchester.

Das 1945 gegründete RSO verfügt zurzeit über 102 Planstellen; unter seinem Chefdirigenten Roger Norrington wirkte es vor allem im Bereich der historischen Aufführungspraxis auf modernen Instrumenten stilbildend. In seiner „Attacca“-Reihe bringt es neue Orchesterwerke zur Uraufführung. Das RSO tritt regelmäßig bei den Schwetzinger SWR-Festspielen auf. Seit 2001 ist Stéphane Denève Chefdirigent in Stuttgart.

Das 1946 gegründete SO verfügt über 98 Stellen und hat sich vor allem mit zeitgenössischer Musik einen Namen gemacht. Es ist das Orchester der vom SWR veranstalteten Donaueschinger Musiktage. Seit 1996 hat es seinen Sitz im Konzerthaus Freiburg. Nach Michael Gielen und Sylvain Cambreling wurde 2011 Francois-Xavier Roth Chefdirigent.

Wo der SWR sparen will

Angesichts der steigenden Tarifgehälter und der zurückgehenden Gebühreneinnahmen gab der SWR als zweitgrößte aller ARD-Rundfunkanstalten schon 2010 bekannt, in den zehn folgenden Jahren mindestens 15 Prozent seiner Kosten einsparen zu wollen. Heute ist sogar von 20 Prozent die Rede, konkret von 166 Millionen Euro. Bis 2020 sollen Kürzungen vor allem dort stattfinden, wo dies ohne eine Schädigung des Programms selbst möglich ist. Beim Kulturprogramm SWR 2 soll bis zum Jahr 2020 der Etat gegenüber 2010 sogar um 25 Prozent sinken. SWR-Intendant Peter Boudgoust hat nun, um überproportionale Kürzungen im Programm zu vermeiden, erstmals angeregt, auch über Kürzungen bei den Orchestern nachzudenken – „ergebnisoffen“ soll die Diskussion sein. Eine komplette Auflösung eines der Orchester sei aber keine Option. Externe Berater sollen das Nachdenken begleiten.

Kürzungsszenarien

Sollten auch die beiden Orchester zwanzig

Prozent kürzen müssen, so sind grundsätzlich vier Möglichkeiten vorstellbar.

Erstens: die Einschrumpfung beider Klangkörper, also ein sukzessiver Planstellenabbau, wie er auch beim SWR-Vokalensemble stattfand und weiter stattfindet. Am Ende dieses Verkleinerungsprozesses stünden zwei Orchester mit je etwa 80 Musikern; bei groß besetzten Werken würden sich die Klangkörper gegenseitig aushelfen, sodass teure Gastverpflichtungen weitgehend vermieden werden könnten.

Zweitens: Die Reduzierung eines der beiden Orchester zu einem spezialisierten Ensemble. Die Vordenker dieser Lösung haben hier vor allem das SO im Blick – mit der Vision, aus dem in Neuer Musik erfahrenen SO ein Solistenensemble nach dem Vorbild des Ensemble Modern zu machen.

Drittens: die Fusion beider Klangkörper zu einem „Superorchester“. Hier könnte der Sender über die Jahre knapp die Hälfte aller Musikerstellen einsparen. Die Standortfrage ist ungeklärt.

Viertens: eine Überführung der Orchester in eine gemischte Finanzierung. Träger könnten neben dem SWR Stadt und Land oder auch private Förderer sein.

Gegenstimmen

Eindeutig ist die Meinung der Orchester zu einem Planstellenabbau: eine Streichung von bis zu 20 Planstellen katapultiere sie zwangsläufig in die künstlerische Zweitrangigkeit. Gleiches gilt aus ihrer Sicht für eine lineare Kürzung der Orchesteretats um je etwa 2,5 Millionen Euro: Dann wären Programme, Dirigenten und Solisten weniger attraktiv, und es könnten weniger Aufträge für neue Orchesterwerke vergeben werden, die ohne öffentliche Subventionen nie entstünden und aufgeführt würden. Entsprechend warf der Generalsekretär des Deutschen Musikrates, Christian Höppner, dem SWR vor, er nehme seinen Kulturauftrag nicht wahr und schade der kulturellen Landschaft in Deutschland. Die Gesellschaft für Neue Musik schreibt in einem offenen Brief gar von der „Verantwortung“, welche die ARD-Anstalten „besonders im Bereich der zeitgenössischen Musik“ trügen; „es sind“, liest man dort, „doch gerade ihre Orchester, die wesentlich zur Entwicklung der Neuen Orchestermusik beitragen . . . Mit ihnen besitzt der SWR ein Alleinstellungsmerkmal.“ Vor allem mit der zentralen Frage des Standorts beschäftigen sich die Kritiker einer Orchesterfusion. Und im Raum steht nicht zuletzt das Schlagwort des Kulturauftrags öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten.