Die Kriminologin Katrin Hohl aus Jettingen forscht in Großbritannien und arbeitet dabei eng mit der Polizei zusammen. Das hat ihr einen hohen britischen Ritterorden beschert.
Die „Wissenschaft für die Praxis“ zu machen, das ist einer der Aspekte, die Katrin Hohl an ihrer Arbeit fasziniert. Sie ist Professorin für Criminology & Criminal Justice an der City University of London. Bei einem ihrer Forschungsschwerpunkte beschäftigt sie sich unter anderem mit der Frage, wie die Polizei mit Fällen sexueller und häuslicher Gewalt umgeht.
Mit genau dieser Herangehensweise haben sie und ein von ihr geleitetes Experten-Team es geschafft, die Art und Weise, wie die Polizei bei ihren Ermittlungen zu Vergewaltigungen und schweren Sexualstraftaten agiert, grundlegend zu verändern. Anlass sei für sie und ihre Kollegin Betty Stanko die Tatsache gewesen, dass in England die Verurteilungsrate bei Vergewaltigungen auf den historischen Tiefstand von unter einem Prozent gefallen gewesen sei – wobei ohnehin nur ein geringer Teil der bei der Polizei gemeldeten Vergewaltigungen überhaupt vor Gericht lande. „Das kann so eigentlich nicht sein“, seien sie sich einig gewesen.
Forscher und Polizei arbeiten eng zusammen
Bei der Pilotstudie „Operation Soteria Bluestone“ im Polizeibezirk Avon und Somerset gingen sie ihre Forschungsarbeit „unorthodox und pragmatisch“ an, wie Katrin Hohl sagt. Bereits während der Phase der Datensammlung hätten sie daraus gewonnene Erkenntnisse alle zwei Wochen mit der Polizei diskutiert – und zwar von der Führungsebene bis zum Streifenpolizisten. Auf diese Weise hätten das Wissen aus der Praxis und die akademische Expertise zusammengefunden. Die so entwickelten Lösungen seien auf so große Resonanz gestoßen, dass nach einer Ausweitung auf vier weitere Bezirke das daraus entwickelte nationale Modell mit seinen Leitlinien und Instrumenten inzwischen landesweit von der Polizei angewendet werde.
Während in der Vergangenheit oftmals die Glaubwürdigkeit der Opferaussagen im Zentrum der Ermittlungen standen, würde sich die Polizei heute auf die Verdächtigen konzentrieren und auch systematisch nach Mustern in bereits vorhandenen Falldaten gesucht – so beschreibt Katrin Hohl den Wandel.
Dieses Engagement für die Opfer sexueller Gewalt ist im Vereinigten Königreich nicht unbemerkt geblieben: Im vergangenen Jahr wurde die Professorin aus Jettingen in den „Most Excellent Order of the British Empire“, ein britischer Ritterorden im Rang eines „Officers“, aufgenommen. Der Zusatz „OBE“ ist seitdem Teil ihres Namens. Die eigentliche Zeremonie, die kurz vor Weihnachten im Buckingham Palace stattgefunden hat, sei für sie, ihren Mann und die beiden Kinder ein aufregendes und unvergessliches Erlebnis gewesen, berichtet Katrin Hohl. Schon allein die Tatsache, dass sie nicht durch den Seiteneingang ins Gebäude eingelassen wurden, sondern durch den Haupteingang, der beliebtes Fotomotiv von Besuchern aus aller Welt ist, habe sich besonders angefühlt, ebenso die perfekt durchchoreografierten Abläufe bis zur eigentlichen Ordensverleihung durch Prinzessin Anne im Thronsaal des Palasts.
Im Februar 2024 wurde sie zudem von der Tory-Regierung unter Rishi Sunak zur unabhängigen Beraterin benannt. Ihre Expertise bei Fragen zu strafrechtlichen Reaktionen auf sexuelle Gewalt ist auch jetzt nach dem Regierungswechsel unter Keir Starmer (Labour) weiterhin gefragt.
Am Anfang Betriebswirtschaft – die Kriminologie kommt später dazu
Dass die 44-Jährige, die im beschaulichen Jettingen aufwuchs, eine akademische Laufbahn einschlagen wird und heute in der Hauptstadt des Vereinigten Königreiches in ihrem Fachgebiet der Kriminologie forscht und lehrt, hat sie nicht geplant. Nachdem sie im Jahr 2000 das Abitur am Herrenberger Andreae-Gymnasium gemacht hatte, habe sie „nicht wirklich gewusst, was ich machen möchte“, erzählt Katrin Hohl, die sich selbst als „Generalistin“ bezeichnet. Sie nimmt ein Betriebswirtschaftsstudium an der Fachhochschule Nürtingen auf. Mit dem Diplom in der Tasche ist sie nach England gegangen, um an der London School of Economics ihren Master in Social Research Methods, also Statistik, zu machen, ohne den Gedanken daran, dort längerfristig zu bleiben. Als Top-Studentin sei ihr dann allerdings die Promotion angetragen worden. „Da hat eines zum anderen geführt“, sagt sie.
Trotz zweier Stipendien sei London ein so teures Pflaster gewesen, dass sie als Doktorandin immer nebenbei gearbeitet habe. Durch Nebenjobs zu statischen Fragen bei der Metropolitan Police und der EU sei sie letztendlich mit der Kriminologie in Berührung gekommen. Die Statistik spielt dabei weiterhin eine zentrale Rolle. „Man versucht, in realen Daten die Zusammenhänge und die Muster herauszuheben“ und diese zu interpretieren, sagt Katrin Hohl. Dass „man dabei überrascht werden kann“ und „Zusammenhänge entdeckt, die man nie vermutet hat“, fasziniert sie dabei sehr.
„Der hervorragendste Orden des britischen Weltreiches“
Der Orden
Der „Order of the British Empire”, wie er kurz heißt, ist der jüngste britische Ritterorden. Er wurde 1917 von Georg V. gestiftet. Er ist in eine militärische und eine zivile Abteilung mit jeweils fünf Rängen unterteilt. Dies sind in absteigender Reihenfolge Knight Grand Cross oder Dame Grand Cross (GBE), Knight Commander (KBE) oder Dame Commander (DBE), Commander (CBE), Officer (OBE) und Member (MBE). Ausgezeichnete der beiden höchsten Stufen werden in den persönlichen Adelsstand erhoben und tragen den Namenszusatz „Sir” oder „Dame”.
Die Auszeichnung
Jeder kann Personen vorschlagen, letztendlich nominiert werden die Ausgezeichneten durch den Premierminister. Deren Namen werden zweimal im Jahr veröffentlicht, auf der „Birthday Honours List“ und der „New Years Honours List“. In den Monaten danach finden mehrere Verleihungszeremonien statt. Nur König Charles III., Prinz William und Prinzessin Anne dürfen diese durchführen.