Bilder von Aufmärschen der Rechten – wie hier in Chemnitz – schaden auch dem Ruf der deutschen Wirtschaft, fürchtet diese. Foto: picture alliance/dpa

Vor der Europawahl herrscht große Nervosität in der deutschen Wirtschaft. Speziell in Baden-Württemberg warnen die Verbände so massiv wie nie zuvor vor Protektionismus und Nationalismus – damit auch vor den rechtspopulistischen Parteien.

Stuttgart - Der drohende Vormarsch der Nationalisten und Populisten bei der Europawahl hat sie aufgeschreckt. Nie zuvor haben sich die Wirtschaftsverbände im Vorfeld eines Urnengangs so sehr eingemischt wie vor dieser Europawahl. Dies hat viele Gründe – vor allem die Sorge, dass die Zeit der guten Geschäfte ein Ende hat, wenn rechte Regierungen neue Handelsschranken aufbauen und die Stabilität der Märkte gefährden. Protektionismus ist das eine große Schreckgespenst, wobei das Brexit-Chaos momentan das markanteste Beispiel ist – Fremdenfeindlichkeit ist das andere, weil es den Ruf des Standorts Deutschland gefährdet.

Für die Offensive finden sich zahllose Belege: So hat die Arbeitgebervereinigung BDA mit dem Bund der Industrie (BDI) eine aufwendig erstellte Broschüre „10 Ziele für ein starkes Europa“ herausgegeben. Volkswagen lässt Plakate kleben. 50 Familienunternehmen schließen sich zur Kampagne „Made by Vielfalt“ zusammen, um die Akzeptanz von Zuwanderung zu vergrößern. Auch grenzübergreifende Initiativen werden gestartet: Acht europäische Bahn-Chefs – unter ihnen Richard Lutz – lassen große Anzeigen „Bahnen für Europa“ schalten. Viele der politisch sonst zurückhaltenden Wirtschaftsführer zeigen mit einem eigenen Plädoyer Flagge. Massiv werden die sozialen Netzwerke im Internet bedient – mit Videos von der Telekom zum Beispiel. Das EU-Parlament ist nach den Worten einer Sprecherin überrascht: So viele Kampagnen von Unternehmen habe es früher nicht gegeben.

„Frieden, Freiheit, Freihandel lebenswichtig für Erfolg“

2018 hatten die deutschen Exporte in die anderen 27 EU-Staaten ein Volumen von 780 Milliarden Euro. 60 Prozent aller deutschen Ausfuhren gingen in die EU. Auch in Baden-Württemberg, das wie kein anderes Bundesland auf den EU-Binnenmarkt angewiesen ist, schrillen die Alarmglocken. Bei der Eröffnung des neuen Arbeitgeberdomizils in Stuttgart warnte Südwestmetall-Chef Stefan Wolf am Freitagnachmittag: „Das europäische Projekt, das uns seit vielen Jahrzehnten Frieden und wachsenden Wohlstand beschert, ist von Populisten und extremen Kräften bedroht“. Dagegen sollten die Verbände verstärkt gemeinsame Zeichen setzen. Bodo Bölzle, der Präsident des Verbands Südwesttextil, schlug in dieselbe Kerbe: „Als Industrie, die sich als erste globalisiert hat, wissen wir: Frieden, Freiheit, Freihandel und gleiche Spielregeln für Wirtschaft und Gesellschaft sind lebenswichtig für unseren Erfolg“. Heinrich Baumann, der Präsident des Landesverbandes der Industrie (LVI), betonte: „Nur im europäischen Verbund können wir global wettbewerbsfähig bleiben, den Klimawandel bewältigen, ressourceneffizient produzieren und den weltweiten Fortschritt mitgestalten.“

Appell auch an die eigenen Belegschaften

Und der baden-württembergische Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger fügte an, die Verbände seien „sich einig, dass wir uns bei den Wahlen zum EU-Parlament für jene politischen Kräfte einsetzen müssen, die den europäischen Einigungsprozess unterstützen“. Bei allem „zum Teil berechtigten Ärger“ über das, was manchmal aus Brüssel komme: „Dass wir uns heute über Datenschutzrichtlinien aufregen können, statt in Schützengräben aufeinander zu schießen, haben wir nicht zuletzt der EU zu verdanken.“ Und noch ein Argument: Probleme in Handelsfragen werde allein die EU auf Augenhöhe mit anderen Weltmächten lösen können. „Die einzelnen Mitgliedstaaten sind dafür zu klein“, so Dulger.

Nervosität allenthalben. Die Appelle zielen nicht nur breit in die Gesellschaft. Bei der jüngsten Infratest-Umfrage meinten immerhin 27 Prozent, dass Deutschland „wieder stärker allein“ handeln sollte – unter ihnen 28 Prozent der FDP-Wähler, 38 Prozent der Linken-Sympathisanten und 68 Prozent der AfD-Anhänger. Die Warnungen der Unternehmensführer sind auch an die eigenen Belegschaften adressiert, weil dort wohl das größte Wählerpotenzial der Rechtspopulisten zu finden ist. Entsprechend engagieren sich auch die Gewerkschaften gegen einen Rechtsruck. Zu gemeinsamen Initiativen hat es allerdings nicht gereicht.