Besonders jüngere Menschen sind inzwischen von Einsamkeit betroffen. Foto: IMAGO/Westend61

Jeder Dritte in Baden-Württemberg fühlt sich einsam. Die Landesregierung plant nun einen Ideenwettbewerb. Die SPD kritisiert: die Maßnahmen kämen zu spät.

Einsamkeit sei ein Thema von „höchster gesellschaftlicher Relevanz“, sagte Manfred Lucha (Die Grünen), baden-württembergischer Minister für Soziales, Gesundheit und Integration. Es sei kein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Um herauszufinden, welche Gruppen besonders von Einsamkeit betroffen sind, hat das Land gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung und den Universitäten Dortmund und Bochum eine landesweite Untersuchung durchgeführt.

 

Rund ein Drittel der Baden-Württemberger fühlt sich einsam

Für die repräsentative Studie haben die Forscher im Sommer dieses Jahres 1842 Menschen aus Baden-Württemberg zu ihren Einsamkeitsgefühlen befragt. Rund ein Drittel der Befragten fühlt sich einsam. Betroffen sind Menschen aus allen Altersgruppen, Regionen und Lebenssituationen, sagt die Psychologin Maike Luhmann, Professorin für Psychologische Methodenlehre an der Ruhr-Universität Bochum.

Während Einsamkeit – also das Gefühl, nicht die sozialen und emotionalen Beziehungen zu haben, die man sich wünscht – früher ein Problem des höheren Alters gewesen sei, habe man in der Studie festgestellt, dass es nun eher Menschen im mittleren Alter zwischen 30 und 65 Jahren sowie die unter Dreißigjährigen betrifft.

Die Professorin Maike Luhmann forscht an der Ruhr-Universität Bochum zum Thema Einsamkeit. Foto: PR/RUB, Marquard

In beiden Altersgruppen gaben rund 60 Prozent der Befragten an, sich vor allem „emotional einsam“ zu fühlen. „Ihnen fehlt es also an tiefen und vertrauensvollen Beziehungen“, betont Maike Luhmann. Die „soziale Einsamkeit“ sei weniger stark ausgeprägt, rund zwei Drittel der Menschen hätten also das Gefühl, durchaus über Freunde und Kontakte oder ein Netzwerk zu verfügen.

Menschen mit geringem Einkommen und niedriger Bildung sind betroffen

Als Risikogruppen identifizierten die Forscher Personen mit sozioökonomischen Belastungen wie geringem Einkommen, niedrigem Bildungsstand, schlechter Gesundheit und direktem Migrationshintergrund. Beim Einkommen sind die Unterschiede sehr deutlich: Von den Befragten, die unter 2000 Euro verdienen, fühlen sich rund 50 Prozent einsam – bei Menschen, die über 5000 Euro verdienen, sind es nur 27 Prozent. Allerdings könne man keine Aussagen zur Kausalität treffen, sagte Luhmann. Es sei unklar, ob Faktoren wie Armut und Krankheit die Ursache sind – oder ob es umgekehrt ist.

Einsame Menschen zu unterstützen sei eine gemeinsame Verantwortung von Staat und Zivilgesellschaft, betonte Anja Langness, Gesundheitsexpertin der Bertelsmann Stiftung. Man wisse inzwischen auch: „Einsame Menschen verlieren eher das Vertrauen in die Demokratie.“ Auch plädiert sie besonders dafür, die jungen Menschen nicht zu vergessen. So seien während der Pandemie alle Menschen gleichermaßen von Einsamkeit betroffen gewesen. „Bei den jungen Menschen ist die Einsamkeit jedoch nie wieder zurückgegangen“, sagte Langness.

Die gute Nachricht sei, so Minister Lucha, dass man im Land schon über vielfältige Projekte und Netzwerke verfüge, um gegensteuern zu können. Dennoch wolle man auf Basis der Studie eine einheitliche Strategie entwickeln. Als Auftakt ruft das Sozialministerium fünf Ideenwettbewerbe aus, um Projekte gegen Einsamkeit in besonders betroffenen Zielgruppen zu fördern. Die Baden-Württemberg Stiftung startet zudem ab November das Förderprogramm „Connected Minds“, das sich an die jüngere Generation zwischen 12 und 25 Jahren richtet.

SPD kritisiert Strategie als zu spät – die Legislaturperiode sei fast um

Die SPD-Fraktion im Landtag kritisiert das geplante Programm scharf: „Was die Landesregierung jetzt vorlegt, ist das Papier nicht wert, auf dem es steht“, sagt die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Dorothea Kliche-Behnke. Grün-Schwarz habe seine Strategie gegen Einsamkeit so lange vor sich hergeschoben, bis sie in dieser Legislaturperiode faktisch nicht mehr umgesetzt werden könne.

Es reiche schlichtweg nicht, die Strategie „Quartier 2030“ ins Schaufenster zu hängen und sie mit einem Ideenwettbewerb zu flankieren. Es brauche ein umfassendes Konzept, um Einsamkeit zu verhindern – und ein solches Papier habe die SPD-Landtagsfraktion bereits im Jahr 2022 vorgelegt. Es brauche unter anderem einen Einsamkeitsbericht, mehr Öffentlichkeitsarbeit, die Aufnahme des Themas in bestehende Sozial- und Pflegeplanungen sowie Präventionsangebote.

Zahlen und Daten zur Studie der Bertelsmann-Stiftung

Studie
Für die Studie wurden 1 842 Personen befragt, die repräsentativ für die Bevölkerung Baden-Württembergs im Hinblick auf Schulabschluss, Regierungsbezirk, Alter sowie die Kombination aus Alter und Geschlecht sind.

Stiftung
Die komplette Studie finden Sie auf der Website des Sozialministeriums sowie auf der Homepage der Bertelsmann Stiftung unter Einsamkeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt. (nay)