Die geplanten Windräder in Tengen haben eine Höhe von 240 Metern. Foto: dpa/Arnulf Stoffel

Bei einem Bürgerentscheid in Tengen hat eine große Mehrheit für neue Windräder gestimmt – das ist in dieser Form einmalig im Südwesten. Könnte das Vorgehen in Tengen Vorbild für andere Kommunen werden?

Tengen - Normalerweise ist es andersherum: Wenn in einem Ort Windräder errichtet werden sollen, dann gründet sich oft bald eine Bürgerinitiative, die die Anlagen zu verhindern versucht – und zwar manchmal durchaus auch mit einem Bürgerentscheid. So hat sich etwa im September 2017 in Balgheim bei Spaichingen eine Mehrheit der Bürger erfolgreich gegen Windräder ausgesprochen. In Tengen nahe der Schweizer Grenze (Landkreis Konstanz) ist es am Sonntag erstmals in Baden-Württemberg anders gewesen: Erstens hat die Gemeinde selbst den Bürgerentscheid angesetzt und zweitens ging dieser klar zugunsten der Windkraft aus – zwei Drittel waren für die drei neuen Windräder, ein Drittel dagegen.

Bürgermeister in Tengen ist seit fünf Jahren Marian Schreier (SPD) – der 30-Jährige ist in Stuttgart ja kein Unbekannter mehr, seit er sich vor einigen Wochen gegen den Willen der hiesigen SPD um das OB-Amt in Stuttgart beworben hat. Derzeit läuft deshalb ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn. Marian Schreier und sein Gemeinderat sind nun für die Akzeptanz der Windkraft ungewöhnliche Wege gegangen. Denn die einstimmige Entscheidung des Gemeinderates, eine Fläche im Wald nördlich des Ortsteils Watterdingen an die Solarcomplex AG zu verpachten, hätte eigentlich ausgereicht für die politische Willensbildung. Dennoch beschloss man freiwillig einen Bürgerentscheid, um die Einwohner mitsprechen zu lassen. Im Vorfeld hatte es zwei „Dialogveranstaltungen“ gegeben, auch in den Nachbargemeinden fanden Informationsabende statt. Und man bot Exkursionen zum bestehenden Windpark Verenafohren im Süden der Gemarkung Tengens an. So sollte jeder Interessierte ausreichend Gelegenheit finden, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Viele Kommentatoren sehen darin einen vorbildlichen Umgang mit Bürgerbeteiligung in Sachen Energiewende.

Windräder sollen Strom für 30 000 Menschen produzieren

Ein Pfund in der Waagschale dürfte für viele Bürger auch gewesen sein, dass kein fremder Investor die drei Windräder bauen will, sondern das Bürgerunternehmen Solarcomplex aus dem nahen Singen. Mehr als tausend Aktionäre, darunter viele Privatpersonen, wollen mit dem Unternehmen die Energiewende im Süden Baden-Württembergs voranbringen. Zudem erzielt das Städtchen mit 4600 Einwohnern durch die Windräder jährlich eine Pacht von 120 000 Euro – und es werde Strom für 30 000 Menschen produziert, so das Versprechen.

Aber natürlich gibt es auch Gegner, wenn auch keine organisierte Bürgerinitiative. Die drei Anlagen haben eine gewaltige Höhe von 240 Metern, sie vernichten drei Hektar Wald, der im Hegau nicht gerade üppig gedeiht, und sie liegen am Premiumwanderweg „Alter Postweg“ und zudem ganz in der Nähe des historischen Napoleonsecks, wo bei der Schlacht um Engen im Mai 1800 die Franzosen ihren Gefechtsstand aufgebaut hatten. Manchen im Nachbarort Stetten stößt zudem sauer auf, dass sie nicht nach ihrer Meinung gefragt wurden, obwohl die Windräder teils auch von ihren Häusern gerade tausend Meter entfernt stehen. Man werde nun aber womöglich zugunsten von Stetten ein Windrad auf die Gemarkung von Engen versetzen, sagte Schreier, auch wenn dadurch ein Teil der Pacht verloren gehe: „Aber uns geht es nicht vorrangig um das Geld, sondern wir wollen einen Betrag zum Klimaschutz leisten.“

Der Windpark bei Watterdingen muss jetzt allerdings erst noch alle normalen Genehmigungsverfahren durchlaufen.