Obst und Gemüse en masse: Die Supermarktkette Carrefour setzt auf eine Riesenauswahl. Foto: AFP, Schmiedel

Die für Frankreich so typischen XXL-Großmärkte kämpfen ums Überleben. Die Verbraucher wollen weniger Warenberge, sondern mehr kompetente Beratung. Aber auch online wächst die Konkurrenz. Wie können sich die Supermarkt-Dinosaurier neu orientieren?

Paris - Sie sind die Dinosaurier des Einzelhandels – und sie kämpfen ums Überleben. Dabei schienen sie in Frankreich ein vortreffliches Biotop gefunden zu haben. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hatte sich ihre Zahl zwischen Bordeaux, Brest und Besançon sogar fast verdoppelt. Auf 2179 Hypermarchés genannte XXL-Großmärkte bringt es das Land heute. Mit der Folge, dass dem Franzosen durchschnittlich 0,6 Quadratmeter Einkaufsfläche zur Verfügung stehen, während der Deutsche mit der Hälfte auskommen muss.

Doch die Franzosen wenden sich ab. Die Neigung, per Großeinkauf anzuschaffen, was die Woche über gebraucht wird oder gar darüber hinaus, schwindet. Der Hauptgrund: Angesichts eines immer komplexeren Angebots an Unterhaltungselektronik, Haushaltsgeräten oder auch Textilien sucht der sich zunehmend online eindeckende Verbraucher weniger Warenberge als fachkundige Beratung.

Kleine Nachbarschaftsläden verbuchen ein deutliches Plus

Der Aufwand, sich am Wochenende auf die grüne Wiese zu begeben und durch großflächige Parkplätze und Hallen Richtung Kasse zu arbeiten, rechtfertigt sich aus Sicht des Konsumenten oft nicht mehr. Kleinere, nicht weit vom Kunden angesiedelte Fachgeschäfte, aber auch Superettes, kleine Supermärkte also, sind die Nutznießer. Während es Frankreichs Hypermärkte in den vergangenen drei Jahren auf ein Umsatzplus von insgesamt 0,3 Prozent brachten und der Einzelhandel in dieser Zeit um drei Prozent zulegte, verbuchten die sogenannten Nachbarschaftsläden einen Zuwachs von sieben Prozent.

Aber auch der Online-Handel profitiert von der Entwicklung. Mit sieben Prozent des Gesamthandels nimmt das Internetgeschäft in Frankreich bislang noch wenig Raum ein. Experten sagen ihm aber übereinstimmend hohe Zuwachsraten voraus – eine Entwicklung, die sich der ins Lebensmittelgeschäft eingestiegene US-Konzern Amazon zunutze machen will.

Die Supermarkt-Dinosaurier weiten das Drive-Konzept aus

Die Branchenführer Carrefour, Auchan und Casino versuchen nach Kräften, die angeschlagenen Riesen zu retten. Entschlossen haben sie das Drive-Konzept ausgeweitet: Der Kunde bestellt online, fährt mit dem Wagen vor und bekommt das Gewünschte an den Kofferraum geliefert. Um dem offenbar wachsenden Bedürfnis nach kompetenter Beratung Rechnung zu tragen, sollen zudem ganze Geschäftsfelder ausgelagert und an spezialisierte Subunternehmer oder Franchise-Nehmer abgetreten werden. Dem alten Werbeslogan „alles unter einem Dach“ wäre damit weiterhin Genüge getan. Nur dass der Kunde unter dem Großmarktdach künftig eine Ladengalerie vorfände.

Dem Online-Handel wiederum hofft man Paroli zu bieten, indem man offeriert, was dieser nicht bieten kann: sinnliche Erfahrungen. „Wer zu uns kommt, kann anfassen, ausprobieren, kosten, bevor er kauft“, lautet die werbewirksame Botschaft. In einem Hypermarché der Pariser Vorstadt Villepinte testet Auchan zurzeit Schauküchen. Umringt von Neugierigen bereiten Spitzenköche dort Meeresfrüchte zu, reichen Kostproben.

Hyper klingt mehr nach Hybris als nach Fortschritt

Nicht zu vergessen die klassischen Billigangebote. Auch sie sollen Hypermarché-Kunden bei der Stange halten. Vor allem Carrefour und Leclerc liefern sich erbitterte Rabattschlachten – beide bedrängt vom erfolgreichen deutschen Discounter Lidl. Aus Sicht von Christiane Lambert, Vorsitzende des Nationalen Bauernverbands, droht der Preiskrieg sämtliche Beteiligten in den Ruin zu treiben: die großen Einzelhandelsketten wie auch die Landwirte, die ihr Obst und Gemüse oft nur noch zu Dumpingpreisen loswerden. Können die Rettungsmaßnahmen die Entwicklung tatsächlich aufhalten oder gar in ihr Gegenteil verkehren? Schon der Name Hyper scheint aus einer Zeit gefallen, in der sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Ressourcen begrenzt sind. Er klingt mehr nach Hybris, nach Hochmut, als nach Fortschritt. Ob bei Autos oder Ferienwohnungen: Auch in Frankreich geht der Trend zur Teilhabe, zur gemeinsamen Nutzung, nicht zur Anhäufung von Besitz und Vorräten. Wie das Marktforschungsinstitut Kantar Worldpanel ermittelt hat, ist 74 Prozent der Franzosen der Gebrauch einer Ware wichtiger als ihr Besitz.

Carrefour holt sich einen renommierten Sanierer

Dem Ausmaß der Herausforderung Tribut zollend, hat Carrefour im Juli dem Sanierungsexperten Alexandre Bompard die Führung des weltweit zweitgrößten Einzelhandelskonzerns anvertraut. Der 45-Jährige, der bereits den kriselnden französischen Medien- und Elektronikkonzern Fnac auf Kurs gebracht und dort das Online-Geschäft angekurbelt hat, will bei Carrefour desgleichen tun. Mit weltweit 1,2 Milliarden Euro trägt der Internethandel bislang lediglich 1,4 Prozent zum Gesamtumsatz bei.

Ein kürzlich in der 5700 Einwohner zählenden Gemeinde Tournus erhobenes Stimmungsbild dürfte für den neuen Spitzenmanager wenig ermutigend sein. Der Bürgermeister des bei Lyon gelegenen Ortes hatte sich für einen Leclerc-Hypermarkt an der Autobahnausfahrt nach Tournus starkgemacht. Bürger, Einzelhändler und Gemeinderat verweigerten die Gefolgschaft. Bei den Wahlen Mitte Oktober kam der Hypermarkt-Befürworter nun auf 23 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer, erklärter Gegner des Projekts, triumphierte mit 61 Prozent.