Die Esslinger Karstadt-Filiale soll schließen. Nun stellt sich unter anderem die Frage, welche Folgen das für den Einzelhandelsstandort haben könnte. Anhaltspunkte kann ein Blick nach Ludwigsburg geben, das diese Entwicklung bereits hinter sich hat.
Für viele Kunden, besonders aber für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war die Nachricht schmerzlich: Der Galeria Karstadt Kaufhof Konzern will die Esslinger Filiale bis Ende Januar 2024 dicht machen. Für die Stadt und die lokalen Einzelhändler stellt sich nun die Frage nach den Auswirkungen für den Einkaufsstandort Esslingen. Verlassen mit dem großen Warenhaus auch viele Kunden dauerhaft die Innenstadt?
In Esslingen stehe der Name Karstadt nicht für einen seelenlosen Konzern, sagt der Modehändler Alexander Kögel: „Ich kenne einige, die dort arbeiten.“ Das Schicksal der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berühre ihn und auch andere Einzelhändler. „Das Warenhaus gehört zu Esslingen. Insofern wird es als Verlust gesehen“, sagt Kögel, der auch Vorstandssprecher des Innenstadtgewerbevereins City Initiative ist.
Hoffnung auf neuen Einzelhandel in Bahnhofstraße
Unter den Innenstadthändlern besteht aber auch die Hoffnung, dass Karstadt-Kunden künftig auf andere Geschäfte in Esslingen ausweichen. Läden für Bekleidung, aber auch Haushalts- oder Spielwaren haben mit dem Kaufhaus Überschneidungen im Sortiment. Man müsse eine Alternative anbieten, sagt Andreas Walter, Geschäftsführer des Leder- und Spielwarengeschäftes Heiges. „Es gibt Kunden, die Karstadt als einzige Anlaufquelle in Esslingen haben. Die Frage ist, ob sie nach der Schließung des Kaufhauses nicht mehr nach Esslingen kommen.“ Walter sieht die Bedeutung des Aus von Karstadt vor allem für die Bahnhofstraße, weniger für den Einzelhandel in der restlichen Innenstadt. Für das direkte Umfeld werde die Zeit der Schließung und Neugestaltung womöglich schwierig. Wenn es dabei bleibe, dass Karstadt schließe, müssten alle Kräfte geballt an einer Lösung arbeiten.
Ob Karstadt tatsächlich der Frequenzbringer für die Innenstadt sei, als der er immer bezeichnet werde, sei schwer zu sagen, sagt Kögel. „Was er aber auf jeden Fall ist, ist eine Alternative zu den anderen Geschäften.“ Und das sei wichtig für eine Stadt. „Was nicht gut ist, ist, wenn man nicht mehr die Auswahl hat als Kunde.“ Deswegen sei es wichtig, dass für das Areal eine attraktive Nachfolgelösung gefunden werde. Der Investor plane demzufolge, was in den vergangenen Jahren veröffentlicht worden war, wieder Einzelhandelsflächen. „Ich bin überzeugt, dass man ein gutes Angebot auf die Beine stellen wird.“
In Ludwigsburg hat Karstadt 2010 geschlossen
Martin Eisenmann, Leiter des Referats Handel bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart, tut sich schwer mit einer Prognose zu den Auswirkungen der Karstadt-Schließung in Esslingen. Seit Jahren schlössen immer wieder Kaufhäuser, die für einen erheblichen Teil der Kundschaft als Magnet fungierten. Inwieweit das dann aber Folgen habe für die Kundenfrequenz am betroffenen Standort, dazu gebe es keine Erhebungen. Allerdings seien die Strukturen im Einzelhandel immer atmend, Kundenströme veränderten sich. „Immer wenn ein Standort größere Probleme hat, schauen sich Kunden nach anderen Einkaufsmöglichkeiten um. Wenn der Umbau abgeschlossen ist, kommen sie nur teilweise zurück.“
Ein Beispiel dafür, welche Auswirkungen der Verlust eines großen Kaufhauses haben kann, ist Ludwigsburg. Hier hatte 2010 die Karstadt-Filiale im Marstallcenter, eine große Mall am Ende der Ludwigsburger Fußgängerzone, geschlossen. Der Weggang des großen Ankermieters beschleunigte das Ende der ohnehin darbenden Einkaufspassage. Das Sterben im Center habe nach außen gestrahlt, erinnert sich Frank Steinert, Leiter der städtischen Wirtschaftsförderung. „Die Kundenfrequenzen haben sich dahingehend verändert, dass die Leute nicht mehr in die untere Fußgängerzone gegangen sind.“ Der Bereich rund um das Center sei schmerzlich getroffen worden, der Rest der Innenstadt blieb dagegen gut frequentiert.
Größeres Angebot zieht Kunden in die Innenstadt
Die Stadt bemühte sich mit Nachdruck um eine Lösung. Anfang 2013 wurde die Ladenpassage vom Shoppincenterbetreiber ECE übernommen, der an die 100 Millionen Euro investierte. Das Konzept wurde verändert, die Läden, vor allem Markenshops, kleinflächiger. Laut Steinert hat es der Innenstadt gut getan, dass der Marstall mit 25 000 Quadratmetern Verkaufsfläche 2015 wiedereröffnete. „Wir brauchen inhabergeführte Geschäfte, aber auch Marken. Die sind wichtig, um nach außen zu wirken.“ Ein größeres Angebot erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kunde die Innenstadt besuche.
Ähnlich bewertet das Reiner Boucsein von der Geschäftsführung der IHK Ludwigsburg. „Aus Sicht der Konsumenten wird das Gesamtangebot einer Innenstadt betrachtet. Das ist durch die Wiedereröffnung gestärkt worden.“ Während der Umbauphase habe sich die Kaufkraft zwar andere Wege gesucht, teilweise außerhalb der Stadt. Nach der Eröffnung habe sich die Kundenfrequenz sehr positiv dargestellt. „Es bestand die Gefahr eines Downgrading-Prozesses, der gestoppt werden konnte“, sagt Boucsein.
Der Einzelhandel in Zahlen
Situation
Esslingen schöpft sein Potenzial im Einzelhandel offenbar nicht aus. Das lässt sich aus den Einzelhandelskennziffern schließen, die die IHK rausgibt. Esslingen kann Stand April 2022 im örtlichen Einzelhandel nur 79 Prozent seiner Kaufkraft halten. Der Bundesschnitt beträgt 82 Prozent. Andere Städte schneiden wesentlich besser ab (Sindelfingen 142 Prozent, Ludwigsburg 130, Kirchheim 100 Prozent). Übrigens steht der ganze Kreis Esslingen relativ schlecht da (64 Prozent).
Gründe
Die Entwicklung ist nicht ganz neu, schon in den vergangenen Jahren verlor Esslingen Kaufkraft an andere Kommunen und Onlinehändler – während andere Mittelzentren in der Region mehr Besucher aus dem Umland anzogen. Als mögliche Gründe nennen IHK-Experten die Nähe zur Stadtgrenze von Stuttgart und, dass Esslingen keine große Shoppingmall auf der grünen Wiese hat, die anderswo vor allem Kunden von außerhalb anziehen.