Ab 15. August ist der Unverpacktladen Tante M. in Sillenbuch zwei Wochen zu. Danach wird Inhaberin Maarit Schneider-Penna den Verkauf ohne ihre Mitarbeiterin bestreiten. Foto: Holowiecki

Erst sind Unverpacktläden in der Region Stuttgart aus dem Boden geschossen, nun kämpfen sie mit Umsatzeinbrüchen. Der Grund dafür ist nicht nur die Inflation.

Auf ihren Urlaub freut sich Maarit Schneider-Penna nicht so richtig. Ihr Unverpacktladen Tante M. in Sillenbuch ist ab dem 15. August zwei Wochen zu. Zeit zum Durchschnaufen, aber danach wird sie ohne ihre langjährige Mitarbeiterin auskommen und den Verkauf in der Hauptsache allein bestreiten müssen. Es geht finanziell nicht mehr. Nach einem furiosen Start Mitte 2019 befindet sich der Laden aktuell in der Krise. Von 50 bis 75 Prozent weniger Umsatz berichtet die Inhaberin.

 

Nicht nur in Sillenbuch gibt es diesen Einbruch. Die bis vor Kurzem florierende Branche schwächelt augenscheinlich. Jens-Peter Wedlich ist Pionier auf dem Gebiet. Vor mehr als sechs Jahren hat er Schüttgut im Stuttgarter Westen eröffnet, „das war der erste Unverpacktladen in der Region Stuttgart“. Die Stammkundschaft ist groß, doch „ja, auch wir kämpfen sehr“. Um 50 Prozent sei der Umsatz zurückgegangen. In der Konsequenz habe er das Personal reduzieren müssen. „Früher waren wir sieben im Verkauf, heute sind wir drei. Sonst würde es uns nicht mehr geben.“

Viele gehen wieder zum Discounter

Die Gründe für die Probleme sind vielschichtig. Durch Corona sei Kundschaft aus dem Stuttgarter Speckgürtel weggeblieben – „Mein Einzugsgebiet 2018, 2019 war 70 Kilometer“, sagt Jens-Peter Wedlich –, die Inflation habe dem Ganzen noch eins draufgesetzt. Angesichts massiver Preissteigerungen hätten viele Kunden ihre Prinzipien fallengelassen und gingen zum Discounter. „Der Deutsche spart am Essen, nicht am heilig’s Blechle oder am Urlaub“, sagt Jens-Peter Wedlich. Ähnliche Erfahrungen macht Maarit Schneider-Penna. Die „Abwärtsspirale“, wie sie es nennt, habe auch bei ihr im ersten Lockdown begonnen, als sie etwa ihren Café-Bereich schließen musste, die Preissteigerungen angesichts des Krieges hätten den Trend verstärkt. „Die Leute sparen“, sagt sie.

Die Folge: Schließungen. Die verpackungsfreie Drogerie Ohne Plapla in Stuttgart-Mitte wird Ende August zumachen, der Krämerladen Unverpackt in Backnang befindet sich im Ausverkauf. Das Unternehmen Fridi ruft die Kunden unter dem Hashtag #rettetfridi zur Unterstützung auf. „Auch Fridi unverpackt in Reutlingen und Tübingen geht bald die Luft aus“, liest man online. Schwierig ist die Lage ebenfalls bei Glas & Beutel in Nürtingen. „Wir versuchen, alle Hebel in Bewegung zu setzen“, sagt Michaela Demuth. So stelle man aktuell das Sortiment um, setze mehr auf Regionalität und biete einen vergünstigten Gebindeverkauf an. Außerdem habe man sich unter dem Motto „werben, werben, werben“ auf diversen Festen präsentiert. Auch Maarit Schneider-Penna hat in Sillenbuch bereits am Sortiment gedreht. Unverpackte Kosmetik etwa laufe heute weniger gut, da vieles längst in der Drogerie erhältlich sei. „Die Konkurrenz schläft nicht“, sagt sie.

Neue Läden starten nur sehr langsam

Nicht alle Unverpacktläden haben diesen Vergleich. Anna’s Lädle in Plieningen hat erst Mitte Juni eröffnet, und auch den genossenschaftlich organisierten Unverpacktladen Tante Filda in Bernhausen gibt es erst seit November 2021. „Wir kennen keine normalen Zeiten“, sagt Margareta Rakel. Die Steuerfachangestellte ist im Vorstand für die Finanzen zuständig, und sie spricht in puncto Umsatz von einem Auf und Ab. Die Kunden seien da, grundsätzlich habe man sich aber mehr Umsatz vorgestellt, bekennt sie. „Wir sind sehr langsam gestartet, der Hype ist ausgeblieben“, sagt sie. Diverse Träume könne sich das Team daher noch nicht erfüllen. Der Verkauf werde aktuell in der Hauptsache von Ehrenamtlichen geschultert, auch einen Café-Bereich habe man mangels Geld noch nicht einrichten können. Die Nussmusmaschine, die man sich wünsche, könne man ebenfalls noch nicht anschaffen. Margareta Rakel stellt klar: „Wir leben von der Substanz.“

Ob es eine Erholung geben wird? Maarit Schneider-Penna ist davon überzeugt. „Ich bin Optimistin. Ich glaube, dass alles in Wellen kommt.“ Immerhin rede alle Welt mehr denn je von Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Ressourcensparen. Sie sagt: „Ich glaube, dass die Leute sich rückbesinnen.“

Krise des Einzelhandels

Berufsverband
Der Verein Unverpackt mit Sitz in Köln ist der Berufsverband der Unverpackt-Läden in Deutschland und der deutschsprachigen EU. Dort spricht man weniger von einer Krise der Unverpacktläden, sondern vielmehr von einer Krise des stationären Einzelhandels. Die Unverpackt-Branche sei noch recht neu, so Nicol Winter, Assistentin des Vorstands. Und gerade junge Läden haben und hatten es zusätzlich schwer.

Entwicklung
Ende 2021 habe der Verband einen Höhepunkt mit 352 stimmberechtigten Mitgliedern, also geöffneten Unverpacktläden, erlebt. Anfang 2022 habe der Rückgang mit nur noch 337 offenen Läden beginnen, Stand Mai waren es jedoch wieder 342. Da aufgrund der aktuellen Lage die Neueröffnungen zurückgingen, nehme die Zahl der Mitglieder mit Stimmberechtigung aber schon ab. car