EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker (links) und US-Präsident Donald Trump bei ihrem Treffen in Washington, das für viele eine überraschende Wende nahm. Foto: AP (2), StZ

EU-Kommissionschef Juncker erwischt einen guten Zeitpunkt bei seinem Besuch in Washington: Trump bekommt für seine Handelspolitik in den USA mächtig Druck.

Washington - Der Republikaner Mike Rounds hat auf seinen Heimreisen in den Farmer-Staat South Dakota eine beunruhigende Beobachtung gemacht. Bei den Sprechstunden in seinem Wahlkreis waren zuletzt immer weniger Menschen mit den roten Make-America-Great-Again-Mützen aufgetaucht. Der Abgeordneten im Repräsentantenhaus nimmt das als klares Signal, dass der Enthusiasmus für Donald Trump nachlässt. Auch andere Abgeordnete und Senatoren aus dem Mittleren Westen sowie anderen Staaten mit starkem landwirtschaftlichem Sektor hörten daheim vom Frust der Sojabauern, Kirschproduzenten und Schweinezüchter. Diese machen sich angesichts der Handelskriege an gleich mehreren Fronten Sorgen um ihre Existenz. An diesem Mittwoch waren die Republikaner gemeinsam ins Weiße Haus gepilgert, um dem US-Präsidenten ihren Unmut kundzutun.

Der Kongress kämpft um die Hoheit in Handelsfragen

Parallel dazu brachten der republikanische Senator aus Tennessee, Lamar Alexander, und sein demokratischer Kollege Doug Jones aus Alabama einen Gesetzentwurf ein, der die Hoheit in Handelsfragen wieder in den Kongress zurückholen soll. Konkreter Anlass ist die Sorge, die deutschen Autobauer Daimler, BMW und Volkswagen könnten ihre Produktionskapazitäten nach Kanada, Mexiko oder China verlagern. Und Wirtschaftsberater Larry Kudlow informierte Trump kurz vor dem Gipfel mit dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker am Mittwochabend dortiger Zeit über den Kurssturz der amerikanischen Autobauer General Motors und Fiat-Chrysler. Die Konzerne hatten wegen gestiegener Stahl- und Aluminiumpreise infolge der Strafzölle starke Einbrüche im zweiten Quartal und eine deutlich nach unten korrigierte Gewinnprognose mitgeteilt. GM sackte um acht Prozent ab, Fiat-Chrysler um 14 Prozent.

Mischung aus knallhartem Kalkül und jovialem Stil

Ob sich Trump von alldem beeindrucken ließ, als er mit dem „brutalen Killer“ – wie er Juncker noch wenige Tage zuvor genannt hatte – zusammensaß, darüber kann nur spekuliert werden. Trumps Reiseplan spricht dafür. Mit der unspezifischen Zusage von Sojabohnen-Käufen aus der EU und zwölf Milliarden Dollar an Subventionsversprechen im Gepäck jettete er am Donnerstag in den hart getroffenen Agrarstaat Iowa. Das andere Indiz ist die lange Liste an Senatoren und Repräsentanten, die der US-Präsident bei dem hastig arrangierten Auftritt mit Juncker im Rosengarten willkommen hieß. Darunter auch ebenjener Abgeordnete Rounds, der die Annäherung mit der EU anschließend „als Schritt in die richtige Richtung“ sah.

Geholfen haben dürfte dem gewieften Chef der EU-Kommission auch die Mischung aus knallhartem Kalkül und jovialem Stil. Beides versteht Trump. Juncker ließ bei dem Treffen dem Vernehmen nach keinen Zweifel daran, dass die Europäische Union mit ihren 500 Millionen Verbrauchern Autozölle kompromisslos vergelten würde.

Beide Seiten verzichten auf neue Handelsschranken

Dass der Sinneswandel erst während des Gipfels kam, dafür sprechen auch der frostige Auftakt, das auf mehr als zwei Stunden ausgedehnte Gespräch und die plötzlich angesetzte gemeinsame Erklärung im Rosengarten. Noch während der Verhandlungen platzierte die „Washington Post“ eine Exklusivgeschichte, die von Verwerfungen innerhalb des Weißen Hauses berichtete; Trump sei wild entschlossen, die Autozölle zu verhängen. Und nun das: Beide Seiten verzichten auf neue Handelsschranken, solange über eine wie auch immer geartete Neuauflage des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) geredet wird.

„Ein Sieg für die Europäer“, kommentiert der frühere Handelsbeauftragte Michael Froman, der unter US-Präsident Barack Obama mit Brüssel über das letztlich gescheiterte TTIP-Abkommen verhandelt hatte. Man wisse ja, solche Handelsgespräche zögen sich hin, zumal es um knifflige Themen gehe und die Interessen auch EU-intern keineswegs deckungsgleich seien. Ergo habe sich Europa eine jahrelange Atempause erkauft.

Die verlässliche Anhängerschaft droht zu bröckeln

Im Gegenzug holt Trump Zugeständnisse ein, mit denen er dort punkten kann, wo ihm eine bislang verlässliche Anhängerschaft von der Fahne zu gehen droht – in den Präriestaaten des Mittleren Westens. Farmer in Iowa, Kansas und Nebraska sollen ihre Sojabohnen nun auch nach Europa liefern, „sehr viele Sojabohnen“, wie der Präsident im Überschwang betonte. Bisher war China ihr wichtigster Markt, und ob die Exporte über den Atlantik ausgleichen, was sie im Zuge des Handelskrieges mit Peking an Einnahmen einbüßen, bleibt abzuwarten. Ähnlich verhält es sich mit dem Verkauf amerikanischen Flüssiggases an EU-Länder, einem Geschäft, das angekurbelt werden soll. Noch fehlt die nötige Infrastruktur, um es in großem Stil betreiben zu können. Kein Wunder, dass Experten wie Froman von eher symbolischen Siegen für Trump sprechen.

Mehr ein Waffenstillstand als ein Friedensvertrag

Wie viele Sojabohnen und wie viel Flüssiggas, wer, wann und zu welchem Preis kaufen wird, bleibt nach dem Gipfeltreffen ebenso vage wie die Aufhebung der Stahl- und Aluminiumzölle. Es soll Arbeitsgruppen geben. Aber wie lange diese Zeit haben, „null Handelsschranken und Subventionen“ zu verhandeln, muss noch geklärt werden. Der Wert der Absichtserklärungen besteht nach Ansicht von Analysten vor allem darin, einen Handelskrieg vorläufig abgewendet zu haben: mehr ein Waffenstillstand als ein Friedensvertrag. Das verschafft Trump Entlastung vor den Kongresswahlen im November und gibt den Europäern Zeit, eine Strategie zu entwickeln.

Denn ein verlässlicher Durchbruch, gar ein echter „Deal“, da sind sich Experten und Beobachter in den USA weitgehend einig, war das nicht. Die „New York Times“ erinnert wie viele andere US-Medien daran, dass sich die Dinge ganz schnell in ihr Gegenteil verkehren können. „Trumps Mitarbeiter haben zweimal Abkommen mit China verhandelt, die Trump dann zurückwies. Stattdessen drohte er mit neuen Zöllen.“