Die Züge können fahren: Nach der Tarifeinigung mit der größten Gewerkschaft sind Streiks in diesem Jahr erst einmal vom Tisch. Foto: ZB

Streiks bei der Bahn sind erst einmal abgewendet – auch wenn eine Einigung mit den Lokführern noch aussteht. Nun erhöht aber die Bundesregierung den Druck auf den Konzern.

Berlin - Reisende können aufatmen: Bis Anfang nächsten Jahres werden keine Bahnstreiks den starken Verkehr rund um die kommenden Feiertage beeinträchtigen. Die Deutsche Bahn AG hat sich mit der größeren Gewerkschaft EVG auf ansehnliche Lohnzuschläge und ein Wahlmodell für mehr Freizeit geeinigt. Die Einigung mit der kleineren Lokführergewerkschaft GDL steht allerdings noch aus.

GDL-Chef Claus Weselsky darf jedoch erst zum Streik aufrufen, falls eine Schlichtung scheitert. Bis dahin würden noch mehrere Wochen vergehen, falls beide Seiten zuvor nicht einlenken und den schnellen Abschluss vor Weihnachten suchen. Die DB AG strebt wie in den letzten Jahren einen möglichst ähnlichen Tarifvertrag mit beiden Gewerkschaften an. Die EVG vertritt rund 160 000, die GDL rund 36 000 Mitglieder.

Lohnerhöhung von 6,1 Prozent in zwei Stufen

Der größte Staatskonzern und die EVG einigten sich am Wochenende auf „attraktive Lohnerhöhungen“, wie DB-Personalvorstand Martin Seiler erklärte. Demnach steigen die Löhne in zwei Stufen um 3,5 Prozent zum 1. Juli 2019, danach um 2,6 Prozent zum 1. Juli 2020. Außerdem wird von Oktober 2018 bis Juni 2019 eine Einmalzahlung von 1000 Euro gezahlt. Zum 1. Januar 2021 können die Beschäftigten zudem erneut wählen, ob sie mehr Geld oder mehr Freizeit möchten. Die Tarifverträge gelten rückwirkend vom 1. Oktober 2018 bis 28. Februar 2021 und haben damit eine Laufzeit von 29 Monaten. Es sei ein „ausgewogenes Ergebnis“ erreicht worden, betonte EVG-Verhandlungsführerin Regina Rusch-Ziemba. Die Einmalzahlung sei eine wichtige soziale Komponente für die unteren Lohngruppen. Das Personal des Konzerns sorge an 365 Tagen „unter erschwerten Bedingungen“ dafür, dass die Bahn funktioniere.

Kurz vor dem Abschluss mit der EVG in der Nacht zu Samstag in Berlin hatte die DB die ebenfalls weit fortgeschrittenen Verhandlungen mit der GDL in Eisenach zunächst nicht fortgeführt. Nach Angaben von Gewerkschaftschef Weselsky lag eine unterschriftsreife Einigung vor und man habe dem vom Konzern nachgebesserten Angebot in allen wichtigen Punkten zugestimmt. Das Verhalten der DB sei inakzeptabel, man werde nur über ein verbessertes Angebot wieder verhandeln. Die bisherigen Verhandlungen seien gescheitert. Als Konsequenz könnte eine Schlichtung folgen, die meist Wochen dauert. Erst wenn auch ein Schlichter keine Einigung schafft, darf die GDL zum Arbeitskampf aufrufen. Diese Beschränkung des Streikrechts hatte die Bundesregierung nach den Lokführerstreiks vor einigen Jahren durchgesetzt.

Konzernspitze unter Druck

In der Koalition sorgen derweil die schwierige wirtschaftliche Lage des größten Staatskonzerns und die enorme Finanzbedarf weiter für Unruhe. Wie berichtet fehlt der DB AG angesichts schwacher Ertragskraft und Rekordverschuldung das Geld für die nötigen hohen Investitionen in neue Züge und digitale Technik, die Qualität und Zuverlässigkeit des Schienenverkehrs verbessern sollen. DB-Chef Richard Lutz braucht für seine „Agenda für eine bessere Bahn“ nach eigenem Angaben bis 2023 rund fünf Milliarden Euro, die bisher nicht finanziert sind.

Der DB-Aufsichtsrat, in dem die Vertreter der Bundesregierung und die Gewerkschaften die Entscheidungen treffen, hat deshalb am vorigen Mittwoch dem Etat 2019 und der Mittelfristplanung bis 2023 nur unter Vorbehalt zugestimmt. Demnach muss Lutz bis zur nächsten Sitzung des Kontrollgremiums im März Vorschläge machen, wie die Finanzierungslücke von allein gut zwei Milliarden Euro im Budget 2019 geschlossen werden kann.

Zudem soll die DB-Spitze klären, wie die wachsende Rekordverschuldung des Staatskonzerns von bereits rund 20 Milliarden Euro angesichts des weiteren Finanzbedarfs begrenzt werden kann. Zur Begrenzung des Schuldenanstiegs seien Maßnahmen von vier Milliarden Euro unterstellt, heißt es im Beschluss des Aufsichtsrats. Dazu soll der DB-Vorstand „im ersten Halbjahr 2019“ konkrete Vorschläge machen. Das könnte auf den Verkauf von Konzernteilen hinauslaufen. Als ein Kandidat gilt die britische Bus- und Bahntochter Arriva, die europaweit im Regionalverkehr aktiv ist. Seit längerer Zeit dringen vor allem das Finanz- und Wirtschaftsministerium darauf, den Konzern zu verschlanken und den Finanzbedarf aus den Erlösen zu decken. Das Verkehrsministerium würde die Finanzlöcher lieber durch noch höhere Bundesmittel stopfen. Die Koalition ist sich über eine Bahnreform seit Langem uneins. Besonders die eng mit der Gewerkschaft EVG verbundene SPD lehnt eine Herausnahme der hoch subventionierten, bundeseigenen Schieneninfrastruktur aus dem Aktienkonzern ab. Mit dem Finanzbedarf wächst jedoch der Handlungsdruck. Zuletzt hatte der Bundesrechnungshof kritisiert, dass trotz steigender Milliardenzuschüsse der Zustand des Schienennetzes immer schlechter werde.

Man brauche eine „Neuorientierung“, sagte der Bahnbeauftragte der Regierung und Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann (CDU) der „Welt am Sonntag“. Man sei „besorgt, wie der DB-Vorstand das System Bahn fährt“. Eine grundlegende Reform sei geplant. Neben dem Verkauf von Arriva halten Beobachter die Zusammenlegung der Fern- und Regionalverkehrssparten im Konzern für wahrscheinlich.