Übermüdete, aber gut gelaunte Matadoren bei der nächtlichen Präsentation des Abschlusses: VKA-Präsident Thomas Böhle, Innenminister Horst Seehofer und Verdi-Chef Frank Bsirske (von links). Foto: dpa

Das Potsdamer Tarifabkommen für den Bund und die Kommunen sorgt bei notleidenden Städten für Unmut. Deshalb werden im baden-württembergischen Arbeitgeberlager Forderungen nach einem Systemwechsel bei den Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes laut.

Stuttgart - „Der Tarifabschluss ist insgesamt relativ hoch – ansonsten hat er mehr Licht als Schatten“, fasst Werner Wölfle, der Vorsitzende des Kommunalen Arbeitgeberverbandes (KAV), die Haltung der Südwestkommunen zusammen. Die Gehälter im mittleren Bereich, wo es einen Fachkräftemangel gebe, stärker anzuheben, sei aus Arbeitgebersicht „ein kluger Einstieg in die Attraktivitätssteigerung“, sagte der Stuttgarter Verwaltungsbürgermeister unserer Zeitung. Gudrun Heute-Bluhm vom Städtetag im Land lobt die „längere Perspektive“. Bundesweit zeigt sich das Lager der Kommunen eher gespalten. Ein Überblick.

Wie viel Geld gibt es mehr?
Alle 2,3 Millionen Arbeitnehmer von Bund und Kommunen können sich auf ein Lohnplus von mindestens 6,8 Prozent freuen. Verdi errechnet eine durchschnittliche Gehaltssteigerung von 7,5 Prozent für den höchsten Abschluss seit 2008. Im Schnitt steigen die Einkommen von März 2018 an um 3,19 Prozent, ab April 2019 um 3,09 Prozent und ab März 2020 um weitere 1,06 Prozent – über alle drei Stufen also um 7,34 Prozent. Der Vertrag läuft 30 Monate bis August 2020. Verdi-Chef Frank Bsirske resümierte, es gebe keinen Arbeitnehmer, der über die Tariflaufzeit ein geringeres Plus als 175 Euro im Monat erhalte. „Wir haben ganz viele, die zwischen 200 und 300 Euro liegen und durchaus eine ganze Reihe, die zwischen 300 bis 400 und zum Teil darüber angehoben werden.“
Was kostet der Abschluss die Arbeitgeber?
Auf die Kommunen kommt eine Mehrbelastung von 7,35 Milliarden Euro über die 30 Monate zu – in Baden-Württemberg hat der Arbeitgeberverband bei 300 000 Beschäftigten Kosten von einer Milliarde Euro hochgerechnet. Die Stadt Stuttgart wird mit einem zweistelligen Millionenbetrag in dieser Zeit belastet. Den Bund wiederum kostet das Ergebnis von 2021 an 2,3 Milliarden Euro jährlich mehr – sofern es zeit- und inhaltsgleich auf die 344 000 Bundesbeamten und die Soldaten übertragen wird, was Innenminister Horst Seehofer (CSU) bereits zugesagt hat.
Was wird gegen den Fachkräftemangel getan?
Die Tarifpartner haben zugleich die Einkommenstabelle überarbeitet, um den Einkommensrückstand zur Privatwirtschaft zu verringern und etwas für die Nachwuchsgewinnung zu tun. Dazu wurde die sogenannte alte Erfahrungsstufe eins der jeweiligen Entgeltgruppen gestrichen, und die übrigen Erfahrungsstufen wurden angehoben. Dadurch klettern die Einstiegsgehälter in allen Entgeltgruppen bis 2020 um zehn Prozent an. Der Arbeitgebervorstoß zur Neustrukturierung der Lohntabellen gefalle ihm „richtig gut“, lobt Wölfle. Dies bringe den Neueinsteigern, die ihre Anfangsgehälter bei den jeweiligen Arbeitgebern oft direkt vergleichen würden, „eine klare Aufwertung“. Die Stadt Stuttgart habe im unteren Lohnbereich kein Problem, Leute zu gewinnen. Bei Bewerbern mit Bachelor-Abschluss und höher konkurriere die Stadt mit der Privatwirtschaft. „Bei Architekten und Ingenieuren etwa haben wir großen Nachholbedarf an qualifizierten Mitarbeitern, nachdem in viele weitere Aufgaben investiert wurde.“
Wird das Resultat allen Städten gerecht?
Was für die Kommunen in Baden-Württemberg verkraftbar erscheint, trifft viele kriselnde Städte vor allem in Nordrhein-Westfalen und Ostdeutschland in großer Finanznot. Deshalb haben sie dem Tarifabschluss in Potsdam zum Teil nicht zugestimmt. Mehrere Oberbürgermeister kritisierten ihn im Nachgang als zu hoch für strukturschwache Städte mit hohen Sozialausgaben und Defiziten. Bundesweit stehen die Kommunen vor einem Gesamtschuldenberg von 141 Milliarden Euro. „Die Bandbreite ist viel zu groß und verändert sich selbst durch einen moderaten Tarifabschluss nicht“, sagt KAV-Chef Wölfle. „Ich bin ein Freund von Flächentarifverträgen – aber angesichts dieser zunehmenden Spreizung werden wir neue Antworten dazu brauchen.“ Er vermute, dass „wir bei den nächsten Tarifverhandlungen um eine Differenzierung nicht herumkommen“ – gemeint sind tarifpolitische Instrumente, die armen Kommunen in Deutschland Abweichungen vom Flächentarif erlauben. „Damit müssen wir uns als Arbeitgeber beschäftigen.“ Bisher sei dies in der Vereinigung der Arbeitgeberverbände (VKA) auf Mitgliederebene noch nicht diskutiert worden. Konkrete Vorstellungen gebe es demnach noch nicht. „Aber ich glaube, dass uns das beim nächsten Mal einholt.“
Wie reagieren die Arbeitnehmer?
Für die geringer verdienenden Kräfte in den Entgeltgruppen eins bis sechs gibt es noch eine Einmalzahlung von 250 Euro. Zudem wurde eine Mindesterhöhung von 67,50 Euro pro Monat vereinbart statt der geforderten 200 Euro. Dies dämpft die Zufriedenheit aufseiten von Verdi. Landesbezirksleiter Martin Gross gesteht den Schwachpunkt offen ein: „In den unteren Entgeltgruppen, vor allem bei den körperlich harten Jobs, wollten wir mehr erreichen.“ Dazu seien die Kommunen partout nicht bereit gewesen.