Kind oder Karriere? Die Entscheidung fällt Frauen nicht immer leicht Foto: dpa

Die Einführung der Frauenquote in Aufsichtsräten entfacht die Diskussion um Vereinbarkeit von Kind und Karriere neu. Seit US-Firmen angekündigt haben, dass sie die Kosten für das Einfrieren von Eizellen übernehmen, steigt auch hierzulande die Nachfrage nach der Behandlung.

Stuttgart - Sabrina Müller (Name geändert) steht kurz vor ihrem zweiten Eingriff. In wenigen Tagen wird der Stuttgarter Reproduktionsmediziner Dieter Mayer-Eichberger ihr zum zweiten Mal Eizellen entnehmen und diese später einfrieren. Social Freezing nennen Fachleute das.

In Baden-Württemberg entscheiden sich immer mehr Frauen für die Konservierung ihrer Fruchtbarkeit. Ein Hintergrund ist, dass die US-amerikanischen Konzerne Facebook und Apple vor kurzem angekündigt haben, die Kosten für diese Maßnahme für ihre Mitarbeiterinnen zu übernehmen. „Seitdem ist die Zahl der Anfragen deutlich gestiegen“, sagt Rainer Rau, Reproduktionsmediziner in Aalen. „Bei uns erkundigen sich vor allem Eltern von Single-Töchtern nach Einzelheiten zu der Behandlung“, sagt Rau. Er verspricht sich von dem Trend ein neues Wachstumsfeld für die Reproduktionsmedizin.

Um 30 Eizellen zu gewinnen, sind in der Regel mindestens zwei Eingriffe nötig. Jeder Versuch kostet 3000 Euro.

Sabrina Müller muss für ihre Behandlung mehr als 6000 Euro investieren. Um 30 Eizellen zu gewinnen, sind in der Regel mindestens zwei Eingriffe nötig. Jeder Versuch kostet 3000 Euro. Nach der Ei-Entnahme müssen die Patientinnen pro Jahr mit rund 300 Euro für die Lagerung der Eizellen rechnen.

Karriereberaterinnen wie Carolin Lüdemann aus Stuttgart fänden es gut, wenn auch deutsche Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen anbieten würden, die Kosten für die Behandlung zu tragen. „Aus meiner Sicht bietet das Social Freezing Frauen die Gelegenheit, Karriere zu machen und sich gleichzeitig einen relativ unabhängigen Lebensstandard selbst zu erarbeiten“, sagt sie. „Wenn man bedenkt, dass die entsprechenden medizinischen Möglichkeiten gegeben sind und die Lebenserwartung deutlich gestiegen ist, finde ich es in Ordnung, wenn Frauen auch zu einem späteren Zeitpunkt Kinder bekommen möchten.“

Sabrina Müller ist 34 Jahre alt. Sie ist Ingenieurin bei einem baden-württembergischen Automobilzulieferer. Dass ihr Name nicht in der Zeitung steht, will sie, damit ihr Arbeitgeber sie nicht als Mutter-Kandidatin abstempelt.

Cornelia Spachtholz, Vorstandsvorsitzende des Verbands berufstätiger Mütter (VBM), fordert, dass solche Ängste abgebaut werden, statt Eizellen einzufrieren. „Mit dem Einfrieren der Eizellen wird für einen elitären Kreis die Möglichkeit geschaffen, den Kinderwunsch zu verschieben“, sagt sie. „Aber auf wann? Löst sich dann das Vereinbarkeitsproblem zu einem späteren Zeitpunkt von alleine?“ Sie fordert eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie – für Frauen und Männer. Dafür sollte der Kinderwunsch ihrer Meinung nach nicht aufgeschoben werden müssen, sondern die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Mütter wie Väter aktiv in die Elternschaft einbinden und Kinderwunsch mit Karriereoptionen kompatibel machen. „Auch die Väter gehören hierbei in den Fokus.“

 „Social Freezing steht bei Daimler nicht zur Diskussion“

Diese Ansicht vertreten auch die Firmen in Baden-Württemberg. „Social Freezing steht bei Daimler nicht zur Diskussion“, sagt ein Sprecher des Stuttgarter Autobauers. Das sei Privatsache. „Aber natürlich unterstützen wir Kollegen und Kolleginnen auf vielfältigste Weise, Privatleben und Beruf in Einklang zu bringen.“ Auch der Technologiekonzern Bosch und das IT-Unternehmen IBM verweisen auf die Privatsphäre der Mitarbeiter.

Der Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands (BRZ) verweist zudem darauf, dass das amerikanische Gesundheitssystem anders strukturiert ist als das deutsche, wo Krankheit, Urlaub oder Kündigung wie selbstverständlich abgesichert sind. „Das Einfrieren und Lagern der Eizellen ist dort ein Bonus unter sehr vielen“, sagt eine Sprecherin des Verbands.

Cornelia Spachtholz sieht in der Kostenübernahme für das Social Freezing sogar eine Möglichkeit, Frauen unter Druck zu setzen. „Müssen wir jetzt fürchten, dass eine weitere Frage im Einstellungsgespräch hinzukommen kann: Dürfen wir Ihre Eizellen einfrieren?“

Für Sabrina Müller ist das eine theoretische Diskussion. Ihre Lebenswirklichkeit sieht so aus, dass ihr Partner viele Stunden von ihr entfernt wohnt. Beide haben so gute Jobs, dass sie diese im Moment nicht einfach aufgeben können.

„Die sogenannte Rushhour des Lebens dauert nun mal meist bis Ende 30“, sagt Friedrich Gagsteiger, Leiter der Kinderwunschzentren in Stuttgart und Ulm. „Wir Männer machen es schon lange vor, und solange keine alternativen Familienmodelle gesellschaftlich akzeptiert sind, wird dieses Wettrennen um die schnellste und beste Ausbildung noch lange den Zeitpunkt der Familiengründung beeinflussen“, so der Reproduktionsmediziner.

Wenn Firmen die Kosten für das Einfrieren der Eizellen übernehmen, betrachtet er das nicht als Bevormundung. „Sicher sieht die Firmenleitung auch ihre Vorteile in der Unterstützung eines solchen Vorhabens“, sagt er. „Aber es handelt sich trotzdem nur um ein Angebot, nicht um eine Verpflichtung.“ Auch er bemerkt eine stetig steigende Nachfrage nach Social Freezing. Für 2008 verbuchte er zehn Behandlungen. 2014 waren es bis jetzt 100. In der Stuttgarter Praxis von Dieter Mayer-Eichberger ist die Zahl der Behandlungen zwischen 2008 und heute von fünf auf rund 50 gestiegen. Diese Steigerungsraten decken sich mit den Erkenntnissen, die der Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands auf Bundesebene gewinnen konnte.

Für Sabrina Müller ist es beruhigend, dass ihre Eizellen eingefroren werden. „Das lässt mich leichter älter werden“, sagt die Ingenieurin.