Regenwürmer im Boden beeinflussen die Welt der Krabbeltiere über der Oberfläche enorm. Foto: Valentin Gutekunst

Unzählige Regenwürmer durchwühlen unsere Böden und versorgen Pflanzen mit Nährstoffen. Aber Forscher haben nun in Nordamerika herausgefunden, dass eingeschleppte Regenwürmer Insekten und andere Krabbeltiere dezimieren.

Wenn die biologische Vielfalt in Wäldern, auf Wiesen und Feldern schwindet, sollte man auf der Suche nach den Ursachen dieser Entwicklung auch den Boden berücksichtigen. Das folgern Malte Jochum und Nico Eisenhauer vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Uni Leipzig in der Zeitschrift „Biology Letters“. Die Forscher hatten mit ihrem Team die Artenvielfalt in Wäldern nahe der kanadischen Stadt Calgary untersucht. Dort dezimierten aus Europa eingeschleppte Regenwürmer Insekten und andere Krabbeltiere in einem Wald kräftig.

 

Regenwürmer entscheiden mit, was oberhalb passiert

Das liege möglicherweise an der wichtigen Rolle des Untergrunds, sagt der Boden-Ökologe Stefan Scheu von der Universität in Göttingen: Die an Land wachsenden Pflanzen bilden dort die Grundlage allen Lebens und holen wichtige Nährstoffe und Spurenelemente aus dem Boden. Im Untergrund aber übernehmen Regenwürmer eine sehr wichtige Aufgabe: Durch einen einzigen Quadratmeter wühlen sich locker 150 dieser Ringelwürmer, von denen jeder täglich rund das Doppelte seines eigenen Gewichts einer Mischung aus Boden und Pflanzenresten vertilgt. So wühlen die Regenwürmer den Untergrund nicht nur gründlich durch und lockern dabei den Boden, sondern liefern mit ihren Ausscheidungen den Pflanzen jede Menge Nährstoffe wie Stickstoff oder Phosphor, die diese über ihre Wurzeln aufnehmen.

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Zumindest übernehmen Regenwürmer diesen Job in vielen Regionen der Welt. Als in den letzten drei Millionen Jahren in den nördlichen Regionen Europas und Nordamerikas in kalten Epochen immer wieder mächtige Eispanzer große Teile des Landes unter sich begruben, hatten die Würmer dort praktisch keine Überlebenschancen. „Nachdem die Gletscher sich nach der letzten Eiszeit wieder zurückgezogen hatten, brachten wohl bereits die ersten Bauern mit ihren Pflanzen neue Regenwürmer in die Böden des einst vom Eis bedeckten nördlichen Mitteleuropas zurück“, erklärt Stefan Scheu.

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In den nördlichen Regionen Nordamerikas aber lebten die Menschen bis zur Ankunft der ersten Europäer als Jäger und Sammler. Die vom Eis befreiten Gebiete blieben dort daher frei von Regenwürmern. Springschwänze und andere Organismen übernahmen das Verdauen von Laub und anderen Resten des Lebens und sorgten für nährstoffreichen Humus. Erst als europäische Siedler ins Land kamen, schleppten sie die Regenwürmer wieder ein: „In der Erde an den Wurzeln kleiner Apfelbäume oder Beerensträucher finden sich häufig sehr widerstandsfähige Kokons mit dem Regenwurm-Nachwuchs“, erklärt Stefan Scheu.

Das Problem amerikanischer Pflanzen mit europäischen Würmern

Die Pflanzen im Norden Nordamerikas waren an die Regenwürmer nicht mehr angepasst, die Wühler richteten prompt erhebliche Schäden an. So stören sie das Keimen vieler Kräuter und transportieren deren Samen in Tiefen, in denen die Keimlinge kaum Überlebenschancen haben. Während sich hierzulande der winzige Pflanzennachwuchs an die Unruhe um sich herum längst angepasst hat, verschwanden nach der Invasion der Regenwürmer in Nordamerika die Kräuter im Unterwuchs vieler Wälder. „Das fiel rasch auf, weil ähnliche Frühblüher wie die mitteleuropäischen Märzenbecher und Buschwindröschen verschwanden“, sagt Stefan Scheu. Die eigentlich so nützlichen Würmer hatten erhebliche Schäden in der Pflanzenwelt angerichtet.

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Um herauszufinden, ob davon auch die Insekten, Spinnen und andere Krabbeltiere über dem Boden betroffen sind, haben sich die iDiv-Forscher Malte Jochum und Nico Eisenhauer westlich von Calgary in den Rocky Mountains mit einem Insekten-Staubsauger an die Arbeit gemacht. Das Ergebnis: Das Team fing in Gebieten mit sehr vielen Regenwürmern 61 Prozent weniger Krabbeltiere als in vergleichbaren Arealen, in denen die wühlenden Ökosystem-Ingenieure noch nicht angekommen waren. In diesen Regenwurm-Gebieten brachten die gefangenen Insekten, Spinnen und Co. auch 27 Prozent weniger Biomasse auf die Waage, und die Forscher zählten dort 18 Prozent weniger Arten. Offensichtlich haben die unter der Erde lebenden Wühler also das Ökosystem über dem Boden sehr stark umgekrempelt.

Viele Krabbeltiere verschwanden

Die Ursachen dieser massiven Veränderungen will das Team noch genauer untersuchen. Da viele Krabbeltiere ähnlich wie Blattläuse im Garten Pflanzenfresser sind, könnte das Verschwinden etlicher Kräuter eine wichtige Rolle spielen. Insekten, die nur an einer einzigen Art knabbern, haben bei deren Verschwinden schlechte Karten. Da Regenwürmer Laub und anderes totes Pflanzenmaterial vom Boden unter die Erde ziehen und es dort vertilgen, könnten sie auch Käfern und Fliegenlarven, die von ähnlicher Kost leben, deren Nahrung weggefressen haben. Aufgefallen ist den iDiv-Forschern jedenfalls, dass über den Regenwurm-Böden vor allem Krabbeltier-Vegetarier verschwanden, während die Insekten- und Spinnen-Räuber sogar zunahmen.

Zumindest im Norden Nordamerikas haben Regenwürmer also einen erheblichen Einfluss auf den Wandel in der Welt der Insekten, Spinnen und anderer Krabbeltiere. „Aber auch in Mitteleuropa sollte man den Boden bei den beobachteten Verlusten der Artenvielfalt und anderen Veränderungen in den oberirdischen Ökosystemen nicht aus den Augen verlieren“, erklärt Stefan Scheu.