Blick auf das SWR-Sommerfestival vom Schlossdach aus. Foto:  

Vor dem Neuen Schloss genießt das mitsingende SWR-Publikum neues Glück. Wenige Schritte weiter füllt sich der Karlsplatz mit Polizeiautos. Samstagnachts ist die City voller Gegensätze. Kulturfans wollen den zentralen Ort nicht Randalierern überlassen. Ein Rundgang.

Stuttgart - Vor genau 40 Jahren stand ein Hit mit markantem Schlagzeugsolo auf Platz eins der deutschen Charts. Popstar Phil Collins fragt darin: „Kannst du fühlen, dass was in der Luft liegt heute Nacht?“

Das neue Programm in der sechsten Staffel von Pop & Poesie, einer Band um Radiolegende Matthias Holtmann, trägt den Titel „In The Air Tonight“. Und ja, in dieser Samstagnacht, da die Cover-Show der Welthits mit deutschen Übersetzungen Premiere beim zwölften SWR-Sommerfestival auf dem Schlossplatz nach zweijähriger Zwangspause feiert, kann man deutlich spüren: In der Luft vibriert es anders!

Gänsehautmomente im Ehrenhof des Neuen Schlosses

Wir befinden uns in der ersten Woche der Aufhebung der Inzidenzgrenzen, mit der Baden-Württemberg früher als andere Länder begonnen hat. Die Luft riecht nach Freiheit, aber auch nach der bangen Sorge, dass sich die City mal wieder riskant aufladen könnte.

Im Ehrenhof vor dem Neuen Schloss sind 2300 sich jung fühlende oder tatsächlich junge Rockfans (darunter der vom Nordsee-Urlaub braun gebrannte Innenminister Thomas Strobl, seine Frau Christine Strobl, die ARD-Programmdirektorin, SWR-Intendant Kai Gniffke) begeistert von der hohen musikalischen Qualität des zehnköpfigen Ensembles unter Leitung von Peter Grabinger mit immer neuen Gänsehautmomenten.

Eine Frau bedankt sich bei der Polizei auf dem Karlsplatz

Wenige Schritte weiter ist der Karlsplatz zugestellt von einer Armada von Polizeiautos. Den Kleinen Schlossplatz hat man als „neues Ghetto von Stuttgart“ bezeichnet, weil es im Lockdown mit Kontaktverboten hier zu Nächten kam, die noch immer das Image der Stadt runterdrücken. In dieser Samstagnacht, da die City brummt, geht eine Frau nach dem Besuch des SWR-Sommerfestivals auf die Polizisten zu, die unterm Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm I. noch nicht wissen, was auf sie kommt.

„Ich bin Jahrgang 1964“, sagt die Frau, „und will mich bedanken, dass sie für uns den Kopf hinhalten.“ Als sie jung war, habe man so viel Polizei samstagabends in der Mitte Stuttgarts nicht gebraucht. „Erschreckend“ sei, was aus der Stadt geworden sei. Die jungen Beamten danken zurück. Anderntags teilt die Polizeileitung mit: Die Innenstadt sei sehr voll gewesen, es habe „die üblichen Wochenendgeschehnisse“ gegeben, „aber keine Ausreißer“.

Wie es „Matze“ Holtmann geht? Dank der Pharmaindustrie gut!

Das Saturday Night Fever verändert sich immer wieder. Kulturfans und friedliche Nachtschwärmer sind zahlreich gekommen. Sie wollen den zentralen Platz der Stadt nicht Randalieren überlassen.

Im Ehrenhof feiert das Publikum Radiolegende Matthias Holtmann bei SWR 1. Der 71-Jährige, der an Parkinson erkrankt ist, wird vom neuen Pop & Poesie- Moderator Jochen Stöckle gefragt, wie es ihm geht. Seine Antwort lautet: „Dank der Pharmaindustrie gut.“ Noch immer wird der „Matze“ von seinen Fans geliebt, wie sich bei der Premiere zeigt. Die Emotionen treibt er noch weiter hoch, da er „Always Look on the Bright Side of Life“ im Solopart singt. Fast ist’s die Hymne der Pandemie und eines Parkinson-Kranken: Alles nicht so schwer nehmen, sondern immer stets die hellen Seiten sehen!

Ein Karussell dreht sich vis-à-vis vom Kunstmuseum für den Rummel.

Die dreistündige Show führt von Höhepunkt zu Höhepunkt der Musikgeschichte. Fast alle singen bei Adele bis AC/DC textsicher mit – froh darüber, dass Gemeinschaftserlebnisse wieder möglich sind. Hinter dem fürs Festival abgesperrten Schlossplatz lassen Cliquen Flaschen im Gras kreisen, das Karussell „Traumflug“ dreht sich vis-à-vis vom Kunstmuseum für den Rummel. Auf der Terrasse der Alten Kanzlei spielt eine Soulband, die Freitreppe füllt sich, und die beleuchtete Palme der Bar Waranga wird zum Anziehungspunkt. Eine friedliche Nacht. Die Polizei kann im Hintergrund bleiben.

Fühlt sich gut an, was trotz Corona in der Luft liegt! In dieser Sommernacht liegt Leben in der Luft. Die Stadt breitet ihre Vielfalt aus und kostet neue Lebensfrische aus.