Eine Versteigerung von jüdischem Eigentum in Lörrach 1940. Foto: factum/Simon Granville

Eine neue Ausstellung im Ludwigsburger Staatsarchiv über den Umgang mit jüdischem Vermögen in der NS-Zeit zeigt, dass sich Beamte und Bürger skrupellos bereichert haben.

Ludwigsburg - Geht es um den NS-Rassenwahn und die Judenvernichtung, setzt die Erzählung der Historiker meist bei Nazibonzen und SS-Schwadronen an, um in Auschwitz zu enden. 29 Forscher haben es sich jetzt zur Aufgabe gemacht, die vielen, oft verzwickten Verflechtungen dazwischen in den Fokus zu nehmen: Unter dem Oberthema „Ausgrenzung, Raub und Vernichtung“ zeigen sie, wie perfide das System der Ausplünderung der verfolgten Juden funktioniert hat – und „dass es nicht stimmen kann, dass der Normalbürger davon nichts mitbekommen hat“, wie Heinz Högerle, einer der beteiligten Historiker, sagt. Eine neue Ausstellung im Staatsarchiv Ludwigsburg liefert auch dafür Belege.

Das Finanzamt Stuttgart-Ost wünscht sich ein Klavier? Kein Problem, die Beamten sollen eins haben. Die Steuerbehörde in Stuttgart-Süd möchte 20 Ölgemälde? Kaum ist der Wunsch geäußert, ist er praktisch schon erfüllt. Denn: Die Finanzbehörden sind die Schaltstellen für die Ausraubung der per NS-Gesetz rechtlos gemachten Mitbürger. Das beginnt bereits in den 30er Jahren und wird noch rücksichtloser in der Zeit der Deportationen in die Vernichtungslager 1941/42 exekutiert.

Buchprojekt und Ausstellung

Heinz Högerle und Martin Ulmer vom Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb gehören zu den Initiatoren des 2012 gestarteten Forschungsprojekts zum Raub jüdischen Eigentums in Württemberg und Hohenzollern. „Bisher gab es dazu nur Einzeldarstellungen“, sagt Müller vom Staatsarchiv. Das Buch „Ausgrenzung, Raub, Vernichtung“ biete erstmals einen umfassenden Blick auf die zynischen Praktiken, die Profiteure und die Opfer.

„Die Ausstellung im Staatsarchiv ist nicht identisch mit dem Buch“, sagt Ulmer. Aber diese werfe Schlaglichter auf zum Teil neue Erkenntnisse. Viele Details haben selbst die Forscher überrascht. Etwa die Dreistigkeit, mit der die sogenannte Vermittlungszentrale gearbeitet hat.

In dieser Abteilung saßen Vertreter der NSDAP, aber auch der Schwäbischen Treuhand-Aktiengesellschaft, der Württembergischen Landessparkasse, der Industrie- und Handelskammer sowie vom Wirtschaftsministerium. Sie bewerteten die Vermögen, bestimmten die Preise und zwangen zugleich die Eigentümer von Firmen, Immobilien und Hausrat zum Verkauf weit unter Wert. Nicht ohne dabei noch eine „Provision“ für die sogenannte Stiftung Wirtschaftsdank abzuzweigen.

NSDAP-Funktionär wird Unternehmer

„Das System war so ausgeklügelt, dass zum Beispiel auch ein Parteimitglied, dessen politsche Karriere gescheitert war, mit der Übereignung von jüdischem Vermögen entschädigt wurde“, sagt Ulmer: „Es ging nicht immer nur um die wirtschaftlichen Interessen, es ging stets auch darum, die Macht des Nazi-Regimes zu stützen.“

Die neu gewonnenen Erkenntnisse zeigten, dass es „mafiöse Strukturen“ gab, ergänzt Högerle. „Parteifunktionäre sind plötzlich reiche Unternehmer geworden und die Finanzämter haben sich bereichert.“ Und was nicht schon auf Ämterebene verschachert werden konnte, wurde in Versteigerungen feilgeboten. „Ein Teil der Bevölkerung hat sicher nicht mitgemacht“, sagt Ulmer. „Aber bei diesen Versteigerungen herrschte großer Andrang und die Anfragen kamen von weither.“

„Von wegen, nichts gewusst!

Högerle deutet auf Fotos von brennenden Synagogen in der Pogromnacht 1938 – mit großen Scharen von Zuschauern: „Von wegen, nichts gewusst“, sagt er, „die Leute haben vielleicht nicht selbst die Feuer gelegt, aber sie haben sich auch nicht abgewandt.“ Genauso habe jeder, der ein Haus, ein Gemälde, einen Teppich oder nur einen Kochtopf ersteigert habe, sehr wohl gewusst, dass diese Dinge den in ihrer Existenz vernichteten jüdischen Mitbürgern geraubt worden war.