Bevor Saidy zu Familie Hiller kam, lebte er jahrelang in einer Containerunterkunft für Flüchtlinge. Foto: dpa

Vor vier Jahren hat Sabine Hiller aus Tamm Saidy aus Gambia kennen gelernt. Nach Jahren in einer Flüchtlingsunterkunft durfte er vor Kurzem bei Familie Hiller einziehen. Doch dann stand plötzlich die Polizei im Hausflur und führte Saidy ab. In einem offenen Brief an ihre Kinder hat Sabine Hiller den Tag der Trennung festgehalten.

Tamm - Liebe Ida, liebe Elly, lieber Kalle,

Für uns, also für euren Papa und mich, für euch drei Kinder und vor allem für unseren Freund Saidy wird dieser Tag heute leider in besonderer Erinnerung bleiben. Damit ihr euch auch später noch daran erinnert, schreibe ich diesen Brief.

Heute Morgen um 6.15 Uhr klingelte das Telefon. Eure Oma, bei der Saidy nach Jahren im Flüchtlingscontainer nun seit drei Wochen zur Untermiete wohnt, rief an, weil fünf Polizisten in ihrem Hausflur standen. Saidy wurde in Handschellen abgeführt und ins Flugzeug nach Italien gesetzt. Er ist nun wieder in dem Land, in dem sie ihn „negro di merda“ nannten, in dem sie ihm vier Jahre lang medizinische Hilfe verweigerten, obwohl nach einer schweren Verletzung, die er in Gambia erlitten hatte, Elle und Speiche verkehrt herum angewachsen waren. Glaubt mir, das sind unerträgliche Schmerzen, die einen Menschen mit der Zeit kaputt machen können. Euer Freund Saidy, mit dem Du, Ida, so toll Vorstellungsgespräche auf deutsch geübt hast, hatte sich schließlich vor Jahren auf eine Straße gesetzt, um seinem Leben ein Ende zu machen. Ein Polizist rettete sein Leben, und Saidy wurde operiert. Er ist nun körperlich geheilt. Jeden Montag konnte er mit eurem Papa sogar Fußball trainieren.

Nur noch eine Unterschrift

Wir alle haben uns so sehr an ihn gewöhnt, haben bewundert, wie er – obwohl er keinen Zugang zu den Integrationskursen bekommen hat, fleißig Deutsch lernte – und auch Du, Elly hast ihm dabei geholfen. In den letzten Wochen hast du mit ihm geübt, damit die alten Menschen im Pflegeheim ihn besser verstehen. Am Montag hätte er einen Praktikumsplatz im Altenheim gehabt. Die Dame vom Krankenpflegeverein, bei der er hospitieren durfte, hatte Saidy so sehr gelobt, weil er so einfühlsam mit den alten und kranken Menschen umgeht. Für heute 14 Uhr hatten wir einen Termin zum Vorstellungsgespräch. Saidy war überglücklich über die Aussicht auf den Ausbildungsplatz in einem Pflegeheim. Auf diese eine Unterschrift hatten wir noch gewartet, um den Härtefallantrag für ihn zu stellen.

Ich dachte, mein lieber Kalle, dass wir so deinem Freund Saidy helfen könnten hier zu bleiben. Ich weiß, du wirst das alles noch lange nicht begreifen. Da wird ein Mensch, der in den letzten Wochen so viel Zeit mit dir verbracht hat, in Handschellen abgeführt. Klar wunderst du dich mit deinen fünf Jahren über die Polizei, die doch eigentlich Diebe und Verbrecher jagen sollte. Auch Saidy wundert sich seit Jahren, weshalb seine Bekannten aus dem Container zuerst wegen Drogenhandels verhaftet werden, anschließend aber eine Arbeitsgenehmigung erhalten. Er fragt sich, was er falsch gemacht hat.

Euer Papa und ich, wir sagten ihm immer, es liege nicht an ihm, es sei das System. Dieses System ist so kompliziert, dass ich es euch leider nicht erklären kann. Ich sehe nur, dass unser Freund Saidy von den Behörden nicht richtig erkannt wurde. Sie schicken ihn fort, weil er als Geduldeter keine Aussicht auf ein Bleiberecht hat. Er wäre bereit gewesen, den alten Menschen den Hintern zu putzen. Und glaubt mir, Ida, Elly, Kalle, wir bräuchten viel, viel mehr solcher Leute, die dazu bereit sind.

Kein Vergessen

Ich möchte, dass ihr wisst, dass euer Papa in den letzten Tagen fast täglich versucht hat, mit den Behörden zu sprechen, doch sie haben ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Tür vor der Nase zugemacht. Ich möchte, dass ihr wisst, dass Papa sich nicht aus der Ruhe hat bringen lassen, als er vom Verantwortlichen in Karlsruhe beschimpft wurde, wer er denn eigentlich sei. Ich frage mich allerdings, ob der Herr in Karlsruhe, der seine Unterschrift unter den Abschiebungsvollzug gesetzt hat, eigentlich auch nur eine Ahnung davon hat, wer Saidy ist.

Ihr werdet Saidy nie vergessen und ich fürchte, ihr werdet euch noch lange an heute Morgen erinnern, als ihr vor lauter Schluchzen keinen Bissen vom Frühstück heruntergebracht habt. Aber ihr bleibt in Saidys Herz, und in Gedanken schicken wir ihm viel Kraft.

Eure Mama

Sabine Hiller
, 40, lebt mit ihrer Familie in Tamm. Ihre Kinder sind fünf, zehn und 13 Jahre alt. Saidy, 37, hat die Lehrerin 2013 bei einem Deutschkurs kennengelernt.