Weißes Blatt, keine Idee: Prokrastinierer Cage im Film „Adaption“. Foto: imago/United Archives

Fast alle Menschen schieben gerne einmal eine mögliche Handlung auf, sind deswegen aber noch nicht unbedingt Prokrastinatoren. Aufschieberitis wird vielmehr erlernt und dann als Technik vervollkommnet. In der Therapie sollte man nicht zu streng mit sich selbst sein.

Egal, ob Steuererklärung, Hausputz oder das Lernen für die Prüfung – wer es aufschiebt, bringt sich nicht nur um mögliche Erfolge. Er neigt laut einer schwedischen Studie auch verstärkt zu Gesundheitsproblemen wie Depressionen, Schlafstörungen und Schmerzen.

Ein Forscherteam um Fred Johansson von der Sophiahemmet-University in Stockholm untersuchte die Daten von 3525 Studenten an acht Universitäten, bei denen neben dem Gesundheitszustand auch – mittels einer Prokrastinationsskala – das Aufschiebeverhalten erfasst wurde. Normalerweise gelten Untersuchungen an Studenten nur als bedingt aussagekräftig, weil die Probanden jünger sind und einen anderen Alltag haben als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Wenig Struktur im Leben

Doch im Hinblick auf die Forschung zur Prokrastination gelten sie als besonders ergiebig. „Denn ihr Leben ist wenig strukturiert, und die Abgabetermine liegen oft in weiter Ferne“, erläutert Johansson. „Das lässt viel Raum für Prokrastination.“

Die Studie ergab, dass Studenten, die man zu Beginn der Studie oben auf der Prokrastinationsskala eingeordnet hatte, neun Monate später insgesamt in schlechterer Verfassung waren. Im Vergleich zu ihren nicht prokrastinierenden Kommilitonen litten sie öfter unter Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich, und sie hatten auch ein höheres Level an Angst- und Depressionssymptomen. Zudem klagten sie häufiger über Einsamkeit, Stress und Schlafstörungen.

Johansson betont, dass die Zusammenhänge zwischen Aufschiebeverhalten und Gesundheitsproblemen auch dann bestehen blieben, wenn man die Symptome der Probanden zu Beginn der Studie berücksichtigte. Es scheint sich also nicht um eine „umgekehrte Kausalität“ zu handeln, dass also beispielsweise ängstlich-depressive Menschen eine verstärkte „Aufschieberitis“ zeigten. Das von der Prokrastination ausgehende Risiko für die Gesundheit sei zwar, so der schwedische Gesundheitswissenschaftler, eher schwach, vor allem im Vergleich zu riskanten Verhaltensweisen wie Rauchen oder Bewegungsmangel. Aber es sei auch keine Bagatelle, allein schon wegen der weiten Verbreitung der problematischen Prokrastination: „Man findet ihre Merkmale bei mindestens der Hälfte aller Unistudenten.“ In der Allgemeinbevölkerung werde die Quote auf 15 bis 20 Prozent geschätzt.

Steuererklärung – das könnte ein Grund sein

Die zunehmende Bedeutung der Prokrastination zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass immer mehr zu ihr geforscht wird. Rund 16 000 Fachartikel wurden in den letzten sechs Jahren dazu veröffentlicht. Wobei Joseph Ferrari, Psychologe an der DePaul University of Chicago, betont: „Jeder schiebt etwas auf, aber nicht jeder ist ein Prokrastinator.“ Es sei normal, dass wir unangenehme Dinge, wie etwa die Steuererklärung, aufschieben.

Doch wenn die Prokrastination das private und berufliche Leben einzuschränken beginnt, werde sie zu einem therapiebedürftigen Problem. Dann erzeuge sie Stressoren wie Zeitdruck und Versagensängste, und umgekehrt blieben gesundheitsfördernde Verhaltensweisen wie Sport und Bewegung auf der Strecke.

Auch in der schwedischen Studie fielen prokrastinierende Studenten durch Bewegungsdefizite auf. Und sie praktizierten eine neu entdeckte Variante der Aufschieberitis, nämlich die „Bedtime-Prokrastination“, dass sie also den Zeitpunkt für das Schlafengehen immer wieder nach hinten schoben.

Immerhin: Der Zigaretten-, Alkohol- und anderweitige Drogenkonsum war bei ihnen nicht erhöht. Dies war ursprünglich, aufgrund des ihnen zugrunde liegenden Mangels an Impulskontrolle, erwartet worden.

Zehn Wochen Übungsprogramm – das hilft

Ebenfalls tröstlich und beruhigend: Prokrastination ist kein unabänderliches Wesensmerkmal. Sie sei nicht angeboren, betont Ferrari. „Sie ist erlernt, und deswegen kann man sie auch wieder verlernen.“ Als Methoden, die sich in Studien als erfolgreiche Therapie der Prokrastination herausgeschält haben, gilt das Selbstmanagementtraining sowie die kognitive Verhaltenstherapie, weil sie das Aufbauen funktionaler Arbeitsweisen (zum Beispiel das realistische Planen, das Einhalten von Arbeitszeiten, das Selbstbelohnen) fördern, und zwar durch ein strukturiertes und wiederholtes Übungsprogramm. Ihre Dauer wird in der Regel auf bis zu zehn Wochen angesetzt.

Ein neuerer Therapieansatz verfolgt überdies das Ziel der so genannten Self Forgiveness (Selbstnachsicht). Ausgangspunkt dieser Methode ist eine Studie der Carleton University im kanadischen Ontario, in der Studenten weniger prokrastinierten, wenn sie sich während der Prüfungsvorbereitung ihr Aufschiebeverhalten verziehen. Das klingt zunächst einmal erstaunlich, weil es wie das sanfte Gegenteil von harter Impuls- und Selbstkontrolle wirkt. Doch es geht darum, dass man sich für seine Prokrastination nicht mit negativen Gedanken („Ich Versager!“) bestraft. Denn Strafen bewirken nicht nur beim Lernen, sondern auch beim Verlernen unerwünschter Verhaltensweisen relativ wenig.