Die 19-jährige Noelle Georges hat drei Babys, die sie herzt, wickelt, badet und spazieren fährt. Das Ungewöhnliche: Sie sind nicht echt.
Knittlingen - Arya-Khaleesi ist ein Frühchen. Ihre Mama trägt sie ins Bad, legt sie sacht ins Waschbecken mit dem lauwarmen Wasser. Benetzt die Haare mit einem Schwämmchen, schäumt den Bauch ein, tupft sorgsam den Nabel. Abspülen, abtrocknen, etwas Puder. Dann die Windel dran, Strampler anziehen. Mit dem Bürstchen leicht über den Kopf kämmen, etwas Spray auf die Haare, damit sie nicht so verfilzen. Und zurück ins Bettle.
Arya-Khaleesi kostet 1300 Euro. Sie ist aus Silikon, ihre täuschend echte Hautfarbe in 20 Schichten aufgetragen – inklusive Adern, Storchenbisse und kleiner Blutergüsse. Ihre Haare aus Mohair sind einzeln eingepflanzt.
Die 19-jährige Noelle Georges macht gerade eine Ausbildung zur Hundetrainerin, lebt noch bei ihren Eltern in einem Knittlinger Wohngebiet und ist alleinerziehende Mutter von drei lebensechten Puppenbabys.
Aryas Schwesterchen Brienne-Lyanna schlummert noch in ihrem mit Seidenblumen verzierten Körbchen. Naris-Nayeli, das Brüderchen, hat Noelle Georges schon seit einem Jahr, er ist quasi der Erstgeborene. Naris ist ein „Glatzi“, wie sie sagt. Da entfällt das Problem, dass die Haare ständig an der Wollmütze haften bleiben. Er war ein Bausatz für rund hundert Euro, den ließ sie von einer Künstlerin für ein paar Hundert Euro bemalen. Sie schickte ihr die Teile per Post, zurück kam ein kleiner Mensch im Karton.
Sie hat sich gleich in die Fingerchen verliebt, die eine Hand zum Fäustchen geballt, die andere ausgestreckt. Und dann das Gesicht: „Wie die Oberlippe sich so über die Unterlippe schiebt. Ich finde, er sieht aus wie ein kleiner Bär.“ Naris ist aus Vinyl, der Rumpf aus Stoff und ausgestopft. Dass er so schön schwer ist, mag sie besonders. Ein echtes Babygefühl beim Tragen. „Es ist einfacher, einen Bezug aufzubauen, wenn das Gewicht stimmt. Das Frühchen ist schon arg leicht.“
Der Wunsch nach dem eigenen Reborn-Baby
Wie kam es so weit? „Mir wurde über Youtube irgendwann mal als Empfehlung ein Video mit einem lebensechten Baby angezeigt. Da hat es sofort gefunkt bei mir“, sagt Noelle Georges. „Das Spiel ist notwendig zur Führung eines menschlichen Lebens“, sagt der Philosoph und Dominikanerpater Thomas von Aquin.
Ein, zwei Jahre wuchs sie über soziale Medien in die Szene hinein. Dann erfüllte sie sich den Wunsch nach dem ersten eigenem Reborn-Baby, so werden die Puppen in Fachkreisen genannt. In Knittlingen und Umland sind Reborn-Babys kaum verbreitet. Über Instagram hat sie in Bayern eine Freundin mit dem gleichen Hobby gefunden. Sie telefonieren fast täglich – und reden nicht nur über Babys.
„Seit einem Jahr ist es ein wahrer Boom“, sagt Noelle Georges, die Preise steigen rasant, mittlerweile könne man schon 800 Euro für das Bemalen verlangen. Es gibt Puppen mit Babyflaum. Bei manchen hängt ein Speicheltropfen am Mundwinkel. Es gibt Schreibabys. Es gibt Babys mit eingebauter Atmung, aber so eines will sie nicht: „Das ist mir zu technisch, wie ein Roboter.“ Auch Puppen, die wie der kleine Prinz George aus England aussehen, sind auf dem Markt. Es soll sogar Frauen geben mit Puppen, die ihrem verstorbenen Baby gleichen.
Windelwechsel am Morgen
Wenn Noelle Georges morgens aufsteht, trägt sie ihre Babys meistens kurz durchs Zimmer, jedes einzeln. Oft zieht sie ihnen auch was Neues an oder wickelt sie. Die Windeln kann sie ja wiederverwenden – so lange, bis die Klebestreifen nicht mehr kleben.
Sie hat ein Dutzend Magnet-Schnuller in ihrer Sammlung. Und einen echten aus Silikon, den muss sie Arya mit leichtem Nachdruck in den Mund stopfen, das sieht etwas rabiat aus. Aber ein Baby ohne Schnuller ins Bett legen, das geht nicht. „Da fehlt mir was.“
Ein-, zweimal im Monat wird Arya, das Silikonbaby, gebadet. Die anderen müsste sie jedes Mal wieder aufwendig trocknen. Zur Sommerzeit macht sie ihr Töchterchen auch gern mal draußen im Gartenzuber frisch.
Sie hat ein ganzes Schränkle voller Babykleider. Eine Schublade für den Buben, zwei für die Mädchen, da herrscht etwas größere Unordnung. Wenn sie die Kleinen anzieht, macht sie das mit mütterlicher Ruhe und Selbstverständlichkeit. Sprechen tut sie nicht mit den Babys. „Vielleicht, weil sie ja auch keine Geräusche von sich geben.“ Anfangs wollte sie immer einen Jungen haben, Naris-Nayeli war sozusagen ihr Wunschkind. „Ich fühlte mich irgendwie als eine Bubenmama. Inzwischen ist es mir egal.“
Schon als Mädchen eine Puppenmama
Schon als kleines Mädchen war Noelle eine Puppenmama, am liebsten zog sie ihre Puppen und Kuscheltiere an und aus. Das hat sie bis heute beibehalten. „Ich weiß schon, dass das keine echten Menschen sind. Ich hab ja keine Wahnvorstellungen. Es ist halt mein Hobby“, sagt Noelle Georges. „Alle Dinge, die wir sehen, sind Masken aus Pappe. Bei jedem Ereignis, bei jeder unserer Handlungen kommt etwas zum Ausdruck, zu dem die Außenseite nur die Maske bildet“, sagt der Schriftsteller Herman Melville.
Ihre Familie akzeptiert die Sache, spielt aber nicht mit. Noelle bringt ihre Babys oft mit runter ins Wohnzimmer. Sie trägt sie immer mit Sorgfalt. Die Kleinen mal auf die Schnelle am Fuß anzupacken, um sie wohin zu transportieren, käme ihr nie in den Sinn.
Kleider kauft sie bei Baby One in Bruchsal. Oder in Pforzheim, da gibt es auch ein gutes Geschäft. Ihre Mutter begleitet sie meistens. Das macht auch ihr Spaß, es ruft Erinnerungen wach, wie sie damals die Kindersachen für Noelle und ihre Schwester besorgte.
Kinderwagen mit Babyschale
Noelle hat einen Kinderwagen mit Babyschale, damit fährt sie manchmal runter in die Stadt. Mit einem Baby. Am liebsten nimmt sie es dann auf den Arm, die Mutter schiebt derweil den Wagen. Oder sie nimmt ein Baby mit aufs Feld, wenn sie mit den Hunden rausgeht. Frische Luft ist gesund. Manchmal werfen ihr die Leute fragende Blicke zu. Gesagt hat aber noch keiner was. Ihr ist schon klar, dass sie einige für wunderlich halten. Es kümmert sie nicht: „Mir macht es halt einfach Spaß“, sagt Noelle Georges. „Jeder hat eine zweite Heimat, in der alles, was er tut, unschuldig ist“, sagt der Dichter Robert Musil.
Spätestens in sechs Jahren will sie echte Kinder. Zwei sollen es auf jeden Fall sein, am liebsten Zwillinge – „aber das kann man sich ja nicht aussuchen“. Seit Kurzem hat Noelle einen Freund. Mal sehen, ob er der Vater wird. Vorher muss er aber erst ihre drei Kunststoffbabys kennenlernen. Wie er wohl reagiert? Dass sie Puppenmutter ist, weiß er bereits – und findet es okay. „Wenn die echten Babys da sind, werden die unechten natürlich zur reinen Deko, das ist ja klar“, sagt Noelle Georges. Bis dahin sind sie etwas mehr. Auf vieles wird sie als Mutter schon vorbereitet sein. Auf vieles noch nicht.
Der Markt wird immer größer
Bemalerin könnte sie sich auch beruflich vorstellen. An einer Puppe hat sie sich schon ausprobiert, es ist gar nicht schlecht geworden. Vielleicht kann sie damit ja Geld verdienen. Der Markt wird immer größer, und kreativ ist sie allemal. In der Kinderkirche bastelt und malt sie viel mit den Kindern.
Noelle ist aktiv auf Instagram, postet immer die neuesten Fotos, obwohl sich die Babys ja nicht groß verändern. Reborn-Messen sind Pflichttermine in ihrem Jahresablauf. In Holland gibt es eine, in Sonneberg in Thüringen und im hessischen Eschwege, dem Wacken der Puppenmamas. Da bleibt sie diesmal über Nacht und nimmt gleich zwei Tage mit. Auf den Messen finde man Menschen von elf bis 88 Jahren, sagt sie. Fast ausschließlich Frauen. Wohl ein weibliches Phänomen.
Wobei – es gibt Silikonpuppen, an denen haben eigentlich nur Männer einen Narren gefressen: Die sind groß und sehen aus wie echte Frauen. Diesen Puppen ziehen die Männer auch gerne Kleider an und wieder aus. Legen sie aufs französische Bett und drücken sie ganz fest an sich, um ihnen nah zu sein. Aber das kann man nicht vergleichen.