„Alles bestens“ lautet das Fazit der Hebamme Sabrina Beck (links) beim Besuch bei Volker und Katharina Waltner und ihrer Tochter Charlotte. Foto: Barnerßoi

Sabrina Beck aus Plieningen ist Hebamme. Sie liebt ihre Arbeit, auch wenn die Bedingungen nicht immer einfach sind. Eine 60-Stunden-Woche ist keine Seltenheit.

Degerloch/Plieningen - Oscar liegt auf dem Bauch und hebt sein Köpfchen. Er quietscht vor Freude und strahlt die Frauen um sich herum an. Das wirkt: Wie auf Knopfdruck neigen die ihre Köpfe zur Seite, lachen und seufzen: „Ist der süß!“ Oscar hat die Mamis mitten ins Herz getroffen. Nur wenige Monate ist der kleine Charmeur alt. An diesem Montagmorgen strampelt er splitterfasernackt vor seiner Mama auf einem kuscheligen Handtuch in der Hebammen-Praxis in Sonnenberg. Es ist Baby-Massage bei Hebamme Sabrina Beck. Sieben Teilnehmerinnen wollen ihren Säuglingen an diesem Tag etwas Gutes zu tun.

Babymassage ist Luxus, erzählt Sabrina Beck später im Auto – ihrem weißen Hebammenflitzer – auf dem Weg zur nächsten Frau, die sie im Wochenbett betreut. Ein Geburtsvorbereitungskurs und vor allem die Wochenbettbetreuung sind nach Meinung der 29-Jährigen jedoch alles andere als Luxus. Es sei notwendig, dass sich jemand um die Frauen kümmert. Insbesondere kurz nach der Entbindung. „Die Frauen kommen meist nach drei Tagen aus dem Krankenhaus“, sagt die Plieningerin. Und dann sind sie mit ihrem Mann plötzlich ganz auf sich gestellt. Keine einfache Situation, das weiß die Hebamme, die seit sieben Jahren freiberuflich arbeitet. Und obwohl die Hilfe so nötig ist, müssen viele Frauen darauf verzichten. „Es herrscht absoluter Hebammenmangel“, sagt Sabrina Beck.

Die Mama-Taschen scheinen keinen Boden zu haben

Die Mütter im Babymassage-Kurs hatten Glück. Sie alle haben einen Platz im Geburtsvorbereitungskurs in der Praxis in Sonnenberg ergattert. Diesen Frauen garantieren die rund zehn Hebammen, die der Praxis angehören, eine Wochenbett-Betreuung. Um die meisten, die an diesem Vormittag da sind, hat sich Sabrina Beck gekümmert. Sehr oft kämen die Frauen nach der Betreuung auch weiter in die Kurse der Hebamme. Sei es zur Rückbildungsgymnastik oder eben zur Babymassage.

Grüne Matten sind auf dem Boden ausgebreitet, darauf lassen sich die Frauen mit ihren Kindern nieder, packen Windeln, Decken, Schnuller, Strampler, Tücher, Mützchen und vieles mehr aus ihren Mama-Taschen, die keinen Boden zu haben scheinen. Sabrina Beck dunkelt den Raum ab, sorgt mit Heizlüftern für eine mollige Wärme und legt Entspannungsmusik auf. Es duftet nach Babys und dem Öl, mit denen die Frauen nach Anleitung der Hebamme die Körper ihrer Kinder streicheln und kneten. Den Kindern gefällt es sichtlich. Wenn auch der ein oder andere Säugling mitten in der Massage Hunger anmeldet und an die Brust gelegt werden muss. Dem drei Monate alten Henri gefällt die Massage so gut, dass er einschläft. Die Arme von sich gestreckt murmelt er ganz friedlich. Scheinbar automatisch werden die Köpfe geneigt, lachen, seufzen: „Ist das süß!“

Es gibt nur 50 freiberufliche Hebammen in der Stadt

Nur rund 50 freiberufliche Hebammen wie sie gibt es in Stuttgart, erzählt Sabrina Beck. Manchmal bekäme sie bis zu 20 Anrufe am Tag von werdenden Müttern. Die meisten muss sie abweisen. Alle könne sie schlicht nicht betreuen. „Ich arbeite ohnehin schon gut 60 Stunden pro Woche“, sagt Beck. Oft beginnt ihr Arbeitstag morgens um 8 Uhr und endet nach den Geburtsvorbereitungskursen für noch berufstätige Schwangere erst nach 21 Uhr. Nach der Geburt steht den Frauen von der Krankenkasse an den ersten zehn Lebenstagen des Kindes täglich ein Hausbesuch der Hebamme zu, bis zur achten Woche weitere 16 Besuche. Ein Wochenende kennen die Babys natürlich nicht, genauso wenig wie Weihnachten oder andere Feiertage. Sabrina Beck arbeitet immer, nur drei Wochen im Sommer gönnt sie sich Urlaub.

Inzwischen ist Beck mit ihrem weißen Flitzer in einem Wohngebiet in Degerloch angekommen. Es steht der zehnte Besuch bei Katharina und Volker Waltner und ihrer Tochter Charlotte an. Die Kleine gedeiht prächtig, Mutter und Vater sehen recht erholt aus – trotz der erst eineinhalb Wochen zurückliegenden Geburt. Sie strahlen, als sie

Beim Wiegen spitzeln nur noch die Füße der kleinen Charlotte hervor. Foto: Barnerßoi
ihrer Hebamme die Tür öffnen. „Heute ist der Nabel abgegangen“, berichtet Papa Volker Waltner an der Wickelkommode stolz und zeigt ihn Sabrina Beck, die sich gerade das Löchlein im Bauch der kleinen Charlotte anguckt. „Willst Du den etwa aufheben?“, fragt sie und lacht. Das Baby wird gewogen und frisch gewickelt. „Alles bestens“, befindet die Hebamme. Auch der Mama geht es gut; Sabrina Beck versichert sich, dass sie genug isst , das vergessen viele Frauen vor lauter Stillen. Am Ende macht die Hebamme mit den Eltern noch einen Termin fürs erste Bad des Säuglings aus, dann geht es wieder zum weißen Flitzer. 30 Minuten bezahlt die Krankenkasse pro Besuch. „Ich würde aber niemals nach einer halben Stunden gehen, wenn es noch Fragen gibt“, sagt Sabrina Beck. Das sei Hebammen-Ehre.

Hebammen müssen auch Seelsorger sein

Fälle wie die Waltners freuen Beck. „Die machen es sehr gut“, sagt sie. So reibungslos laufe es nicht überall: Probleme mit dem Stillen, eine Wochenbett-Depression. „Wir sind auch Seelsorger“, sagt die Hebamme. Man sei den Menschen emotional sehr nahe, und die Verantwortung sei enorm groß. Und das bei einem Stundenlohn von rund sieben Euro – „vor Steuer“, wie Beck betont. „Der Beruf ist nicht lukrativ“, sagt die Hebamme. Er ist Berufung. Es wundere sie aber nicht, dass es zu wenig Hebammen-Nachwuchs gibt. „Die Politik muss sich da wirklich was überlegen“, sagt sie. Vor allem, was die teuren Haftpflichtversicherungen angeht; insbesondere für die Kolleginnen, die auch entbinden.

Für diesen Teil der Arbeit hat sich Sabrina Beck nicht entschieden. Sie wollte nie in einer Klinik arbeiten. „Nach acht Stunden heimgehen, ob die Frau entbunden hat oder nicht – das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt die 29-Jährige. Als Freiberuflerin sei sie den Frauen näher. Hausgeburten bietet sie aber keine an. Dann würde die Arbeit auch nachts nicht enden. Immer auf Abruf sein, das wolle sie nicht. „Irgendwo muss man auch noch ein Privatleben haben“, sagt die Plieningerin. Sie ist in ihrer Freizeit am liebsten mit ihrem Hund in der Natur unterwegs. Ohnehin müsse ihr Partner schon sehr verständnisvoll mit ihr sein.

Sabrina Beck ist die neue Generation Hebamme

Trotz der Belastung könnte sie sich keinen anderen Beruf vorstellen. „Ich wollte immer Hebamme werden“, sagt Sabrina Beck. Mit 16 Jahren beendete sie die Realschule. Die Zeit bis zum 18. Geburtstag – Voraussetzung für die Hebammen-Lehre – überbrückte sie mit einer Ausbildung zur Arzthelferin. Danach lernte sie in Ulm den Hebammenberuf. Seit sie 22 Jahre alt ist, ist Sabrina Beck selbstständig. Natürlich sei anfangs immer wieder die Frage gekommen, ob sie denn Erfahrung habe, wenn sie so jung sei und selbst keine Kinder habe. „Mit Selbstbewusstsein und Kompetenz meistert man diese Situationen“, sagt Beck.

Überhaupt höre sie oft von den Frauen beim ersten Treffen, dass die sich eine Hebamme ganz anders vorgestellt hätten. Viele hätten ein Öko-Bild im Kopf. „Ich bin blondiert und tätowiert, eben die neue Generation“, sagt Sabrina Beck und lacht. Dann blickt sie auf die Uhr. Der nächste Hausbesuch wartet. Die 29-Jährige schwingt sich in ihren weißen Flitzer mit dem Schild „Hebamme im Einsatz“ hinter der Windschutzscheibe, und schon braust sie davon.