Bernhard Weber und die Graffitikünstlerin Betta auf jener Brücke, die in Rio derzeit heftig umkämpft wird Foto: Käufer

Bernhard Weber ist ein Musiker aus Stuttgart, der seit mehr als zehn Jahren in Brasilien wohnt. Sein neuestes Projekt heißt „Bandeira da Paz“ (Friedensfahne).

Stuttgart - Einen knappen Meter lang ist die weiße Fahne, die über der „Passarela da Rocinha“ flattert. Auf der Fußgängerbrücke, die in Rio de Janeiro jedes Kind kennt, ist das Schlagzeug aufgebaut. Graffiti-Künstlerin Betty M. bringt sich in Position. Mitten drin: Bernhard Weber (48), der Stuttgarter Musiker, der seit mehr als zehn Jahren in Brasilien wohnt. Es geht um sein neuestes Projekt: „Bandeira da Paz“ (Friedensfahne) heißt das Lied, das einen sehr ernsten Hintergrund hat. Es geht um den Drogen- und Bandenkrieg der aktuell in Rio der Janeiro tobt.

Mit der jungen Perfomance-Künstlerin aus dem armen Norden der riesigen Metropole hat „MC Gringo“, wie sich der Familienvater in Rio nennt, einen Aufruf zum Stopp der Gewalt gestartet. Mehr als 630 Tote durch Querschläger in diesem Jahr, dazu mindestens 100 getötete Polizisten und 4000 Menschen, die in dem wüsten Krieg um Macht und Marktanteile unter dem Zuckerhut ihr Leben verloren haben.

Weber führt auch Touristen durch Rio

Nur wenige Tage nach den Dreharbeiten auf dem vom weltberühmten Architekten Oscar Niemeyer erbauten Fußgängerüberweg geriet die „Passarela da Rocinha“ ins Blickfeld der internationalen Medien. Auf der Brücke suchten inmitten einer wüsten Schießerei Passanten Schutz. Wenig später gehen auf der grauen Fußgängerüberweg Polizisten in Stellung. Die Bilder vom Drogenkrieg füllten die Titelseiten in Lateinamerika. „Die Vorfälle in der Rocinha beherrschen in diesen Tagen die Berichterstattung nicht nur in Brasilien“, sagt Weber im Gespräch mit dieser Zeitung.

Der Familienvater selbst hat inzwischen die Favela verlassen und wohnt im hippen Künstlerviertel Santa Teresa. Auch die Musik steht nicht mehr an Nummer eins im Leben des Schwaben: Er führt inzwischen Touristen an den Zuckerhut, auf die Christus-Statue und auf Wunsch auch durch die Favela Rocinha. „Die Deutschen wollen gerne sehen, wie das Leben wirklich ist in der Favela“, sagt Weber.

Nach der Fußball-WM und den Olympischen Spielen, die für Brasilien vor allem einen Korruptionsskandal und leere Kassen mit sich brachten, stockt der Tourismus. Die Berichterstattung über neue Gewalt und die politische Krise schreckt Besucher ab, trotzdem kommen immer noch viele deutsche Touristen. „Das Interesse an der Stadt ist groß. Ich kläre die Menschen vor dem Besuch in der Favela über die Risiken auf, aber fast alle wollen in die Rocinha“, sagt Weber, der aber auch sagt: „Wir alle haben uns von den beiden sportlichen Großevents mehr versprochen.“

Der Musikclip ist nicht das einzige Projekt

Sein Song ist eine Co-Produktion von Musikern aus Argentinien, Peru und eben Stuttgart, die sich in Rio gefunden haben, um für den Frieden zu werben. „In den aktuellen Songs in Brasilien geht es fast immer um Gewalt, um Waffen und um Krieg. Wir wollen dem etwas entgegensetzen“, erklärt Bernie seine Idee. Bei den Dreharbeiten zu dem Clip habe ihn vor allem eines fasziniert: „Wo wir auch hingekommen sind, als wir die Menschen gebeten haben, die weiße Fahne in die Hand zu nehmen, haben wir keine einzige Absage erhalten.“

Der Musikclip ist nicht das einzige Projekt, das Weber abseits seines eigentlichen Jobs im Tourismus umhertreibt. Mit der Aktion „Favela Friends“, die er mit dem Bempflinger Uwe Schietinger ins Leben gerufen hat, unterstützen die Schwaben seit ein paar Monaten in der „Vila Vintém“ einem der ärmsten Stadtviertel von Rio den lokalen Fußballclub Cruzeiro F.C. bei dessen sozialen Arbeit. Mindestens einmal in der Woche nimmt Weber eine fast zweistündige Zugfahrt in den Außenbezirk auf sich, um den jungen Kickern die deutsche Sprache beizubringen.

„Die Jungs wollen die Sprache lernen. Es ist interessant zu sehen, mit welcher Begeisterung, die jungen Spielerinnen und Spieler dem Unterricht zuhören“, so Weber. Einen kleinen Nebeneffekt hat der Sprachunterricht schon: Bei Spielen um die Taça das Favelas, dem Favelacup, rufen sich die Spieler des Cruzeiro F.C. die Kommandos in deutscher Sprache zu. Und sorgen damit beim Gegner für Verwirrung.