Die Sonne ist zurück in der Antarktis, die Kälte bleibt auch für Daniel Noll. Foto: Max Merl

Daniel Noll aus Sillenbuch hat den Winter in der Antarktis hinter sich – und freut sich auf den ersten Flieger, der frische Lebensmittel in die Eiswüste tief im Süden bringt.

Stuttgart - Nein, einen Bart hat Daniel Noll immer noch nicht. Die meisten seiner acht männlichen Kollegen unter den „ÜWIs“ (Überwinterern) in der Antarktis zierten dagegen monatelang teilweise mächtige Gesichtspullover. „Mir wächst eben keiner“, sagt Noll lachend. Aber auch bei so manchem anderen im ewigen Eis ist der Bart jetzt ab. Nach dem krachend kalten Winter mit Temperaturen bis zu Minus 46 Grad, mit monatelanger Dunkelheit und Stürmen, die ihm die Eiskristalle waagrecht ins Gesicht peitschten, geht es jetzt tief im Süden massiv auf den antarktischen Sommer zu. Licht und Leben kehren wieder mit Macht zurück. „Das geht ratzfatz“, sagt Noll, „eben war es fast 24 Stunden Nacht, dann wird es täglich bis zu 20 Minuten heller und jetzt wird es kaum noch dunkel“, sagt der IT-Spezialist aus Sillenbuch, der zu dem Team gehört, das die Forschungsstation Neumayer III im Nordosten der Antarktis durch die raue Zeit gebracht hat.

Frühling bei strammen minus 20 Grad

Frühling in der Arktis hat aber trotzdem wenig mit dem zu tun, was er von zu Hause so kennt. Das Thermometer klettert zwar auf minus 20 bis minus zehn Grad. Aber dazu gibt es im Frühjahr heftige Winde, vor ein paar Wochen zerrten Böen mit 80 Knoten an der Station, von 64 Knoten an spricht man von einem Orkan. Trotzdem verlagert sich der Alltag immer mehr nach draußen. Noll fährt zum Beispiel mit den Wissenschaftlern im Motorschlitten zu den Außenstationen, wo seismische Geräte abgebaut werden, die über den Winter Daten aufgezeichnet haben. Auf diesen Fahrten sieht Noll auch das neue Leben bei den Kaiserpinguinen. „Die haben jetzt ihre Küken“, berichtet er über die flugunfähigen Seevögel, die ganz in der Nähe der Station am Meeresrand eine Kolonie haben, „und wir haben auch schon junge Robben gesehen“. Das Leben in dieser lebensfeindliche Region erwacht also und auch das Meer taut langsam wieder auf. In ein paar Wochen kann das Schiff Polarstern ganz nahe an die Station heranfahren.

Fast ein Jahr ist der Informatiker und lizenzierte Verkehrspilot nun ganz tief im Süden. „Aber die Zeit vergeht hier wirklich schnell, obwohl die Tagesabläufe doch recht ähnlich sind.“ Die lange Abgeschiedenheit lässt trotzdem sehnsuchtsvolle Gedanken fliegen. Nicht nur bei ihm. Nolls Stationsleiter, der Arzt Tim Heitland, hat zum Beispiel große Lust auf frische Lebensmittel. Aber auch scherzhaft ermittelt, dass es zum nächsten Supermarkt La Anonima im südargentinischen Ushuaia schlappe 3320 Kilometer sind. Und das über das Meer. Ein Trip zum Einkaufen wäre also ein wenig kompliziert und mit Lieferando oder Ähnlichem kommt man in der Antarktis auch nicht wirklich weit. Und so kommt es zu der paradoxen Situation, dass draußen der antarktische Sommer naht, in den Speisekammern von Neumayer III aber nur noch ein paar verschrumpelte Äpfel, Zwiebel und wachsweiche, durch den Abbau der Stärke süß gewordene, Kartoffeln an Frischem übrig sind. Kein Wunder, die letzte Lieferung erreichte die Station vor dem polaren Winter im Februar. Jetzt wartet man auf die nächste, die Anfang November mit dem ersten Flieger erwartet wird, der die Station nach Monaten wieder mit der Außenwelt verbindet. „Ich bin kein so großer Gemüsefan“, erzählt Daniel Noll, „aber auf einen frischen Salat oder Obst freue ich mich jetzt schon.“

Ein Kochfestival im ewigen Eis

Dabei muss die Crew auf Neumayer nicht darben, im Team ist auch ein Koch. Vor ein paar Woche haben die Überwinterer am „Antartic Cooking Festival“ teilgenommen. Dabei zaubern die Teams von zwölf Stationen aus den Resten ihrer frischen Sachen und Tiefkühlware ein Menü, das Ergebnis wird fotografiert, im Netz präsentiert – und natürlich auch gegessen. Bemerkenswert die Entstehung, zum Beispiel das Neumayer Birnen-Sorbet als Zwischengang. Auszug aus dem Rezept: „Zucker karamelisieren, mit Weißwein ablöschen. Zitronensaft und Vanille zuführen und zusammen mit den Dosenbirnen im Mixer präsentieren.“ Zum Sorbet wurde das Ganze dann, weil der Meteorologe die Masse tapfer im Freien solange mit dem Schneebesen schlug, bis sie gefroren war. „Mein Anteil am Menü war eher gering“, sagt Noll, „ich bin nicht der große Koch, ich habe gespült.“

Bei aller Ablenkung steht aber natürlich die Arbeit im Fokus. Wenn in diesen Tagen der erste Flieger nach gut acht Monaten wieder an der Station landet, endet nicht nur die Zeit der Isolation, mit frischen Lebensmitteln kommen auch die ersten Sommergäste mit neuen wissenschaftlichen Aufgaben. Von da an schweben jede Woche neue Leute ein, die Station füllt sich langsam. „Ich bin gespannt, wie sich der Trubel nach der langen Zeit anfühlt“, sagt Noll. An Weihnachten kommt dann auch die Ablösung für sein Team. Dann ist es genau ein Jahr her, dass der Sillenbucher im ewigen Eis gelandet ist und die Verantwortung für das Funktionieren der Server übernommen hat. Zurück geht es für ihn dann am 9. Februar. „Ich freue mich natürlich auf meine Familie und meine Freundin“, sagt er, „es ist doch eine lange Zeit.“ Die mit einem Urlaub nahe der Heimat enden soll. Aber nicht im Warmen sondern in den Bergen. Einmal Eis, immer Eis.

Bisher erschienen: „Ganz tief im Süden“ (14. März), „Die Milchstraße zum Greifen nah“ (16. Juli).