Pfarrer Ulrich Dreesman vor der Lutherkirche, einer von drei Kirchen im Stadtteil. Foto: Annina Baur

In der Serie „Ein Stück Cannstatt“ stellen wir alle 18 Stadtteile vor. Heute ist der Seelberg dran. Moderne Wohnungen und kulturelle Vielfalt treffen dort auf Gründerzeitbauten und reiche Industriegschichte.

Bad Cannstatt - Bereits in der letzten Eiszeit wurde die Gegend um den Seelberg von Mammutjägern als Lagerstätte genutzt, das belegen Funde an der Stelle der heutigen Seelbergstraße, die geradewegs hineinführt in den Stadtteil Seelberg, der sich den Hang hinaufzieht bis zur Augsburger Straße. Mittendrin: Der Uff-Kirchhof. Er ist einer der ältesten Friedhöfe Stuttgarts und entstand im 8. oder 9. Jahrhundert an der Kreuzung einer römischen Straße. Seit dem Mittelalter war es der Friedhof für die Gemeinde der Uffkirche, es gab damals auch einen Weiler, der Uffkirchen hieß. Zur Pfarrei gehörten die Dörfer Hofen, Schmidheim, Fellbach, Unter- und Obertürkheim und Uhlbach. Erst später kam das Gebiet zu Cannstatt. „Heute bilden der der Uff-Kirchhof und die drei Kirchen Uffkirche, Lutherkirche und Liebfrauenkirche um ihn herum das Herz und das Eingangsportal des Stadtteils.“ Der Friedhof lockt auch Besucher an, sind doch viele berühmte Cannstatter Persönlichkeiten wie zum Beispiel der Automobilpionier Gottlieb Daimler, der Bildhauer Emil Kiemlen und der Freiheitsdichter Ferdinand Freiligrath dort beerdigt. Seit 1506 ist der Friedhof Begräbnisstätte für Cannstatt rechts des Neckars, da im Bereich der Cannstatter Stadtkirche aufgrund zu feuchten Bodens keine Bestattungen mehr durchgeführt wurden.

Flair der einstigen Bäderstadt

Die Wohnbebauung allerdings ist jüngeren Datums, noch bei ihrer Einweihung im Jahr 1900 stand die Lutherkirche sehr frei, weiß Pfarrer Ulrich Dreesman von historischen Abbildungen. „Man erkennt in vielen der schönen Straßenzüge die Gründerzeit als Bauzeit und kann an den großzügigen Fassaden das Flair der einstigen Bäderstadt erahnen“, findet Dreesman. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts sei der Seelberg ein Mischgebiet gewesen: Kleine Eckläden für den täglichen Bedarf, aber auch große und bekannte Firmen befanden sich in diesem Teil Cannstatts: „Man denke nur an die Dampfmaschinenfabrik, die der Deckerstraße ihren Namen gab, die Textilmaschinenfabrik Terrot und natürlich Daimler, der 1887 eine erweiterte Versuchswerkstatt auf dem Seelberg einrichtet.“ So kann das Gebiet gewissermaßen als Wiege der Mobilität bezeichnet werden.

Gute Infrastruktur

Umso trauriger sei, dass der Seelberg vom Kursaalgebiet durch die Waiblinger Straße regelrecht abgeschnitten sei: „Diese Verkehrsachse ist das größte Manko des Stadtteils, ich wünschte, sie würde einfach unter der Erde verlaufen und stattdessen wieder wie früher eine Allee angelegt werden, über die man auf die Portale der Lutherkirche zuschreiten kann.“ Auch wenn dies reines Wunschdenken sei – insgesamt lebe es sich gut im Seeelberg, betont der Pfarrer: Durch das Cannstatter Carré und Aldi sowie Bäcker und kleinere Geschäfte sei die Infrastruktur gesichert und das dicht besiedelte Gebiet ziehe viele Menschen an, die aber nicht unbedingt lange blieben. „Der Stadtteil hat eine hohe Fluktuation. Allein die Luthergemeinde schickt pro Quartal immerhin 60 Briefe an neu Zugezogene.“ Für die Zukunft rechnet er mit einem Generationanwechsel im Stadtteil: „Wohnen in der Stadt wird immer beliebter und der Seelberg ist gut an die Stuttgarter Innenstadt angebunden.“ Schon heute mache sich diese Veränderung bemerkbar. „Wenn ich zum Beispiel zu einem Taufgespräch komme, passiert es mir regelmäßig, dass ich nach dem Aufstieg durch ein altes Treppenhaus plötzlich in einer topmodernen Maisonette-Wohnung einer jungen Familie stehe.“

Einwohner: 8310

Fläche: 55 Hektar

Besonderheit: Geschichte trifft Moderne