Beide von Fach, aber bei Hartz IV ganz und gar nicht einer Meinung: Pascal Kober (FDP) und Leni Breymaier (SPD) im Clinch. Foto: Michael H. Ebner LIPICOM

Hartz IV, 2003 von Rot-Grün eingeführt, spaltet die Genossen bis heute. SPD-Landeschefin Breymaier und FDP-Landesvize Kober wollen beide die Reform der Reform. Das war’s dann aber auch an Gemeinsamkeiten – ein Streitgespräch.

Berlin - Hartz IV, 2003 von der SPD eingeführt, spaltet die Partei bis heute. SPD-Landeschefin Breymaier und FDP-Landesvize Kober wollen beide die Reform der Reform. Das war’s dann aber auch an Gemeinsamkeiten.

Frau Breymaier, ist Hartz IV gescheitert?
Breymaier: Bevor 2003 die Entwürfe zur Gesetzgebung kamen, hat alle Welt nach Reformen geschrien. Wir hatten eine deutlich höhere Arbeitslosenquote als heute, und es war in der Bevölkerung die Erwartung da, dass etwas passieren muss. Wir leben jetzt in einer anderen Zeit. Und wir sehen, wo die Hartz-Gesetzgebung übers Ziel hinaus geschossen ist. Auch angesichts einer völlig neu zu ordnenden Arbeitswelt im digitalen Zeitalter müssen wir die Regeln überprüfen.
Sehen Sie das auch so, Herr Kober?
Kober: Einiges ist gelungen. Durch das Prinzip Fördern und Fordern wurde die Zahl der Langzeitarbeitslosen halbiert. Manches aber wurde von Beginn an falsch konzipiert. So sollten sich zum Beispiel von fünf Mitarbeitern in den Job-Centern nur einer mit der Leistungsberechnung beschäftigen. Die anderen vier waren eigentlich für die Betreuung vorgesehen. Heute ist das Verhältnis halbe-halbe. Das zeigt deutlich: Das System wurde viel zu bürokratisch angelegt. Eine weitere Fehlentscheidung: Zu hohe Hürden für die Qualifizierung im ersten Arbeitsmarkt. Obwohl man weiß, dass nichts anderes besser hilft als Erfahrung im Arbeitsmarkt. Gewerkschaften hatten die Befürchtung, dass bestehende Arbeitsplätze gefährdet würden.
Frau Breymaier, Sie sagten, Hartz IV sei übers Ziel hinaus geschossen. Was meinen Sie damit?
Breymaier: Das Existenzminimum ist nicht gekoppelt an ökonomische Verwertbarkeit, sondern einzig und allein an die Menschenwürde. Deshalb war es ein großer Fehler, arbeitslose Menschen, denen man lediglich das Existenzminimum an Unterstützung zubilligt, mit Sanktionen zu belegen. Auch die Höhe des Schonvermögens ist viel zu niedrig angesetzt. Wir müssen eine Debatte führen über die Höhe des Hartz-IV-Satzes, die regelmäßig von obersten Gerichten am unteren Rand des noch Zulässigen verortet wird. Auch wenn eine externe Erstattung von Weiterbildungskosten auf den Hartz IV-Satz angerechnet wird, ist das einfach absurd.
Was würden Sie ändern, Herr Kober?
Kober: Das System ist viel zu kompliziert. Die Bürokratie verschlingt immer mehr Geld. Das müssen wir ändern. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass die Hartz-IV-Empfänger, die arbeiten, mehr von ihrem Verdienst behalten dürfen. Wer zur Arbeit geht, sollte mehr als nur 20 Cent von einem Euro behalten dürfen. Hierzu müssen wir die Zuverdienstgrenzen großzügiger gestalten. Das bringt am Ende den Betroffenen mehr als eine Erhöhung des Satzes um ein paar Euro.
Wer die Debatte in der SPD über ein solidarisches Grundeinkommen verfolgt, gewinnt den Eindruck, dass damit das Hartz-IV-System abgeschafft werden soll. Ist das angebracht?
Breymaier: Ich kenne die üblen Fälle. Aber ich gehöre nicht zu jenen, die sagen: Hartz IV muss weg. Dann haben wir ja gar nichts mehr. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war im Kern richtig. Aber wir müssen Fehler korrigieren und das System weiterentwickeln. Es gibt berechtigte Ängste in der Bevölkerung. Wir wissen nicht genau, wie viele Arbeitsplätze durch die Digitalisierung oder durch den rasanten Wandel in der Autoindustrie wegfallen. Menschen, die heute gut zurecht kommen, haben Angst, dass sie morgen abstürzen, weil es ihren Job einfach nicht mehr gibt. Darauf brauchen wir Antworten. Vor Hartz IV folgte dem Arbeitslosengeld die Arbeitslosenhilfe. Auch die orientierte sich noch am letzten Einkommen. Der Absturz in Hartz IV folgt viel abrupter. Das empfinden viele als zutiefst ungerecht. Wir haben im Koalitionsvertrag schon ein paar Verbesserungen verabredet, etwa beim Schonvermögen. Aber parallel dazu müssen wir in der SPD grundsätzlich über die langen Linien diskutieren. Auch, um wieder erkennbarer zu werden.
Teile der SPD wollen ein solidarisches Grundeinkommen einführen. Langzeitarbeitslose, die öffentliche Beschäftigungsangebote wahrnehmen, sollen ein garantiertes Grundeinkommen mit Mindestlohn bekommen. Sind Sie dafür, Frau Breymaier?
Breymaier: Bei der Idee vom s olidarischen Grundeinkommen schnappe ich nicht über vor Begeisterung. Diskutieren müssen wir über alles. Konkret verabredet haben wir mit der Union die Stärkung des sozialen Arbeitsmarktes. Mit der verlässlichen Finanzierung der Anbieter. Auch das Ziel der Erreichung des ersten Arbeitsmarktes ist richtig. Aber wir müssen auch ertragen, dass dieses Ziel nicht jeder erreichen wird und trotzdem einer befriedigenden Beschäftigung nachgehen will.
Was halten Sie vom solidarischen Grundeinkommen, Herr Kober?
Kober: Der Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, will vor allem eins: Städte und Gemeinden entlasten. Die staatlich geförderte Hausmeisterstelle, die Herr Müller vorschlägt, lässt sich jedenfalls auch auf dem normalen Arbeitsmarkt organisieren. Öffentliche Fördermittel sind aber nicht dazu da, den Berliner Haushalt zu sanieren. Für die FDP hat die Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt Vorrang. 120000 Stellen sind derzeit unbesetzt. Es gibt also Arbeit. Ich plädiere daher dafür, Lohnkostenzuschüsse auszubauen. Der SPD geht es mehr um sich selbst und weniger um die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen.
Breymaier: Die FDP hat sich doch vom Acker gemacht und scheut die politische Verantwortung.
Kober: Wir regieren dann, wenn wir etwas erreichen können. In unserer letzten Regierungszeit ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen am stärksten gesunken. Wir haben damals dafür gesorgt, dass der Einzelne länger gefördert werden konnte. Es darf nicht mehr passieren, dass Menschen ein halbes Jahr gefördert werden und dann wieder mit leeren Händen dastehen. Wir brauchen sinnvolle Übergänge von Qualifizierungsmaßnahmen. Gerechtigkeitsdiskussionen bringen niemanden in den Beruf zurück. Ich halte es auch für falsch, zum Beispiel Sanktionen bei Hartz IV in Frage zu stellen, wie das die SPD macht. Wenn jemand Geld vom Staat erhält, muss er auch Pflichten einhalten. Das ist Ausdruck unseres Solidaritätsverständnisses.
Breymaier: Ich bin hier anderer Meinung. Ich kann doch nicht einem 23-jährigen arbeitslosen Jugendlichen den Zuschuss zur Miete kürzen. Hartz IV sichert das lebensnotwendige Existenzminimum. Wenn ich jungen Arbeitslosen mit Sanktionen begegne, fallen die komplett durch den Rost. Unser Interesse muss sein, gerade die Jugendlichen bei der Stange zu halten und ihnen Perspektiven zu geben.
Kober: Das will auch ich. Wir sind aber unterschiedlicher Meinung, wie wir das erreichen. Fördern und Fordern ist der richtige Ansatz. Auch nach einer Sanktion muss die Hand ausgestreckt bleiben und ein neues Angebot kommen.