In einigen Kinderarztpraxen im Kreis bekommt man nicht einmal einen Platz im Wartezimmer Foto: dpa

Zahlreiche Mütter beklagen einen eklatanten Mangel an Kinderärzten im gesamten Rems-Murr-Kreis. Die Kassenärztliche Vereinigung sagt, dass dies ein landesweites Phänomen ist, dem ein Fehler im System zugrunde liege.

Rems-Murr-Kreis - Ein Artikel in der „Fellbacher Zeitung“, in dem eine Mutter schildert, wie schwierig es sei, einen Kinderarzt für ihre Zwillinge zu finden, hat auf der Facebook-Plattform unserer Zeitung (Rems-Murr-Report) ein Echo aus fast allen Teilen des Kreises gefunden.

Die Mutter aus Fellbach, die für ihre Buben einen Termin für die U-3-Vorsorgeuntersuchung ausmachen wollte, hatte von zahlreichen Absagen örtlicher Kinderärzte berichtet und davon, dass sie letztlich über die erst kürzlich eingerichtete Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) nach Ditzingen im Landkreis Ludwigsburg vermittelt worden sei. Das hätte für sie gleich zweimal eine Fahrt von mindestens einer Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln bedeutet, denn die Servicestelle konnte ihr zunächst nur einen Termin für einzelnes Kind anbieten – das zweite hätte fünf Tage später dran sein sollen.

Kein Fellbach-spezifisches Problem

Das Problem der Mutter indes ist kein Fellbach-spezifisches. „In Backnang ist es auch so. Meine Tochter geht mit ihren Kindern nach Oberstenfeld“, schreibt eine Frau auf unserer Facebook-Seite. Eine andere berichtet, dass sie seit zwei Jahren dort lebe und noch immer keinen Kinderarzt in der Region gefunden habe, weil diese – wenn überhaupt – nur Neugeborene aufnähmen. „Das selbe in Weinstadt“, schreibt eine Frau, „In Winnenden das selbe“ eine andere – „es ist im gesamten Rems-Murr-Kreis das gleiche Problem einen Kinderarzt zu finden“, resümiert eine dritte.

Kai Sonntag, dem Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, ist dieses Problem sehr wohl bekannt, wenngleich er ein wenig ketzerisch sagt: „Rein formal betrachtet, ist die Versorgungslage super.“ Laut der Bedarfsplanung nämlich sei der Rems-Murr-Kreis in Sachen Kinderärzte mehr als überversorgt, die Quote liege aktuell bei 138,1 Prozent. „Selbst wenn sich ein neuer Kinderarzt niederlassen wollte, wir dürften das nicht genehmigen“, sagt Sonntag.

Obergrenzen für die Zulassung von Fachärzten

Der Grund sei, dass der Gesetzgeber in den 1990er-Jahren sogenannte Kontingente eingeführt habe, Obergrenzen für die Zulassung von Fachärzten, die nach Ansicht von Sonntag nicht mehr zeitgemäß sind. „Der Hintergrund war, zu sparen, das Geld im System zu begrenzen und nicht, dass Eltern möglichst schnell einen Termin für ihre Kinder bekommen“, sagt Sonntag. Diese Berechnungsgrundlage sei bis heute nur rudimentär aktualisiert worden, obwohl sich vor allem der Behandlungsaufwand enorm verändert habe. Eine ganze Reihe von Vorsorgeuntersuchungen, die mittlerweile von den Kinderärzten geleistet würden, habe es beispielsweise damals noch gar nicht gegeben. Außerdem berücksichtige der Bedarfsplan nicht, wie viele Patienten eine Praxis tatsächlich versorgt. Ein Kinderarzt alter Schule etwa behandele pro Quartal durchaus an die 1500 Patienten, während sich ein neuer vielleicht lediglich 1000 zumute.

Die Folge sei, dass fast überall im Land eine Unterversorgung beklagt werde, rechnerisch aber genau das Gegenteil der Fall sei. „Es gibt in ganz Baden-Württemberg zurzeit nur drei Landkreise, in denen sich ein neuer Kinderarzt niederlassen könnte: Biberach, Hohenlohe und Tuttlingen“, sagt Sonntag. Auch die komplette Region Stuttgart gelte formal als überversorgt, die Landkreise Böblingen (150,9 Prozent) und Ludwigsburg (142,5 Prozent) sogar noch in stärkerem Maße als der Rems-Murr-Kreis.

Zwar habe der zuständige Ausschuss unlängst bundesweit 400 zusätzliche Sitze für Kinderärzte in Aussicht gestellt, doch Sonntag glaubt nicht, dass das an der Versorgungslage viel ändern wird. Denn selbst wenn dabei etwa zwei neue Sitze für den Rems-Murr-Kreis rausspringen würden, läge die Quote immer noch deutlich jenseits der Grenze, ab der man einen neuen Arzt zulassen dürfte.

Trend in Richtung Teilzeit

„Und selbst wenn ein Sitz freiwerden würde“, sagt Sonntag, „müsste man immer noch jemanden finden, der diesen ausfüllt.“ Denn dies sei – nicht nur bei Kinderärzten – das nächste Problem, das den Mangel verstärke: „Immer weniger Ärzte sind bereit, eine eigene Praxis aufzumachen, immer mehr wollen lieber als Angestellte arbeiten“, sagt Sonntag. Wie in anderen Berufen auch gehe der Trend in Richtung Teilzeit. Das aber sei als Einzelkämpfer kaum möglich. Sonntag: „Der Transformationsprozess geht deshalb in Richtung größerer Organisationseinheiten.“ Die Mütter, die aktuell händeringend nach einem Kinderarzt suchen, werden diesen kaum abwarten wollen.