Zwölf Jungen und ihr Betreuer wurden vor einem Jahr in einer Höhle in Thailand vom Hochwasser eingeschlossen und konnten erst nach 17 Tagen gerettet werden. Foto: dpa

Ein Jahr ist es her, dass das Höhlendrama von Thailand die Welt bewegte. Die zwölf Jungen sind wieder zurück im normalen Leben. Manche hoffen auf das große Geld - und auf ein besseres Image.

Mae Sai - Für einen Jungen aus der thailändischen Provinz ist Dom Promthep letztes Jahr ganz schön herumgekommen. Der 14-Jährige aus Mae Sai, einer Kleinstadt an der Grenze zu Myanmar, war in England, in Japan, in Argentinien und in den USA. In Bangkok gab der König ihm zu Ehren eine Gala. Bald kommt ein Film („The Cave“) über sein Schicksal ins Kino. Netflix dreht eine Serie, Disney einen Dokumentarfilm. Und sie haben ihm sogar ein Denkmal gebaut.

17 Tage Drama

Die Berühmtheit rührt daher, dass Dom U16-Kapitän der Moo Pah war, der „Wildschweine“, des Fußballvereins von Mae Sai. Am 23. Juni letzten Jahres, einem Samstag, stieg er mit elf anderen Jungen - alle zwischen elf und 16 - und dem Betreuer (25) nach dem Training aufs Rad. Sie fuhren zu einer Höhle und kletterten hinein. Weil der Monsunregen alles überschwemmte, kamen sie nicht mehr heraus.

Das war der Beginn von 17 Tagen Drama. Als sie nach einer beispiellosen internationalen Hilfsaktion endlich gerettet waren, jubelte die halbe Welt. Es war damals schon die nahezu perfekte Heldengeschichte. Heute wird sie so groß wie möglich vermarktet, wobei die Akzente anders gesetzt werden als vor zwölf Monaten.

Thailand, das ohne Hilfe aus dem Ausland damals verloren gewesen wäre, hat sich der Story bemächtigt. Es geht nicht nur ums Geld - auch ums Image. Kein Wunder: So gute Nachrichten gab es aus dem Königreich, wo seit einem Putsch 2014 das Militär regiert, schon lange nicht mehr. Und seither nicht wieder, auch wenn zwischenzeitlich gewählt wurde.

Rundreise nach der Rettung

Im Mittelpunkt stehen natürlich die Kinder. Die ersten Wochen nach der Rettung aus der Tham-Luang-Höhle waren die Moo Pah noch zusammen. Anfangs in Quarantäne im Krankenhaus, dann für zwei Wochen im Tempel, wo sie sich nach buddhistischem Ritus die Köpfe rasieren ließen. Und schließlich zusammen auf Tour: bei der FIFA, bei Manchester United, zu Talkshows in den USA. Drei der Jungen und der Betreuer, die bis dahin staatenlos waren, bekamen einen thailändischen Pass.

Im größten Tempel ihrer Heimatstadt gibt es ihnen zu Ehren jetzt sogar ein Museum. Der Trainer hilft dort jetzt manchmal aus. Im Museum sind ihre Fußballschuhe ausgestellt, die Rucksäcke, mit denen sie unterwegs waren, und auch eines der Räder. Am Ausgang stehen dann alle fast lebensgroß in Stein, mit orangenen Mönchsgewändern und merkwürdigerweise auch mit blauen Haaren. Dom, der Kapitän, ist gleich der erste, ganz außen rechts.

Seine Mutter, Noi Promthep, weiß nicht so recht, was sie von der Verehrung halten soll. „Ich bin sehr stolz“, sagt die 42-Jährige, die auf dem Markt einen Wäschestand betreibt. „Ihm geht es gut. Aber er kommt nicht mehr so oft nach Hause.“ Dom geht in Chiang Mai aufs Internat, 250 Kilometer weiter. An der Schule von Mae Sai sind von den „Wildschweinen“ nur noch fünf. Der Sportplatz in der Nähe, wo sie früher gekickt haben, ist an diesem Abend leer.

Exklusivverträge mit Netflix

Schuldirektor Kanet Pongsuwan sagt: „Einige sind jetzt in dem Alter, wo sie rebellischer werden. Sie gehen häufiger aus und spielen nicht mehr so viel Fußball.“ Die Jungen würden aber behandelt wie alle anderen Schüler auch. Doch natürlich gibt es Neid. Zwei von ihnen haben auf Instagram jeweils fast 150 000 Follower. Man würde die „Wildschweine“ zu all dem auch gern selber befragen. Doch das ist unmöglich. Alle Bitten um ein Treffen werden abgeblockt.

Die Fußballer und ihre Eltern haben Exklusiv-Verträge geschlossen. Wer sie interviewen darf, wird in Bangkok entschieden. Es ist wohl auch eine Frage des Geldes. Allein für die Netflix-Serie soll jede Familie nach einem Bericht der Lokalzeitung drei Millionen Baht (etwa 86 000 Euro) bekommen. Bislang jedoch, so heißt es unter der Hand, haben sie davon noch nichts gesehen. Doms Mutter sagt nur: „Ich mag nicht über Geld reden.“

Höhle ist ein Wallfahrtsort

Die Höhle selbst ist zu einem Wallfahrtsort geworden. Alles in allem wurden schon 1,3 Millionen Besucher gezählt. Vor einer Weile waren an einem einzigen Wochenende mehr als 10 000 Leute da - obwohl es eigentlich nicht viel zu sehen gibt. Das schwarze Loch, über das man früher hineinkam, ist abgesperrt. Am Zaun hängt ein Foto der zwölf Jungen und des Trainers sowie ein Schild „Sperrgebiet“. Nächstes Jahr wird die Höhle vielleicht wieder geöffnet.

In der Nähe soll bald ein weiteres Museum eröffnen. Davor steht schon ein Denkmal für den Mann, der für die Thais der größte Held ist: der ehemalige Marinetaucher Saman Kunan, einziges Todesopfer des Dramas. Dem 37-Jährigen ging, noch bevor die eigentliche Rettung begann, in der Höhle der Sauerstoff aus. Am Monument wuseln bronzene Wildschweine um seine Füße: ein großes und zwölf kleine. Davor legt eine Gruppe von Touristinnen weiße Blumen nieder.

Eine von ihnen, Siri Meeratsamee, sagt: „Ich bin so stolz auf ihn. Und auf mein Land. Keiner hat geglaubt, dass wir es schaffen. Aber wir haben es geschafft.“ Dann kauft sich die Frau an einem der vielen Dutzend Stände noch ein T-Shirt mit dem Porträt des Tauchers und ein Los für die Lotterie. Man kann sterben in der Tham-Luang-Höhle. Man kann dort aber auch sehr viel Glück haben.