Am 14. August 2015, also vor genau einem Jahr: Die ersten Flüchtlinge ziehen vorübergehend in eine Nebenhalle der Schleyerhalle ein. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Vor einem Jahr wurde mit der Belegung der Schleyerhalle auch in Stuttgart die Flüchtlingskrise offenkundig. Heute ist die Zahl der neu eintreffenden Asylbewerber deutlich niedriger.

Stuttgart - Die ersten deutlichen Zeichen dafür, dass eine wachsende Flüchtlingswelle auf das Land zusteuert, gab es in Stuttgart bereits Anfang Juli 2013. Da musste die Stadt in einer „Ad-hoc-Unterbringung“ kurzfristig Wohnplätze für 84 Flüchtlinge schaffen, die sie in einem Trakt des ehemaligen Bürgerhospitals einquartierte. Im November dann wurde klar: Ohne den Neubau von Unterkünften würde die Stadt ihre Aufgabe nicht schaffen können. Seither hat sich der Ausdruck „Systembau“ im Vokabular der Kommunalpolitik festgesetzt.

Es dauerte aber noch bis Anfang August 2015, dass auch in der Landeshauptstadt der Zustand erreicht war, den man seither die „Flüchtlingskrise“ nennt. Weil der Zustrom von Asylsuchenden in dieser Zeit so sehr angeschwollen war, griff das Land erstmals auch auf eine Immobilie der Stadt zurück, um vorübergehend Neuankömmlinge unterzubringen. Am 14. August, also vor genau einem Jahr, kamen die ersten von insgesamt rund 500 Menschen an, die vorübergehend zwei Wochen lang in zwei Nebenhallen der Schleyerhalle einquartiert wurden.

Im Monat so viele wie für ein Jahr erwartet

Mit welcher Rasanz diese Entwicklung voranschritt, zeigen einige Zahlen: Anfang des Jahres 2013 rechnete das Land noch mit etwa 11 000 neuen Flüchtlingen, das Jahr zuvor waren es 7900 gewesen. Allein im Jahr 2015 hat Baden-Württemberg dann aber zunächst 185 000 Menschen aufgenommen, von denen knapp 98 000 einen Asylantrag gestellt haben. Die anderen wurden auf andere Bundesländer verteilt. In Stuttgart rechnete man Ende 2013 noch mit monatlich 120 bis 130 Flüchtlingen, für das ganze Jahr 2014 waren 1320 prognostiziert. Alleine im November 2015, dem bisher stärksten Monat, wurden der Stadt vom Land aber dann 1136 Asylbewerber zugewiesen.

Noch im Januar und Februar dieses Jahren kamen jeden Monat mehr als 800 Flüchtlinge nach Stuttgart. Seit April aber gehen die Zahlen deutlich zurück. Im Juli waren es noch 160, mit ähnlich vielen rechnet man im August. Aktuell leben in den 153 städtischen Unterkünften insgesamt 8519 Menschen. In den Gebäuden auf dem Areal des ehemaligen Bürgerhospitals, dem größten Standort, leben derzeit rund 1200 Personen.

Seit April sinken die Zahlen deutlich

„Seit April sind wir in einem gut handhabbaren Bereich“, sagt Stuttgarts Sozialamtsleiter Stefan Spatz. „Jetzt bewegen wir uns wieder in geordneten Bahnen.“ Ruhig geht es in der Flüchtlingshilfe aber nicht zu, nur ruhiger. So hat man in den vergangenen Wochen rund 1200 Flüchtlinge aus Interimsunterkünften, aus fünf Turnhallen, aus einigen Waldheimen und leer stehenden Schulgebäuden, in die neu geschaffenen Gebäude umquartiert. Im September sollen dann auch die letzten Notquartiere im Neckarpark und an der Borsigstraße mit insgesamt 900 Plätzen geräumt werden.

Die größte Gruppe unter den Flüchtlingen sind die Syrer (33 Prozent), vor den Asylbewerbern aus dem Irak (16 Prozent) und aus Afghanistan (13 Prozent). Das Verhältnis von Alleinstehenden zu Familien, das vor einem Jahr bei 60 zu 40 lag, hat sich verschoben, jetzt machen die Flüchtlingsfamilien 68 Prozent aus. Nur noch wenige stammen aus dem Kosovo (drei Prozent) oder aus Serbien, Mazedonien und Albanien (jeweils zwei Prozent). „Viele vom Westbalkan sind inzwischen zurückgegangen“, sagt Stefan Spatz, „auch durch die engagierte Rückkehrberatung“. Von den im November 2013 erstmals ins Gespräch gekommenen Systembauten stehen inzwischen 38 an 15 Standorten, sie bieten Platz für mehr als 3000 Menschen. Allein seit August 2015 sind rund 1900 Plätze an neun Standorten belegt worden.

3500 Ehrenamtliche sind aktiv

Nach wie vor ungebrochen ist das Engagement von Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe, ohne die diese große Herausforderung nicht im Ansatz zu bewältigen gewesen wäre. In 41 Freundeskreisen sind heute rund 3500 Menschen aktiv. „Gigantisch“, findet Stefan Spatz. Zum Vergleich: Vor einem Jahr waren es noch rund 1500 Ehrenamtliche. Zu den künftigen Herausforderungen gehöre es nun, weiter dazu beizutragen, „dass das ehrenamtliche Engagement nicht abbricht“.

Trotz oder gerade wegen all der Schwierigkeiten, welche die Verwaltung im vergangenen Jahr zu meistern hatte, ist man dort heute auch ein bisschen stolz. „Wir gehen gestärkt und selbstbewusster daraus hervor, weil wir gesehen haben, dass wir auch überraschende Herausforderungen stemmen können“, sagt der Leiter des Sozialamts. Stefan Spatz betont aber auch: „Die Zeit zwischen September und März ist auf die Knochen der Mitarbeiter gegangen.“ Zumal ein Viertel von insgesamt gut hundert der alleine in der Stadtverwaltung für den Flüchtlingsbereich vorgesehenen Stellen auch jetzt noch gar nicht besetzt sind. An Urlaub war da lange kaum zu denken. Zurzeit sind deshalb mehr Beschäftigte als sonst gleichzeitig in den Ferien. „Die Leute müssen endlich mal wieder Kraft schöpfen“, sagt Stefan Spatz.