Studenten protestieren gegen Bolsonaros Einsparungen beim Bildungsbudget. Foto: imago//Cris Faga

Seit zwölf Monaten regiert Brasiliens rechtspopulistischer Präsident Jair Bolsonaro das größte lateinamerikanische Land – und befeuert systematisch Hass, Angst und Gewalt.

Rio de Janeiro - Im beschaulichen Örtchen Nova Padua wollen sie nichts wissen von den so kritischen internationalen Medien, von all den bitterbösen Urteilen über den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der für die einen ein rechtsextremer Brandstifter, für die anderen aber die herbeigesehnte harte Hand gegen Korruption und Kriminalität ist. In keiner anderen Kommune des Landes erreichte Bolsonaro eine derart hohe Prozentzahl an Stimmen wie in der Gemeinde im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul. 93 Prozent haben Bolsonaro gewählt. Es ist April, Bolsonaro ist gerade seit ein paar Wochen im Amt – und Ronaldo Boniatti, Bürgermeister von Nova Padua, erklärt die Rückendeckung so: „Die Menschen hier sind für mehr Eigenverantwortung und weniger Staat.“

 

Wer sich umschaut in dem schmucken Ort, glaubt nicht unbedingt, in Brasilien zu sein. Seit Jahren kein Mord, keine Arbeitslosigkeit, sogar der Müll wird ökologisch sauber getrennt. Die Menschen – nicht wenige sind italienischer Abstammung – wünschen sich ein derartiges Erscheinungsbild auch für den Rest des Landes. Deswegen haben sie Bolsonaro gewählt. Seitdem sind sie ein Thema für die nationalen und internationalen Medien.

Umweltschützer leben in Ungewissheit und Angst

Der in Brasilien lebende Aktivist Glenn Greenwald hatte ein paar Wochen zuvor eine Reporterin für seinen Blog geschickt. Doch die Frau habe sich nicht fair verhalten und schlecht über die Menschen geschrieben, berichten Einwohner in Gesprächen mit unserer Zeitung, deshalb seien sie zurückhaltend. Padre Mario Pascoal, katholischer Priester der ortsansässigen Pfarrei Santo Antonio, hat Angst um den Ruf seiner Gemeinde und stellt klar: „Sie werden hier kein einziges Plakat oder Foto von Bolsonaro finden.“

Wohl aber scharfe Kritik an der brasilianischen Linken. Guido Baggio, der selbst der gemäßigten linken Partei PDT angehört, macht die linke Arbeiterpartei PT der Ex-Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff für den Aufstieg Bolsonaros mitverantwortlich. „Die PT bekennt sich nicht zu ihrer Mitverantwortung im riesigen Korruptionsskandal, der das Land erschüttert hat“, sagt Baggio. „Ohne eine Aufarbeitung wird sie es schwer haben.“

Knapp 3000 Kilometer weiter nördlich in Santarem am Amazonas ist nicht nur das Klima, sondern auch die Stimmungslage eine ganz andere. Zwar holte Bolsonaro auch hier 56 Prozent der Stimmen, doch gibt es hier eine breite Opposition, gespeist aus indigenen Aktivisten, Umweltschützern und Menschenrechtlern. Inzwischen ist es Juli, Bolsonaro ist sechs Monate im Amt, und in Santarem schließen sie die Reihen. Einer, der sich für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes einsetzt, ist Caetano Scannavino, Leiter der NGO Saude e Alegria (Gesundheit und Freude). Er hat zu einem Treffen gebeten. Gekommen sind indigene Bauern, Feministinnen, Umwelt- und Waldschützer. Es geht um die Umstellung auf eine ökologische Landwirtschaft, aber auch darum, was die neue Politik für die Region bedeutet. „Es gibt viel Ungewissheit, Sorgen und auch Angst“, sagt Scannavino.

Schlechtes Image der Regierung im Ausland

Zum Ende des Jahres sollten seine Befürchtungen Realität werden. „Plötzlich standen schwer bewaffnete Polizisten in unserem Büro“, berichtete Scannavino kürzlich im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie seien nicht gewalttätig gewesen, aber sie hätten Angst verbreitet. Saude e Alegria geriet urplötzlich in die Schusslinie durch den Präsidenten, der Nichtregierungsorganistionen wie den World Wildlife Fund oder andere Umweltschutzorganisationen für die weltweit beachteten Brände im Land verantwortlich machte. Freilich ohne dafür überzeugende Beweise vorzulegen. Diese steckten gemeinsam mit Feuerwehrleuten unter einer Decke, hieß es aus dem Bolsonaro-Lager.

Die schweren Feuer in Brasilien haben das ohnehin schon schlechte Image der Regierung im Ausland weiter ramponiert. Scannavino lieferte sich via sozialen Netzwerken eine verbale Auseinandersetzung mit Eduardo Bolsonaro, dem Sohn des Präsidenten, der Saude e Alegria mit den Bränden im Amazonas öffentlich in Verbindung brachte. Für die NGO-Mitarbeiter könnte das lebensgefährlich sein, denn die Bolsonaro nahestehende Agrar- und Holzmafia ist für Morde an indigenen Waldwächtern verantwortlich. Scannavino reagierte auf Twitter besonnen, lud den Präsidentensohn ein, damit dieser die Arbeit vor Ort kennenlerne.

Es ist inzwischen Dezember, und nicht nur für Saude e Alegria ist Umweltschutz nach einem Jahr Bolsonaro eine gefährliche Angelegenheit geworden. „Wer Verbrechen an der Umwelt meldet, wird verhaftet. Jene, die die Verbrechen begehen, werden aber gute Bürger genannt, weil sie die lokale Wirtschaft ankurbeln“, sagt Scannavino verzweifelt.

Der 58-Jährige José Urutau vom indigenen Volk der Guajajara hat seine eigene Theorie über das Vorgehen der Regierung Bolsonaro. Er hat jedes Vertrauen in die brasilianische Politik verloren. Seit ein paar Jahren harrt er mit Freunden und Familien im baufälligen Museum der indigenen Kultur direkt am Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro aus, um den historischen Bau vor dem endgültigen Verfall zu retten. Eigentlich sollte das historische Museum VIP-Parkplätzen für die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 weichen, die Lula da Silva ins Land holte.

Rückgang der Mordrate um 22 Prozent

Doch die Ureinwohner wehrten sich, ihnen gelang es, zumindest den Bau zu erhalten, der nun langsam, aber sicher verrottet. „Die alte Regierung steckte ihr Geld lieber in Stadien, die neue Regierung steckt es lieber in Kirchen“, sagt Guajajara mit Blick auf den Schulterschluss zwischen den erzkonservativen evangelikalen Kirchen und der Bolsonaro-Regierung. Für deren Haltung gegenüber den indigenen Völkern glaubt er die Gründe zu kennen: „Die Geburtenrate bei den Indigenen liegt bei acht bis zehn Prozent, bei den Nichtindigenen bei drei Prozent. Sie haben ganz einfach Angst, dass wir schneller wachsen als sie.“

Im Lieblingslokal der Bolsonaros, dem Gaucho da Vila in Brasília, gibt es das, was Konservative „richtiges Fleisch“ nennen. Wirtin Patricia kennt die Präsidentenfamilie persönlich. „Sie sind Familienmenschen“, sagt die 34-Jährige, die sich über die internationale Berichterstattung ärgert, die ein völlig falsches Bild zeichne. Die Bolsonaros seien einfache, bescheidene Menschen. Und sie ist überzeugt: „Ja, Brasilien hat sich zum Besseren verändert. Die Menschen spüren, die Wirtschaft kommt wieder auf die Beine.“

Auch Elitusalem Gomes de Freitas, Ex- Polizeimajor, jetzt Kommunalpolitiker in Rio de Janeiro, ist begeistert von „seinem Präsidenten“: Rückgang der Mordrate um 22 Prozent, 12 Prozent weniger Vergewaltigungen. Die Politik der harten Hand zahle sich aus. Die Kehrseite der Medaille: Allein die Polizei in Rio de Janeiro hat in den ersten zehn Monaten des Jahres den höchsten bisher im dem Teilstaat gemessenen Wert an Tötungen erreicht. Von Januar bis Oktober wurden 1546 Personen durch Sicherheitskräfte getötet, mehr als im gesamten bisherigen Rekordjahr 2018.