Was gegen Ärger hilft: Wommy mit „Antistressbällen“ Foto: Thomas Geromiller

Frl. Wommy Wonder schaut keine EM-Spiele. Trotzdem sind für die schwäbische Travestie-Lady die Fußballtage gerade äußerst aufregend: Ihre Fans suchen nach einer verpassten Dating-Chance im großen Stil „Mister Perfect“ für sie.

Stuttgart - Die großen Dinge in einem Volke geschehen gewöhnlich durch die Minderheit. Schon vor 150 Jahren hat dies der französische Theologe Ernest Rénan erkannt. Auch Michael Panzer wollte katholischer Theologe werden, ist aber nach dem Staatsexamen an der Weggabelung einem anderen T gefolgt – der Travestie.

Auch wenn sich der Mann von der Alb fortan nicht in den kirchlichen Dienst gestellt hat, wirkt er nun als Frl. Wommy Wonder , also als Teil einer Minderheit, am Vorankommen der Menschheit mit. An Tagen wie diesen gehört Panzer einer weiteren, noch selteneren Minderheit an, die winziger kaum sein könnte. Er schaut sich kein Fußball-Spiel der EM an! Echt, solche Leute gibt es nach Deutschland gegen Italien noch! Eine Mini-mini-Minderheit mit balllosen Fantasien lebt unter uns, und wir nehmen sie kaum wahr.

Aktion „Wommy for love“

Am Samstagabend beschloss Michael Panzer, von Nellingen, wo er wohnt, mit der Stadtbahn zum Kneipenbesuch in die City zu fahren – nicht ahnend, was da beim und nach einem Viertelfinalspiel mit allerknappstem Deutschland-Sieg los ist. Im Fußballfangedränge im Kessel beschloss er, auf der Stelle heim zu fahren.

Was man in einer für die Fußballwelt historischen Nacht alles falsch machen kann, hat der Travestiekünstler danach seinem sozialen Netzwerk anvertraut.

„Was bin ich für ein Vollhorst!“, schrieb Wommy, „ich versage immer, wenn’s drauf ankommt.“ An diesem Abend ist ihm „Mister Perfect“ in der Stadtbahn begegnet – und ausgestiegen, bevor die wichtigsten Kontaktdaten ausgetauscht werden konnten. Die Netzgemeinde nimmt regen Anteil und hilft fantasievoll mit bei der Suche nach „Mister Perfect“.

Immerhin weiß Wommy, dass der Unbekannte, der sie an der Haltestelle Olgastraße angesprochen hat, weil er sie von der Bühne kennt, als Beamter bei der Stadtverwaltung arbeitet und von Facebook und anderen Profilen gar nix hält.

Aktion „Wommy for love“: Ihre Fans haben eine groß angelegte Suche im Netz gestartet. Sie teilen und posten bei Facebook eifrig die Fakten, wollen Flugblätter mit einem Phantombild in die Briefkästen werfen, abends durch die Parksiedlung laufen und Haltestellen abklappern. Der Unbekannte, glaubt Panzer nach den Gesprächen in der Bahn, gehört ebenfalls zur doppelten Minderheit, interessiert sich also auch nicht für die EM. Eine Vuvuzela hatte er nicht dabei.

Mario Gomez kam im selben Krankenhaus wie Wommy zur Welt

Ach, wär’ das schön, könnten sich Wommy und „Mister Perfect“ am Donnerstag treffen – zum Nichtfußballschauen! Wommy könnte erzählen, dass sie eine Verknüpfung mit Mario Gomez hat (beide sind im Krankenhaus Riedlingen geboren) und dass sie ihn nach seinem verletzungsbedingten EM-Aus gern trösten würde („ich könnt’ ihm meine Brust zum Anlehnen ausleihen, die brauch’ ich erst am Freitag zum nächsten Auftritt wieder“), aber dann wär’ das Fußballthema für die beiden schnell beendet.

„Überwältigt“ ist Panzer, wie seine Fans „Mister Perfect“ für ihn suchen. Er selbst beteiligt sich nicht daran. „Fräulein zu sein, das ist meine Lebensaufgabe“, sagt der 48-Jährige. Sein Single-Dasein müsse er akzeptieren: „Sonst habe ich im nächsten Leben ein schlechtes Karma.“

Wenn Panzer sich übers Alleinsein ärgert oder wenn ihm sonst was auf den Magen schlägt, weiß er, was für innere Ruhe und Zufriedenheit sorgt. Er spielt mit kleinen Fußbällen – mit „Antistressbällen“ zum Kneten. Wär’ doch was für die Franzosen am Donnerstag! Damit sie ihre Niederlage schneller verdauen.