Marianne Hold spielt die Titelheldin in „Die Fischerin vom Bodensee“. Foto: DIF

In den 50er Jahren rauchten in Deutschland viele Fabrikschlote. Auf den Kinoleinwänden aber leuchtete die heile Natur. Klaus Friedrich, der sonst mit dem Kinomobil über die Dörfer von heute fährt, holt so eine Schnulze nun zurück ins aktuelle Programm: „Die Fischerin vom Bodensee“.

Konstanz - Sichtlich vergnügt tragen zwei junge Frauen, fraglos Zwillingsschwestern, ihre gelben Trachten. Dass die Flügel links und rechts an ihren Hauben an Schmetterlinge denken lassen, dass Männer also amüsiert herabschauen könnten auf vermeintliche Flatterwesen, scheint die beiden nicht zu stören. „Fang mich“, ruft die eine und rennt los, die andere flitzt fröhlich hinterdrein. Man hat den Verdacht, sie spielten nicht selbstvergessen für sich, sondern für Beobachter, denen sie signalisieren: „Schaut, so lustig sind wir, wir kennen unseren Platz, von uns geht keine Gefahr aus.“ Ja, wir befinden uns im deutschen Heimatfilm der Wirtschaftswunderjahre, genauer gesagt, in Harald Reinls Kinohit „Die Fischerin vom Bodensee“ aus dem Jahr 1956.

Den muss man nicht mehr im Sonntagnachmittagsprogramm obskurer Kabelsender suchen, er kommt tatsächlich wieder auf die Leinwand. Ist das geschäftlicher Wahnwitz, ein volkstümlicher Heimatkoller oder ein kalkuliertes Spottprojekt? Klaus Friedrich, der für die Wiederaufführung verantwortlich ist, winkt ab. Keine große Überlegung sei der Kern des Projekts gewesen, sondern ein Bauchgefühl. Friedrich macht seit Jahrzehnten mobiles Kino in Baden-Württemberg. Er fährt in kleine Orte, in deren Umfeld kein reguläres Kino mehr aktiv ist, und baut dort in Gemeindehallen oder Festsälen für einen Tag Leinwand und Projektor auf. Vor 20 Jahren zeigte er auf einem Schiff auf dem Bodensee den Spielfilm „The Commitments“ und hörte, dass zehn Jahre zuvor ein Kollege „Die Fischerin vom Bodensee“ auf dem Wasser vorgeführt hatte. „Ich bekam sofort Lust, das auch zu machen“, sagt Friedrich. „Die Menschen mögen es sehr, Kino mal in anderem Rahmen zu erleben.“

Die Heimatschnulze wird digital

Nur war damals nichts zu wollen. Die Rechte für die Liebesgeschichte lagen wie die vieler anderer Heimatschnulzen beim Großhändler Leo Kirch, der sie paketweise an deutsche Fernsehsender verkaufte und gar kein Interesse an kleinen Kinoauswertungen hatte. „Die finanziellen Forderungen“, sagt Friedrich, „waren unerfüllbar. Und vielleicht wäre ja eine verschlissene Kopie aus dem Lager gekommen, die schon damals nicht mehr schön ausgesehen hätte, mit Kratzern, Laufstreifen und ausgebleichten Farben.“

Ganz aus dem Sinn aber ging dem Kinomobilisten die „Fischerin vom Bodensee“ nie. Und so unternahm er einen ganz neuen Anlauf, weil die Rechte heute bei einer anderen Firma liegen. Dort sah man schnell ein, dass Friedrich vermutlich kein Vermögen mit der Wiederaufführung scheffeln würde. Man begriff aber die anderen Vorteile des Vorhabens: Mit Hilfe der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg und der Filmförderungsanstalt des Bundes in Berlin konnte Friedrich das Werk von Reinl restaurieren und in ein Datenpaket verwandeln lassen. So kann er nun eine wieder leuchtende „Fischerin vom Bodensee“ unterwegs von der Festplatte aus in einen Digitalprojektor speisen. Der Rechteinhaber erhält das Datenpaket als Hauptteil der Bezahlung und kann den Film in aufgefrischter Form besser vermarkten: an TV-Sender, Streaminganbieter und DVD-Labels.

Fast schon subversiv

Die Sondervorführung auf der Autofähre vor Friedrichshafen hat Klaus Friedrich nun wahrgemacht. Aber aus der ursprünglichen Event-Idee ist mehr geworden. Kinos quer durch Baden-Württemberg zeigen den Film, und Friedrich ist nun nicht nur Kinochef, Fahrer und Filmvorführer, sondern auch noch Filmverleiher.

Warum aber sollte sich ein modernes Publikum heute noch anschauen, wie die arme, aber stolze Tochter einer Fischersfamilie und der smarte, aber herzensgute Sohn eines reichen Fischzüchters nach Kabbeleien und Missverständnissen zueinander finden? „Weil man gut sehen kann, wie die Leute sich damals die Welt wünschten“, erklärt Friedrich. „Weil da eine Sehnsucht nach Heimat, Geborgenheit und Harmonie auf die Leinwand kommt, die auch heute noch in uns steckt. Dabei ist die ,Fischerin’ aber kein reiner, biederer Formelfilm. Er hat Übertreibungen und Karikaturen, die schon fast wieder subversiv sind.“

Spaß oder Heimattümelei?

Der junge deutsche Film war gegen solche Bilder eines heilen Deutschland in den Sechzigern wütend aufgestanden: Er kanzelte das Heitere und Putzige als Verdrängungskino ab. Passt „Die Fischerin vom Bodensee“ also zu einem deutschen Rechtsruck, bei dem Geschichtsvergessenheit eine große Rolle spielt? Sitzen am Ende jene im Kino, die sich ein von Migration unberührtes Deutschland zusammenfabeln, das es so nie gab, das sie aber unbedingt wiederherstellen möchten?

Dieser Gedanke ist Klaus Friedrich fremd. „Man sieht doch Bild für Bild, dass diese Bodenseewelt ein Fantasiegebilde ist. Das ist kein politisches Programm. Dass es Menschen gibt, die sagen, in so einer Welt würde ich mich am wohlsten fühlen, ist doch ganz legitim. Unterschiedliche Visionen von der perfekten Welt gehören zur Demokratie. Aber die ,Fischerin’ ist auch ein kunstgeschichtliches Dokument. Und ich wehre mich ganz entschieden gegen Menschen, die solche Dokumente verändern, tabuisieren oder unterschlagen wollen.“ Dann muss er lachen, weil er sich bei solchen Aussagen selbst ein wenig zu ernst vorkommt. „Die meisten Leute gehen ins Kino, weil sie sich ein paar Stunden wegträumen wollen. Und das klappt in der ,Fischerin vom Bodensee’ ganz prima.“

In Stuttgart läuft „Die Fischerin vom Bodensee“ ab 18.07. 2018 im EM.