Düster und grau – so scheint das Leben für depressive Personen. Aber die Krankheit lässt sich gut behandeln. Foto: dpa

Mit dem Kopf gegen die Wand, so lange, bis der Schmerz die negativen Gedanken vertreibt: Das war lange Zeit die Strategie für Markus Scheller, mit seiner Depression umzugehen. Der 28-Jährige war in einer Klinik – und will endlich normal leben.

Ludwigsburg - Etwa jede zehnte Person im Kreis Ludwigsburg leidet an einer Depression. Das hat die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Ludwigsburg ermittelt. Gut 19 000 Versicherte der Krankenkasse seien im vorigen Jahr im Kreis davon betroffen gewesen, landesweit seien es rund 465 000 Menschen. Einer von ihnen ist Markus Scheller (Name geändert). Der 28-Jährige leidet wohl seit seiner Jugend an Depressionen, wie er selbst vermutet. Festgestellt wurde die Krankheit jedoch erst Anfang dieses Jahres. „Ich hatte gerade eine sehr stressige Phase, musste einen Umzug mit Renovierung und meine Arbeit unter einen Hut bekommen“, erzählt der gelernte Krankenpfleger.

Das war zu viel für ihn, der Stress ohnehin schlecht verträgt, die Arbeit sei ihm über den Kopf gestiegen. Zunächst habe er keine Lust mehr auf Kontakt mit Menschen gehabt, habe sich eingeigelt, viel gegrübelt und auch Selbstmordgedanken gehegt. „Dann bekam ich eines Tages einen Nervenzusammenbruch.“ Den beschreibt er so: Mit dem Kopf habe er mehrmals fest gegen die Wand geschlagen und dabei laut geschrien. „Wenn ich mit den Kopf gegen die Wand haue, dann geht der Schmerz dahin, wo die Gedanken sind“, sagt Scheller. Es war nicht sein erster Versuch, die Gedanken mit Schmerz zu vertreiben – aber sein heftigster. Seine damalige Partnerin schickte ihn nach diesem Ausbruch zum Arzt. „Der stellte eine Depression fest und wies mich in die Psychiatrie in Bad Cannstatt ein“, berichtet der Ludwigsburger.

Scheller hat versucht, sich umzubringen

Dort bekam er Medikamente verschrieben und eine Therapie, die Sport, Entspannungsübungen, tägliche Rituale und einen Kurs über die Krankheit beinhaltete. „Erst da ist mir die Schwere und Tiefe meiner Depression wirklich bewusst geworden“, sagt Scheller. Dass er depressiv sei, habe er allerdings schon lange geahnt. „Ich weiß, dass es in meinem Leben auch viele gute Phasen gegeben haben muss“, sagt er. „Aber ich kann mich an diese kaum erinnern.“ Sein bisheriges Leben sei geprägt von düsteren Gedanken, von Gefühlen der Wertlosigkeit, die ihn ständig beschäftigten. „Als Jugendlicher habe ich daran geglaubt, dass Leben gleichbedeutend mit Leiden ist.“

Er sehe alles durch eine schwarze Brille. Auch über das Leben und seinen Ort darin habe er viel nachgedacht, manchmal so lange, bis die Gedanken sich im Kreis drehten und kaum auszuhalten waren. Dann haute er mit dem Kopf gegen die Wand. Auch Suizidgedanken hegt Scheller, noch immer. Einmal hat er bereits versucht, sich umzubringen. „Ich bin froh, dass es bei mir mit 28 so stark ausgebrochen ist, denn dann kann ich noch was verändern. Je älter man ist, wenn man sich in Behandlung begibt, umso schwieriger wird es.“

Ausreichend Schlaf, gut Essen und geringe Belastung

Er möchte seine Depression endlich hinter sich lassen. „In der Klinik habe ich das erste Mal erlebt, dass Depressionen heilbar sind. Allerdings ist das ein langer Prozess.“ Martin Bürgy, der Ärztliche Leiter des Zentrums für Seelische Gesundheit am Klinikum Stuttgart, sagt: „Wer einmal eine depressive Phase hatte, bei dem besteht die Gefahr, dass die Depression irgendwann wiederkommt. Je mehr und je stärker die Phasen, umso wahrscheinlich, dass weitere folgen werden.“ Ausreichend Schlaf, regelmäßige Mahlzeiten und das Einhalten von Belastungsgrenzen würden allerdings helfen, die Krankheit im Zaum zu halten, rät der Experte.

Mit seinen 28 Jahren ist Scheller kein typischer Fall. Bei den meisten Patienten breche die Depression mit 40 Jahren oder noch später aus, sagt Bürgy. Vor allem Personen, die an sich selbst hohe Ansprüche stellten oder sich stark an anderen Personen orientierten, seien typische Patienten seiner Klinik. Etwa Berufsgruppen wie Ärzte, Lehrer oder Sozialarbeiter.

Männer bringen sich doppelt so oft um wie Frauen

In der Statistik der AOK für den Kreis tauchen doppelt so viele depressive Frauen wie Männer auf. Das trüge, sagt Bürgy. Aber Frauen würden eher professionelle Hilfe suchen als Männer. Sie begingen zwar viermal so viele Suizidversuche wie Männer, aber die Selbstmordrate bei den Männern sei doppelt so hoch. „Hinter über 95 Prozent der Selbstmorde steckt eine Depression“, sagt der Facharzt.

Scheller befindet sich nach eigener Sicht momentan in einer relativ stabilen Phase. Ab und zu treffe er sich mit Bekannten aus der Klinik in Bad Cannstatt, außerdem besucht er eine Selbsthilfegruppe in Ludwigsburg. Vor allem seine Arbeit als Pfleger gebe ihm Halt und Struktur. Für seinen Job schafft er es auch, jeden Morgen um fünf Uhr pünktlich aus dem Bett zu kommen.

Vor Kurzem hat er seinen Arbeitsplatz gewechselt. Nun betreut er weniger akute Krankheitsfälle, was weniger Stress verursacht. Sein neuer Arbeitgeber weiß noch nichts von seiner Krankengeschichte. „Irgendwann werde ich es ihm aber sagen.“ Seine Freunde und die Familie wissen von seiner Depression. „Der Umgang mit dem Thema in der Öffentlichkeit ist gut. Das Schwierigste ist es, sich selbst einzugestehen, dass man krank ist und manches eben nicht tun kann.“

Wo man Hilfe bekommt

Treffen
Die Selbsthilfegruppe „Arbeitskreis Depressionen und Ängste“ in Ludwigsburg trifft sich montags von 18.30 bis 20 Uhr. Weitere Informationen zu den Selbsthilfegruppen im Kreis und die Kontaktdaten gibt es unter www.arbeitskreis-depressionen.de.

Übersicht
Informationen zum Thema Depressionen für Betroffene, Angehörige und Arbeitgeber bietet auch die Deutsche Depressionshilfe auf ihrer Homepage unter www.deutsche-depressionshilfe.de/start.