Ein Knochenschiff: der fliegende Holländer Foto:  

Er ist einer der Letzten seiner Art, einer von nur noch 60 Unverdrossenen in Deutschland. Der Plieninger Matthias Schultz hat ein seltenes Hobby: Er baut Buddelschiffe.

Stuttgart - Es sind die letzten großen Fragen der Menschheit: Wer mäht die Kreise in die Kornfelder? Gibt es den Yeti? Und wie kommt das Schiff in die Flasche? Erich von Däniken ist tot, also kommen wir mit den Kornkreisen nicht weiter, beim Yeti kann nicht mal Reinhold Messner helfen. Gut, dass es Matthias Schultz gibt. Er kann erklären, was nur wenige Eingeweihte wissen: wie ein Schiff durch einen Flaschenhals gleitet. Er hat sich sogar eine Methode ausgedacht, die nur in seiner Werft auf seinem Balkon in Plieningen verwendet wird.

Dort sitzt der 44-jährige Redakteur auch jetzt und zeigt eine Auswahl seiner Buddelschiffe. Die Bremen, das Schulschiff Deutschland, eine chinesische Dschunke und den fliegenden Holländer. Der soll befehligt worden sein vom Kapitän Bernard Fokke. Für die ostindische Handelskompanie segelte er zwischen Holland und Java hin und her. Er schaffte das in der sagenhaften Zeit von drei Monaten und vier Tagen. So schnell war das, dass die Zeitgenossen glaubten, der Beelzebub sorge für gewogene Winde. Als Fokke und sein Schiff verschwanden, kam die Legende auf, der Teufel habe ihn geholt. Fortan segelte der fliegende Holländer über die sieben Weltmeere. Schultz hat ihn gebannt und in eine Flasche gesperrt. Passenderweise hat er ihn aus einem Kalbsknochen geschnitzt, so kommt er ziemlich bleich daher.

Kein Hobby für Vegetarier

Vegetarier sollten sich diesem Hobby nicht zuwenden. Erst muss man den Knochen nämlich der Länge nach aufsägen, auskochen und schließlich trocknen. Weder Fett noch Wasser dürfen am Knochen haften, sonst bildet sich Schimmel in der Flasche. Nach dem Metzger kommt der Schiffsbauer. Der braucht eine ruhige Hand, ein gutes Auge und eine Schutzmaske. Beim Sägen und Schleifen staubt es so sehr, dass gegen Schultz’ Balkon das Neckartor wie ein Kurort wirkt. Aus Fensterkitt modelliert Schultz die Wellen, mit weißer Ölfarbe tupft er die Gischt. Dann setzt er den unteren Teil des Rumpfs aufs Meer (die Kanonen lassen sich in den Rumpf schieben), damit er durch die 2,4 Zentimeter breiten Flaschenhals passt. Darauf kommt das Oberteil des Rumpfs. Dann seilt er die Masten und Segel ab und befestigt sie mit Fäden am Rumpf. Der Holländer fliegt wieder.Weltweit gibt es nur 300 dieser Knochenschiffe. Bei dem Aufwand kein Wunder. Es sagt viel aus über Schultz, dass er sich daran gewagt hat. Eigentlich ist er noch ein Novize. Erst vor drei Jahren hat der gebürtige Bremer sein erstes Buddelschiff gebaut. Als Kind hat er mal einen Teeclipper zusammengeleimt und aus 4100 Streichhölzern den Leuchtturm Roter Sand gebaut. Doch das zähle nicht. „Mein erstes Buddelschiff war die Deutschland“, sagt er. Das ist ein Schulschiff, das in Bremen vor Anker liegt. Auf ihm haben seine Frau und er geheiratet, nicht, weil Schultz der christlichen Seefahrt innig verbunden oder leidenschaftlicher Segler wäre, sondern weil seine Mutter es sich gewünscht hat und die Oma nur einige Minuten entfernt wohnt.

Es war ein Erweckungserlebnis. Er baute die Deutschland nach. Wie man das macht, brachte er sich selbst bei. Via Selbststudium im Internet. Das macht Spaß und bekämpft das „Heimweh nach der Waterkant“. 20 Schiffe hat er seitdem gebaut und hinter Glas gesteckt. Er zählt somit zur exklusiven und schwindenden Garde der Buddelschiffgilde. „60 Leute sind das noch, ich bin mit meinen 44 Jahren der Jüngste.“

Die Geduldsflaschen kommen aus dem Erzgebirge

Angefangen hat alles im Erzgebirge und in Franken – weit weg von der See. Dort bastelten die Bergleute und Spielzeugmacher in ihrer Freizeit vor gut 300 Jahren die sogenannten Geduldsflaschen. Sie bildeten die Kreuzigung Jesu en miniature nach oder Szenen aus ihrem Alltag unter Tage. Sie steckten ihre Figuren in Flaschen, um ihr Können zu beweisen und um die Miniaturen vor dem Ruß der Petroleumlampen zu schützen. Auf ihren Reisen übernahmen die Seeleute diese Tradition und bastelten Buddelschiffe. Das älteste erhaltene Exemplar ist im Holstentor in Lübeck zu sehen, es stammt aus dem Jahr 1725. Das größte Buddelschiff ist der Walfänger Lagoda. Er ist 86,2 Zentimeter lang und steckt in einer 129 Liter fassenden Ballonflasche, die extra für diesen Zweck von sechs Glasbläsern gefertigt wurde. Gebaut hat das Schiff Jonny Reinert, ein Bergmann, den es nach Hamburg verschlug, tief in die Flaschen schaute und zum „King of Bottleship“ wurde. Er baute alles, „vom Einbaum bis zum Atom U-Boot“. Auch der Sachse Hans Euler hat sein Leben den Flaschenschiffen gewidmet. Sage und schreibe 16  517 Schiffe hat er gebaut.

So viele wird Schultz nicht mehr schaffen. Doch auch ohne Rekorde hat er sich einen Namen gemacht. Ein Filmproduzent hat bei ihm zwei Modelle bestellt. Worum es geht, darf Schultz nicht sagen, nur so viel verrät er: Es braucht zwei Buddelschiffe, weil eines in einen Konflikt zwischen Vater und Sohn gerät. Mit schlechtem Ausgang für das Buddelschiff. Welch Malheur. Bis zu drei Monate braucht Schultz für ein Schiff. „Die Arbeitsdauer hängt natürlich von den Details ab.“ Von versenkbaren winzigen Kanonen haben wir berichtet, aber da gibt es viel mehr. Die Masten aus Bambusstricknadeln, die Segel aus Seide, die Galionsfigur aus einem Joghurtbecher, die Takelage aus Menschenhaar, die Schiffsschraube aus einer Heftzwecke, die Rahen aus den Blattrippen einer Palme; man muss einfallsreich und geschickt sein bei diesem Geschäft.

Kurs bei der Volkshochschule

Ja gut, aber wie kommt nun das Schiff in die Flasche? Die Masten sind mit Scharnieren oder Fäden am Rumpf befestigt, man klappt sie um. Wenn man den Rumpf in die Flasche eingeführt hat, kann man sie mittels Zugfäden wieder aufrichten. Bei seiner Dschunke brauchte Schultz 60 solcher Fäden. Man kann sich das Kuddelmuddel vorstellen. Schultz hat deshalb seine „Schüsseltechnik“ entwickelt. Er trennt Rumpf und Deck und setzt sie erst in der Flasche aufeinander. So muss er nicht so viele Fäden bändigen und kann größere Schiffe bauen, als der Flaschenhals eigentlich erlaubt. Schiff ahoi!

Matthias Schultz bietet im Januar einen VHS-Kurs an: „Ein Buddelschiff bauen“. Infos unter www.vhs-stuttgart.de.