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Discounter drängt regionale Betriebe aus den Filialen und baut ein eigenes Teiglingswerk.

Leinfelden-Echterdingen - Die Bäcker in der Region sind alarmiert: Lidl rüstet seine Filialen mit Backautomaten aus und kündigt Betrieben das Geschäft in der Vorkassenzone. Immer mehr versuchen, die Billigoffensive des Discounters mit Service und Zusatzangeboten zu kontern.

Günter Gehrung hat eine sanfte Stimme, doch wenn der Bäckermeister über Lidl spricht, wird sie scharf: Seitdem der Einzelhandelsgigant Backautomaten aufstellen ließ, ging Gehrungs Umsatz bis zu einem Viertel zurück. Denn eine seiner sechs Filialen steht im sogenannten Vorkassenbereich des Discounters. Wer im Industriegebiet von Leinfelden bei Lidl einkauft, kommt danach auch bei der Traditionsbäckerei vorbei. Doch immer häufiger sind die Taschen der Kunden schon mit Brot und Brötchen gefüllt. Die Laugenbrezel aus dem Backautomaten kostet etwas mehr als 20 Cent – mit Kampfpreisen wie diesen kann Gehrung nicht konkurrieren. „Es wird immer schwieriger, in den Lebensmittelmärkten zu verkaufen“, sagt er. „Immer mehr Bäcker geben ihren Vorkassenbereich auf.“

Alarmstimmung in der Branche

Seitdem Discounter wie Aldi, Penny und Lidl ihre Filialen mit Backautomaten ausstatten, herrscht Alarmstimmung in der Branche. Rechnet man jene in Tankstellen hinzu, gibt es deutschlandweit inzwischen 16 000 Automaten, in denen vorgebackene Teiglinge auf Temperatur gebracht werden. Dafür braucht man keine Ausbildung und wenig Personal. Die industriell gefertigten Teiglinge werden einfach in den Ofen geschoben. Mit den niedrigen Personalkosten lassen sich die Preise drücken und dennoch die Erlöse steigern. Außerdem besuchen Kunden, die das Angebot der Backstationen nutzen, laut Studien häufiger die Märkte und geben mehr Geld aus. Deshalb setzen praktisch alle Lebensmittelmärkte auf das schnelle Brötchen. Schon jetzt decken sie knapp 20 Prozent des deutschen Brot- und Backwarenmarkts ab, Tendenz steigend.

Die Kette aus Neckarsulm bereitet den Bäckern derzeit die größten Sorgen. „Lidl drängt die Bäcker aus den Vorkassenzonen und baut eigene Angebote massiv aus. Das ist ein sehr aggressives Vorgehen“, sagt Manfred Fischer, Chefredakteur des Branchenblattes „Allgemeine Bäckerzeitung“. Ute Sagebiel-Hannich vom Bäckerinnungsverband Baden bezeichnet Lidls Vorgehen als „unschön“ und „unfair“ – rechtlich aber sei es in Ordnung. Für das Vorkassen-Geschäft in den Filialen von Discountern sieht sie kaum noch eine Zukunft.

Filialen werden mit Backautomaten ausgerüstet

Nach Recherchen unserer Zeitung will Lidl das Backgeschäft in eigener Regie betreiben, um an allen Produktionsbereichen zu verdienen. So soll die große Mehrheit der 3300 Filialen mit Backautomaten ausgerüstet werden – der Backdiscounter Backwerk schätzt die Anzahl auf 3000. Außerdem entsteht in Nordrhein-Westfalen zurzeit ein gigantisches Teiglingswerk, mit dem Lidl die eigenen Backautomaten großteils bestücken könnte. Damit wäre Lidl nach Edeka und Rewe der dritte Händler in Deutschland mit eigener Backwarenherstellung. Der Konzern selbst kommentiert die Pläne nicht.

Die Bestätigung finden die Bäcker dafür immer häufiger in der Post. Zwei Filialen führt die Bäckerei Treiber derzeit in Lidl-Märkten in Stuttgart und Filderstadt, doch der Discounter hat die Verträge zum Jahresende gekündigt. „Den Platz würden sie selbst für ihre Backautomaten benötigen, hieß es – weil sie nicht anbauen könnten“, sagt Geschäftsführer Wolfgang Treiber. „Als Gegenzug haben sie mir angeboten, auf dem Parkplatz einen Pavillon aufzubauen. Aber das ist aufwendig.“ Zwischen 20 und 30 Prozent sei der Umsatz zurückgegangen, seitdem Lidl die ersten Backautomaten aufstellte, sagt Treiber. „Anderen geht das genauso.“

Traditionsbäcker müssen umdenken

26 Filialen führt Treiber – da fällt der Umsatzrückgang nicht so sehr ins Gewicht. Härter trifft es kleinere bis mittelgroße Traditionsbäcker, die in die Vorkassenzonen des Discounters investiert haben, die Kosten aber noch abschreiben müssen, betont Amin Werner, Chef des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks. Wenn ein Bäcker zum Beispiel drei von sechs Filialen bei Lidl habe und dann die Umsätze zurückgingen, könne er ernste Probleme bekommen. „Dann könnte er gar in die Insolvenz rutschen.“

Beim Auf- und Ausbau seines Backwarengeschäfts verfolgt Lidl zwei Varianten: Für die kleinere bietet man rund zehn Backartikel an; für die größere sind es circa 30, darunter Ciabatta-Brot, Apfeltaschen und Laugengebäck. Für die größere Variante baue man die Filialen um, heißt es bei Lidl. Das betrifft vor allem die Filialen im Speckgürtel der Metropolen sowie in Klein- und Mittelstädten, sagt Andreas Kofler, Geschäftsführer des Landesinnungsverband Baden-Württemberg. Rund 2000 backende Betriebe gibt es im Südwesten. Man schätze, dass zwischen 50 und 70 von ihnen bis zu 200 Filialen bei Lidl betreiben. „Auf den Preiswettbewerb kann sich der Handwerksbäcker dabei nicht einlassen – da ist der Lebensmitteleinzelhandel der Sieger“, sagt Kofler. „Die Bäcker müssen deshalb andere Produkte anbieten als dieser und mit Qualität, Service und Transparenz punkten. Sie müssen dem Kunden klarmachen, dass ihr Produkt noch aus der Region kommt.“

„Ohne Stehcafé geht es heute nicht mehr“

In der Branche geht man deshalb davon aus, dass die Aufrüstung von Lidl & Co. den Wandel der Traditionsbäcker stark beschleunigen wird. Weil die Umsätze mit dem Brotverkauf abnehmen, rüsten sich diese seit Jahren zum Bäckereicafé und Snack-Anbieter um. Zur Frühstücks- und Mittagszeit laufen die Geschäfte gut, erste Bäcker versuchen bereits, die Kunden auch abends mit einem Snack für den Nachhauseweg zu versorgen. „Ohne Stehcafé geht es heute nicht mehr“, sagt Treiber. „Café und Snacks machen bei uns schon 30 Prozent des Umsatzes aus.“

Doch nicht alle könnten das eigene Geschäft so leicht umstellen, die Stimmung in der Branche sei gereizt, sagt Gehrung. „Die Kosten steigen, die Gewinne werden immer geringer, es wird immer mehr Personal abgebaut werden.“ Wie auch andere Bäcker befürchtet Gehrung einen Abwärtstrend: „Die Leute, die bleiben, sind ausgepowert. Damit nimmt die Servicequalität immer mehr ab, und die Kunden sind unzufrieden.“

Wohl auch deshalb wehrt sich das Bäckerhandwerk inzwischen auch mit juristischen Mitteln gegen die Discounter-Attacken. Der Zentralverband hat gegen Lidl Klage eingereicht, weil der Discounter seine Brotsorten vermeintlich falsch deklariere. Auch gegen Aldi Süd läuft eine Klage. In deren Backautomaten werde das Brot lediglich gebräunt und nicht gebacken, argumentiert Verbandschef Werner.

Dass die Discounter sich von den Klagen aber abschrecken lassen, das glaubt in der Branche allerdings kaum einer. Adolf Katz von der gleichnamigen Bäckerei erwartet eher eine weitere Offensive.„Ich glaube, dass Aldi Süd seine Backwaren verfeinern und das Angebot erweitern wird. Auch damit wird sich die Branche noch auseinandersetzen müssen.“