Auf dem Killesberg regt sich Unmut, weil eine Wiese für eine Eidechsen-Umsiedlung in eine Steinlandschaft verwandelt wird. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Hubert Laufer gilt als größter Eidechsenexperte des Landes. Der Offenburger Landschaftsökologe erklärt, warum die Stuttgarter Eidechse eigentlich ein Mischmasch ist – und warum bei Stuttgart 21 das Thema schon vor Jahren hätte abgehakt werden können.

Stuttgart - Herr Laufer, man nennt Sie auch den Eidechsen-Papst. Ehrt Sie das?

 

(Lacht) Eigentlich nicht. Das klingt so konservativ. Und als Papst sehe ich mich wirklich nicht.

Dennoch sind Sie ein gefragter Mann. Das Thema Umsiedlung von Eidechsen hat in letzter Zeit eine breite Öffentlichkeit erreicht, nicht zuletzt durch Stuttgart 21.

Bei Stuttgart 21 ist mein Büro nicht beteiligt. Wir betreuen aber viele andere Projekte in Stuttgart und im Land. Wir sind zum Beispiel für die Bahn für einen Abschnitt der neuen Rheintalstrecke zuständig, bearbeiten dort den Artenschutz und vor allem das Thema Eidechsen zwischen Offenburg und Freiburg.

Beim Artenschutz gehen die Meinungen weit auseinander. Er kostet Geld, verzögert Baustellen und kann Proteste hervorrufen. Wird damit inzwischen übertrieben?

Wenn man den Artenschutz frühzeitig einbezieht, bekommt man das hin. An der Rheintalschiene etwa haben wir empfohlen, schon lange vor Beginn der Arbeiten nicht nur die dafür notwendigen Grundstücke zu erwerben, sondern ein bisschen mehr. So hat man direkt daneben Ausgleichsflächen und kann zum Beispiel Eidechsen durch Vergrämung dorthin bekommen, ohne sie einsammeln und umsiedeln zu müssen. Das ist flexibler und es kostet sehr viel weniger.

Bei Stuttgart 21 ist oft die Rede von mehreren Tausend Euro pro Eidechse. Halten Sie das für realistisch?

Ich kenne diese Zahlen nur aus den Medien und weiß nicht, wie sie zustande kommen. Bei den Projekten, an denen wir beteiligt sind, liegen die Kosten aber sehr viel niedriger.

Derzeit gibt es auf dem Stuttgarter Killesberg Aufregung, weil dort zur Umsiedlung von Eidechsen enorme Steinhaufen aufgeschichtet werden. Die Anwohner beklagen, der Landschaftsschutz werde dem Artenschutz geopfert.

Das ist immer eine Abwägung. Im Zweifelsfall kommt allerdings der Artenschutz rechtlich tatsächlich zuerst. Nur wenn das Gelände für den Naherholungswert oder das Landschaftsbild extrem wichtig ist, ist der Erhaltung Vorrang zu geben. Die Vorschriften kommen aus dem EU-Recht und sind entsprechend im Bundesnaturschutzgesetz verankert. Von der Situation auf dem Killesberg habe ich Bilder gesehen. Mir scheint tatsächlich, dass zu viele Steine verwendet werden und auch zu großflächig gearbeitet wird. Aber grundsätzlich ist es sicher richtig, Stuttgarter Eidechsen aus Untertürkheim dort unterzubringen.

Warum?

Weil die Stuttgarter Mauereidechse ein genetischer Mischmasch ist. Es wurden genetische Untersuchungen gemacht und es hat sich herausgestellt, dass sich einheimische Tiere mit Exemplaren aus Norditalien, Mittelitalien und Südfrankreich vermischt haben. Das liegt daran, dass die Wilhelma früher Futtereidechsen aus Italien bekommen hat und dabei ist eben auch mal eine Kiste runtergefallen. Auch im Umfeld von Gärtnereien oder Güterzügen sind vermehrt eingewanderte Tiere aufgetaucht. Trennen lässt sich das nicht mehr. Rechtlich ist das auch egal: Die Tiere sind streng geschützt, egal wo ihre Wurzeln liegen. Fachlich dagegen weiß derzeit niemand, welche Auswirkungen diese Vermischung auf andere Exemplare der Mauereidechse und Tierarten, zum Beispiel Zauneidechsen, hat. Deshalb sollten die Stuttgarter Eidechsen nicht mit anderen Populationen in Kontakt kommen.

Die Bahn sagt, es sei unheimlich schwer, für die vielen Tausend Tiere auf ihren Baustellen Ausweichquartiere zu finden.

Auch da gilt wieder: Wenn man sich frühzeitig drum kümmert, findet man die schon. Allerdings muss man sagen, dass die meisten Umsiedlungen dieser Art ohnehin nicht oder nur schlecht funktionieren. Dafür gibt es viele Beispiele.

Warum nicht?

Eidechsen wollen in ihren ursprünglichen Lebensraum zurück. Deshalb müsste man zunächst mal einen dichten Zaun um die Umsiedlungsfläche ziehen, damit sie nicht abhauen können. Erst, wenn sich die Tiere zum ersten Mal fortgepflanzt haben, kann man das Gelände öffnen. Wenn die Maßnahme optimal gestaltet ist, können dann auch vom Umfeld neue Tiere zuwandern. Trotzdem können wir auch aus eigener Begleitung solcher Projekte sagen: Im nächsten Jahr wird meist nur noch ein kleiner Prozentsatz der umgesiedelten Tiere da sein.

Warum siedelt man dann trotzdem mit Riesenaufwand um?

Das entsprechende Gesetz ist 2007 entstanden. Davor hat man sich über die Umsiedlung von Eidechsen keinerlei Gedanken gemacht. In der Folge hat man sich dann überlegt, dass es wohl am einfachsten ist, die Tiere einzufangen und woanders hinzutragen. Erst jetzt merkt man, dass das nicht so richtig klappt. Unser Büro macht gerade eine Studie darüber. Die Grundlagenforschung beginnt im Grunde erst jetzt. Wir wissen allerdings, dass eine Vergrämung der Tiere auf eine benachbarte Fläche gut funktioniert.

Also haben die Leute Recht, die sagen, diese Form von Artenschutz ist übertrieben?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Lange Zeit wurde der Artenschutz stark vernachlässigt, was man ja an dem extremen Artenrückgang sieht. Und außerdem gibt es ja die Möglichkeit der Ausnahme. Vereinfacht ausgedrückt müssen hierfür drei Punkte erfüllt sein: Das Bauprojekt muss im öffentlichen Interesse liegen. Es darf räumlich und zeitlich keine Alternativen geben. Und die Auswirkungen dürfen auf den Eidechsenbestand landesweit keine negativen Folgen haben.

Wenn man die Punkte durchgeht, könnte man auf die Idee kommen, dass es für Stuttgart 21 eine Ausnahme geben könnte.

Das wäre denkbar. Egal wie man zum Projekt steht, kann man davon ausgehen, dass es im öffentlichen Interesse liegt, nicht wesentlich anders gebaut werden kann und bei der Mauereidechse dürfte auch der dritte Punkt machbar sein. Wenn man sich das vor zehn Jahren überlegt hätte, wäre es mit Sicherheit deutlich einfacher gewesen. Dann hätte man sich zum Beispiel als Ausgleichsmaßnahme ein Schutzkonzept für die Stuttgarter Region überlegen können, das dem Artenschutz insgesamt mehr genutzt hätte, als die Stuttgarter Tiere umzusiedeln. Aber das ist jetzt durch.