Nataga Wassie Kohestani ist in den 90ern selbst aus Afghanistan geflüchtet. Heute übersetzt sie ehrenamtlich für Geflüchtete. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In der Flüchtlingshilfe sind Sprachmittler unabdingbar – der Bedarf in der Stadt ist enorm hoch. Doch die meisten von ihnen arbeiten ehrenamtlich und wurden selbst zum Dolmetschen gar nicht ausgebildet.

Stuttgart - Der Bedarf an Übersetzern in der Flüchtlingshilfe in Stuttgart ist groß – das sagen freie Wohlfahrtsträger und Freundeskreise. Gerade bei den stark nachgefragten Sprachen Arabisch und Farsi fehlt es demnach an ausgebildeten Dolmetschern.

„Wir müssen uns da hauptsächlich auf Ehrenamtliche verlassen, die bilingual sind“, sagt Sigrid Tauchnitz von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Stuttgart, die Trägerin vieler Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge ist. Ähnliches berichten auch Pro Familia, der Flüchtlingsrat und die Freundeskreise in der Stadt.

Seit Monaten, wenn nicht gar Jahren, sucht die Stadt nach mehr Dolmetschern. Es gibt zwar eine städtische Liste von Dolmetschern, die bei Bedarf von öffentlichen Einrichtungen und auch von freien Wohlfahrtsträgern nachgefragt und eingesetzt werden können. „Das geht aber nur im Einzelfall“, so Sigrid Tauchnitz. Der Träger müsse den Einsatz jeweils begründen und aus den eigenen, begrenzten Sachmitteln bezahlen.

Rein rechtlich gesehen steht Asylsuchenden zumindest bei den Anhörungen im Asylprozess ein Dolmetscher oder eine Dolmetscherin zu, die meist vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gestellt werden. Vor allem im Alltag, im Umgang mit Behörden, gehe es aber auch nicht ohne Übersetzung, sagt Ulrike Küstler vom Freundeskreis Flüchtlinge in Untertürkheim. Anmeldeformulare für die Kita, die Schreiben von der Versicherung oder Arztbesuche seien selbst nach ein paar Monaten Sprachkurs kaum zu verstehen, sagt Küstler. „Die Stadt setzt da wie selbstverständlich auf Ehrenamtliche, die nicht für ihren Aufwand entschädigt werden.“ Und die zwar sehr bemüht und engagiert seien, das Übersetzen aber nie professionell gelernt hätten. „Vor allem im Hinblick auf kulturelle Unterschiede oder sensible Themen, beispielsweise in der Geburtsvorbereitung, müsste die Stadt eigentlich ausgebildete Dolmetscher einsetzen.“

Pro Familia hat im Frühjahr sogenannte Kulturvermittler geschult

Pro Familia hat diesen Bedarf erkannt und in Stuttgart daher im Frühjahr 15 sogenannte Sprach- und Kulturvermittler ausgebildet. Dabei wurden vor allem kulturelle Besonderheiten beleuchtet – etwa bei Themen wie Partnerschaft, Sexualität, Frauengesundheit und Familie, sagt Marion Janke von Pro Familia Stuttgart: „Wir halten es für wichtig, dass nicht nur der kulturelle Hintergrund der Ratsuchenden, sondern auch der Dolmetscher berücksichtigt wird – es reicht nicht aus, nur Worte zu übersetzen.“

Die Mittler sind in der Region sehr gefragt, für das kommende Jahr unterstützt das städtische Sozialamt Pro Familia bei der Ausbildung weiterer Dolmetscher in sexuell-kultursensibler Hinsicht mit 10 000 Euro, wie Stadtsprecher Sven Matis sagt. Übersetzer würden zudem auch in den Flüchtlingsdialogen sowie im Dienstleistungszentrum für Geflüchtete in der Jägerstraße eingesetzt. Die Frage, wie die Stadt der hohen Angewiesenheit auf Ehrenamtliche begegne, kommentierte das Rathaus nicht weiter.

Dass es sinnvoll sei, Sprachmittler zu schulen, sagt auch Sigrid Tauchnitz von der AWO. Nicht nur im Asylverfahren hängt für alle Beteiligten – Behörden und Betroffene – immerhin sehr viel von den Übersetzern ab, die meist Laiendolmetscher sind: Wird dabei aus Versehen etwas falsch verstanden oder vergessen, kann dies zu fehlerhaften Entscheidungen führen. Dass es bislang nicht mehr Schulungen und mehr ausgebildete Dolmetscher gebe, die bei der Integration helfen, sei schlicht ein finanzielles Problem.