Vor einem Jahr gründeten drei Ukrainerinnen in Ludwigsburg ein Sprachcafé. Deutsche und Migranten begegnen sich seitdem – und erfahren viel voneinander.
Julia Novikova ist an diesem Nachmittag wieder ganz in ihrem Element. „Das Sprachcafé ist unser Baby“, sagt die 25-Jährige und reicht den etwa 50 Gästen an den Tischen immer wieder Nahrhaftes. Deutsche und ausländische Spezialitäten kursieren. Gespräche entstehen beim quirligen Miteinander im Begegnungsraum der Flüchtlingsunterkunft im Ludwigsburger Westen ganz von selbst. Und das ist gut so.
Es ist das 50. Mal, dass sich Gäste aus vielen verschiedenen Ländern in dem ehrenamtlich organisierten Café treffen. Genau vor einem Jahr ergriff die geflohene Julia Novikova mit ihren beiden ukrainischen Landsfrauen Olga Nikoleva und Olga Krylova die Initiative, sie werden von Svitlana Peliak unterstützt. „Viele lernen die Sprache, aber es fehlt ihnen an Alltagsgesprächen“, so Julia Novikova. In den kleinen Tischgruppen fallen die Hemmungen – und die Menschen quatschen einfach drauflos.
Integration klappt nur, wenn die Menschen ihre Sprache finden. Das Niveau ist ganz unterschiedlich, spielt aber in dem Begegnungscafé keine Rolle. Julia Novikova selbst hat in der Unterkunft gewohnt, lebt aber inzwischen in Marbach und hat als Erziehungshelferin in einem Ludwigsburger Kindergarten in einem zweijährigen Einstiegsprogramm der Stadt Ludwigsburg Fuß gefasst.
Mit ihrem ukrainischen Abschluss, der mit dem einer Diplom-Pädagogin vergleichbar ist, möchte sie zunächst als Erzieherin arbeiten, sich aber noch weiterbilden, bis zum Sprachenabschluss C2, mit dem sie studieren könnte. „Es ist wichtig, sich immer noch besser ausdrücken zu können.“
„Im Sprachcafé kann man auch dreimal nachfragen“
Gerne hilfsbereit ist Jörg Hofacker. Der Rentner aus Markgröningen fand Gefallen an dem Miteinander im Sprachcafé, an dem Menschen aus bis zu zehn Nationen teilnehmen. „Wir haben sogar Ärzte hier, die bis spät in die Nacht büffeln, damit sie den Sprachnachweis erbringen.“ Er lese und diskutiere derzeit Astrid Lindgrens „Die Kinder von Büllerbü“ mit Gästen und lerne dabei selbst auch viel über die Kulturen anderer Länder, erzählt der ehemalige Geschäftsführer einer medizintechnischen Firma. „Dass es bei uns in vielen Familien an Heiligabend nur Kartoffelsalat und Würstchen gibt, ist für Ukrainer schwer verständlich.“
Zum Sprachcafé kommen aber auch Menschen, die ihre Hemmungen beim Deutschsprechen im Alltag ablegen wollen. „Ich habe die Angst davor hier verloren“, erzählt Konstandinos Lukas, Busfahrer aus Griechenland. Neben ihm nickt und lächelt Oksana Malachowa, die als Hilfslehrerin am Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasium ausländischen Kindern mittlerweile so viel Deutsch beibringt, dass sie später am Unterricht teilnehmen können. „Hier, im Sprachcafé, kann man auch dreimal nachfragen, was an einer Sprachschule so nicht möglich ist.“
Begeistert vom ehrenamtlichen Engagement im Sprachcafé ist Eva Belzner, die bei der Stadt Ludwigsburg das Programm Kinder- und Familienbildung leitet. „Wer teilnimmt, erhält wichtige Informationen, und es sind auch schon einige Freundschaften entstanden.“ Weil die ukrainischen Gastgeberinnen auch über soziale Kanäle werben, kommen sogar aus Orten rund um Ludwigsburg und aus Stuttgart Gäste.
Das Kartenspiel Binokel gibt es so ähnlich auch in fernen Ländern
Die Türe im Sprachcafé möglichst über viele weitere Jahre offenhalten will Thomas Brändle. Der Leiter des Fachbereichs Kinder und Familie in der Ludwigsburger Verwaltung hält die Leistung des Ehrenamtlichenteams für äußerst wertvoll und hört beim Wunsch Julia Novikovas nach größeren Räumen aufmerksam zu.
Und Jörg Hofacker, der sich schon an so manchem Abend Gäste auch daheim einlud, erzählt mit einem Schmunzeln: „Bei uns lernen die Geflüchteten nicht nur Deutsch, sondern auch Schwäbisch.“ Dazu zähle das Kartenspiel Binokel, das es in ähnlicher Form übrigens auch in anderen Ländern gebe. „Da bekommen dann die Personalchefs beim Vorstellungsgespräch große Augen, wenn er hört, dass jemand dieses Spiel kann.“