Die Kreisarchivarin Helga Hager und Schüler interviewen die Zeitzeugen Hans Grimshandl, Rudi Klein und Manfred Widmann (von links). Foto: factum/Weise

Die Gemeinde lässt die Historie von Zeitzeugen aufarbeiten. Sie berichten über Jugendstreiche, den Alltag von einst und den Krieg. Federführend für den neuen Band in der Reihe Lebenslinien war die Kreisarchivarin Helga Hager.

Ehningen - Ein langjähriger Vorstand der Ehninger Bank, ein Friseurmeister und ein Heimatvertriebener, der später Maschinenbauingenieur wurde – alle drei erzählen in dem neuen Band Lebenslinien, wie sie früher ihren Alltag gemeistert haben. Die Gemeinde Ehningen hat als Herausgeber nun das zweite Werk der

Reihe am Samstagabend in der Friedrich-Kammerer-Gemeinschaftsschule rund 150 interessierten Zuhörern vorgestellt. Im Mittelpunkt standen natürlich Manfred Widmann, der einstige Banker, Rudi Klein, der seiner Kundschaft die Haare schnitt, und Hans Grimshandl, der frühere Ehninger Gemeinderat, der bei Daimler arbeitete und eine neue Heimat fand.

„Es sind die Menschen, die unserer Gemeinde ein unverwechselbares Gesicht geben und von denen jeder eine Welt in sich trägt“, sagen Claus Unger, der Bürgermeister, und Helga Hager, die Buchautorin und Kreisarchivarin, die den Stoff der Geschichten minutiös zusammengetragen hat. Auf die identitätsstiftende Idee kam Unger vor einigen Jahren, weil ihm selbst die Heimathistorie am Herzen liegt. Mit seinen Mitarbeitern im Rathaus sucht er selbst die Protagonisten aus, die eine bewegte Vergangenheit haben und bereit sind, darüber zu berichten. Es solle auch noch einen dritten Band von den „Lebenslinien“ geben, verrät Unger. Was ihm noch fehle, sei jemand, der über frühere Zeiten beim TSV Ehningen plaudern und gleichsam das Sportlerleben in der Gemeinde repräsentieren könne.

Amüsante und hintergründige Schilderungen

Amüsant, aber auch hintergründig sind die vielschichtigen Porträts mit den Erinnerungen der Zeitzeugen, die den kontinuierlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel offenbaren, von dem auch die Kinder der Friedrich-Kammerer-Gemeinschaftsschule lernen können. Viertklässler bereiteten für die Buchvorstellung am Samstagabend Fragen vor – die drei Interviewten brachten ihr Publikum ein ums andere Mal zum Lachen, aber auch zum Nachdenken.

„Ich hatte eine Lehrerin, die mir nicht wohlgesonnen war und die ich nicht mochte“, erinnert sich Rudi Klein. Einmal habe er sie im Unterricht gemalt mit ihrem Dutt auf dem Kopf – vielleicht etwas zu despektierlich. Natürlich habe sie ihn dabei erwischt und wütend zum Rektor geschickt. „Der sagte, ja, so sieht sie aus“, erzählt der unartige Schüler, „bestraft worden bin ich vom Schulleiter nicht.“ Er habe nur gesagt: „Jetzt warte einfach drei Minuten und geh’ zurück ins Klassenzimmer.“ Es sei die Zeit gewesen, wo Tatzen und Hosenspanner – körperliche Züchtigungen, mit Rohrstockschlägen auf Hand oder Hintern – an der Tagesordnung waren.

25 Pfennig für die Rasur

Der Kleinsche Frisörsalon, den er später übernommen habe, sei ein sozialer Treffpunkt im Flecken gewesen. „Die Kunden sind oft schon lange fertig gewesen und haben immer noch miteinander geschwätzt“, berichtet Rudi Klein. Die Öffnungszeiten richteten sich nach dem Tagesablauf der Klientel. Weil viele frühmorgens ihre Milch zur Molkerei brachten, wollten sie danach ihren Frisörbesuch erledigen. Die Männer ließen sich für 25 Pfennig auch Rasieren. Deshalb habe der Vater schon um sieben Uhr das Rolltor hochgezogen.

Manfred Widmann hat auch die Kriegstage noch gut in Erinnerung und denkt mit Schrecken daran. Als Pforzheim bombardiert wurde und in Flammen aufging, habe man das Feuer von Ehningen aus gesehen. Das Kriegsende und die Flucht schildert wiederum Hans Grimshandl im Detail und in bewegenden Worten: als er mit seiner Familie zu siebt auf einem Pferdewagen saß, später von den Russen in Viehwaggons gesteckt wurde und es in einem Flüchtlingslager drei Mal am Tag Grützsuppe gab „mit fast nichts drin“. Über ein Lager in Herrenberg gelangte die Familie dann in ihre neue Heimat. „Ich bin“, sagt Grimshandl, „ein Ehninger geworden.“