Die Front zwischen Gegnern und Befürwortern einer Gleichstellung homosexueller Paare verläuft mitten durch die Unionsfraktion. Der CDU-Parlamentarier Bosbach befürchtet, dass ein Ja zur Ehe dem Profil der Unionsparteien schadet.
Berlin - In der Bundestagfraktion der Union herrscht dicke Luft. Abgeordnete sind verärgert über den plötzlichen Kursschwenk der Kanzlerin in Sachen Ehe für alle. Viele ballen die Faust in der Tasche. Einer, der immer tapfer für seine Positionen kämpft, hat da weniger Beißhemmung. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach kritisiert Merkels Kurswechsel im Gespräch mit unserer Zeitung offen und heftig. „Wir müssen uns doch fragen: Gibt es überhaupt noch politische Positionen, für welche die Union unverwechselbar steht, mit denen wir gegenüber anderen Parteien unterscheidbar sind? Oder ändern wir, wenn es gerade politisch opportun ist, unsere Haltung?“ Bosbach, prominentes Mitglied im konservativen Berliner Kreis der CDU, sagte weiter: „In den Wahlkampfreden müssen die CDU-Politiker im Grunde sagen: Das ist die Position der Christdemokraten, aber sie gilt für 2017 – vielleicht ist sie in einem halben Jahr schon anders. Es fällt immer schwerer, unseren Markenkern zu erklären.“
SPD hat den Elfmeter verwandelt
Bosbachs Unmut richtet sich, anders als bei manch anderen Unionsabgeordneten, nicht gegen den Koalitionspartner SPD, sondern gegen die eigene Parteiführung. „Wenn wir den Ball auf den Elfmeterpunkt legen, dürfen wir uns doch nicht wundern, dass die SPD ihn verwandelt“, sagte Bosbach. Der Kanzlerin sei die Äußerung am Montag nicht einfach herausgerutscht, glaubt Bosbach. „Sie hat gewusst, welche Konsequenzen ihre Bemerkung haben wird und wollte das Thema vor dem Wahlkampf abräumen.“ Auslöser sei die klare Positionierung der FDP in der Frage gewesen.
Parteiführung kann keine Abstimmung freigeben
Bosbach sagte, ihn störe „massiv“, dass der Eindruck vermittelt werde, die Parteiführung gebe die Abstimmung zu diesem Thema frei. „Eine Partei- oder Fraktionsführung kann eine Abstimmung nie binden oder freigeben. Ich bin als Abgeordneter doch an keinen Marschbefehl gebunden.“ Mit gewissem Schmunzeln höre er nun den ständigen Hinweis auf den Respekt vor den unterschiedlichen Haltungen zum Thema. „Bei unseren Debatten zur Eurokrise habe ich den jedenfalls nicht so erlebt“, sagte Bosbach.
So harsch und offen wird die Kritik in der Fraktion selten vorgetragen. Manch anderer, der die Dinge ähnlich sieht, mag vorsichtiger sein. „Wir stecken da in einem Schraubstock“, sagte ein eher konservativ gestrickter Abgeordneter unserer Zeitung. „Viele mögen diesen abrupten Schwenk ganz und gar nicht. Andererseits kommt Merkel demnächst in unsere Wahlkreise und hilft uns unsere Mandate zu erringen. Sie ist doch das große Zugpferd.“
Kindeswohl vor Kinderwunsch
Aber auch wenn die zugespitzte Kritik in Richtung Parteiführung im Rahmen bleibt, wird die Contra-Position deutlich formuliert. Etwa vom Schwäbisch Gmünder Abgeordneten Norbert Barthle. Er sagt: „Im Kern geht es um die Adoption, und hier stelle ich das Kindeswohl eindeutig vor den Kinderwunsch von lesbischen und schwulen Paaren, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können. Es steht für mich außer Zweifel, dass ein Kind am besten mit Mutter und Vater aufwächst.“ Das dürfte in der Union Mehrheitsmeinung sein.
Es gibt zudem eine Gruppe von Abgeordneten, die ihrem Unmut in Richtung SPD Lauf lässt, weil sie deren Vorpreschen zu einer Blitz-Entscheidung zwingt. Dazu zählt der Nürtinger Michael Hennrich. Er erkennt ausdrücklich an, „dass in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft die Werte gelebt werden wie in einer Ehe. In beiden Fällen geht es um einen Bund, in dem man gegenseitige Verantwortung für ein Leben miteinander anstrebt.“ Die SPD gehe aber in einer der Sensibilität des Themas nicht angemessener Form vor, wenn sie in der letzten Sitzungswoche dieser Legislaturperiode eine Abstimmung erzwinge. Hennrich nennt das „einen wahltaktisch motivierten Vertrauensbruch“.
Zeit zum Nachdenken begann nicht erst am Montag
Daneben gibt es die Gruppe, die über die anstehende Abstimmung durchaus nicht unzufrieden ist. Dazu zählt auch Andreas Jung, Chef der Südwest-Landesgruppe. „Es ist eine Gewissensentscheidung“, sagt er. „Und tatsächlich hat es eine sehr lange Zeit gegeben, in dem sich jeder zu diesem Thema eine Meinung bilden konnte. Die begann ja nicht erst am Montagabend.“ Schließlich gibt es auch diejenigen, die aus Überzeugung schon jetzt entschlossen sind, mit der Opposition stimmen werden. Dazu gehören nicht nur die Abgeordneten, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Auch Wolfgang Bosbach rechnet damit, „dass nicht wenige mit der Opposition stimmen werden“.