Nachts gehört der Fluss den Kaimanen und den Piranhas. Foto: Köhne

Wer sich in Ecuador auf eine Flusskreuzfahrt begibt, bleibt nachts lieber an Bord.

Am Anfang waren alle Vögel grau und braun, sogar die Aras. "Warum nur sind alle Blumen so schön bunt und wir so unscheinbar?" So fragten sie einander. Darauf weiß niemand eine Antwort, niemand außer Inti, der Sonnengott. Daher machten sich die Vögel schließlich auf den Weg. Inti staunte nicht schlecht. "Was machen all die Vögel am Himmel?" fragte sich der Sonnengott voller Sorge. "Sie werden sich an mir verbrennen!" Schnell rief er Schwester Wolke zur Hilfe, auf dass diese sich schützend vor ihn schöbe. So entstand ein Regenbogen von derartiger Schönheit, dass die Aras Purzelbäume schlugen vor Freude. Bald waren sie gänzlich mit leuchtenden Farben bedeckt.

Der Minero Gritón hat den damaligen Himmelsflug offenbar verschlafen. Bis heute lebt er unscheinbar graubraun im ecuadorianischen Regenwald. Nur selten bekommt ihn jemand zu Gesicht, und wäre nicht sein melodischer Gesang, dann würde wohl auch kein Mensch je nach ihm fragen. So aber will jeder wissen, wer da so virtuos den Regenwald unterhält. Titihe! Titihe! Es ist der Minero Gritón, der auf Deutsch ganz unromantisch Schrei-Piha genannt wird.

Frühmorgens um sechs hängt der Nebel noch tief in den Baumkronen am Ufer des Rio Cuyabeno, doch schon bald wird die Sonne für Klarheit sorgen. Es wird nicht viel geredet um diese Uhrzeit, neben dem Minero Gritón ist nur das Knattern des motorisierten Kanus zu hören. Bis Harry Jonitz es mal wieder stoppen lässt. Mit einem Biologen sitzt man gern im selben Boot, er sieht den Eisvogel als erster, hört den Gelbbürzelkaziken schimpfen und weiß, dass in den kunstvoll geflochtenen Nestern die Stirnvögel brüten.

Die Legende von der Farbigkeit der Vögel stammt von den Kichwa-Indianern. Eduardo hat sie eines Nachmittags auch den neugierigen Touristen an Bord des ecuadorianischen Flusskreuzschiffs weitergegeben. Das Schiff hat nur zwölf Gästekabinen und der 38-Jährige fährt als Mann für alles mit: Mal ist er Märchenonkel, mal Verwalter und mal braust er mit einem Motorboot zur nächsten Siedlung, um neue Vorräte an Bord zu holen.

Als Eduardo noch ein kleiner Junge war, versammelte sich seine Familie abends an der Feuerstelle hoch oben im Holzhaus, nach dem Essen wurden Geschichten erzählt. Heute wohnt er in der Kleinstadt Tena, 150 Kilometer östlich von der Hauptstadt Quito. Seine eigenen Kinder kennen die Gefahren des Straßenverkehrs daher besser als jene der Pekarijagd.

In Ecuador, östlich der Andenkordilleren beginnt einer der artenreichsten Wälder der Welt, hier entspringen all jene Flüsse, die sich weiter flussabwärts zum mächtigen Amazonas vereinen. Auf nur einem Hektar Regenwald wachsen rund 300 verschiedene Baumarten, jeder Stamm wird von bis zu 100 Pflanzenarten umrankt. Pro Hektar sollen hier außerdem mehr Grillen, Heuschrecken und Grashüpfer umherkrabbeln als in ganz Europa.

Nach dem Frühstück stehen die Gummistiefel schon bereit. Jeden Tag gehen die Passagiere von Bord, um den Regenwald zu Fuß zu erkunden. Begleitet werden sie dabei auch immer von Indianern, die entlang des Flusses siedeln. So erfahren die Gäste viel von den Bewohnern und die Cofán oder Kichwa haben die Gelegenheit, sich Geld dazuzuverdienen. Manchmal schiebt Harry, der Biologe, nach der Übersetzung noch einen erklärenden Satz hinterher. Entfernungen oder Jahreszahlen seien nämlich selten wörtlich zu nehmen. Sobald die motorisierten Ausflugskanus wieder am Expeditionsschiff anlegen, setzt es seinen gemächlichen Weg fort.

Nach drei Wanderungen sind langsam erste Unterschiede zwischen all diesen Stelzwurzeln, Brettwurzeln, Flachwurzeln oder Luftwurzeln zu erkennen. Anfangs ließen sich noch nicht einmal Richtungen bestimmen im üppigen Grün: Was aussieht wie eine Luftwurzel ist keine, weil sie innerhalb von kürzester Zeit hinabrankt, sich im fruchtbaren Boden eingräbt und verwurzelt. Das Wort Aufsitzerpflanze als solches spricht schon Bände. Manch eine wächst von oben nach unten, die nächste von unten nach oben, bis sie den Bodenkontakt verliert, und selbst Wurzeln hält es nicht unter der Erde.

Unter der Erde liegt auch der Reichtum des Landes: Im bewaldeten Nordosten Ecuadors lagert das Erdöl, mit dem mehr als die Hälfte der Exporteinnahmen erwirtschaftet werden. Vor kurzem wurde in Cuyabeno wieder demonstriert, erzählt Jhon vom Stamm der Cofán, der eine Wanderung begleitet. Mehrere Indianer hätten versucht, Lastkähne aufzuhalten, die Baumaterialien für eine neue Pumpstation liefern wollten. Ein Mal wurde Jhons Dorf bereits umgesiedelt. "Jetzt graben sie schon wieder nicht weit von hier", sagt er.

Kurz darauf steht die Wandergruppe unerwartet vor dem Nichts. Mächtig ist der Baum, der aus dem Gewirr an Farn, Wurzeln und Laub aufragt, einer von besagten 300 Baumarten pro Hektar. Wie der heiße? "Nada", sagt Jhon, "nichts". Warum das so sei? Weil der Baum zu nichts zu gebrauchen sei. Ein unnützer Riese in der Dschungelapotheke, über den man keine unnötigen Worte verlieren sollte, wo hier doch so viel wächst, was wirklich wichtig ist. Beim Chuncho-Baum etwa, da spart Jhon nicht mit Erklärungen. Aus seinem rotem Holz lassen sich die besten Einbäume bauen. Dann ist da noch das Taraholz, das nicht von Würmern befallen wird oder der Moral, dessen Holz so stabil ist, dass es für Eisenbahnschwellen benutzt wird. Und aus den Früchten der Pfirsichpalme hat der 22-jährige Jhon seine lange Kette geschnitzt, die bei jedem Schritt leise klappert. Die Bäume machen sich lang. Nur wer sich streckt bekommt genug Sonnenlicht. Auf der Rückfahrt mit dem Kanu zum Schiff ist das Kronendach gut zu erkennen, jene Linie in 45 Meter Höhe, an der die meisten der Baumriesen enden. Nur einer überragt sie alle. Das ist der Kapokbaum, den die Flussindianer die Mutter aller Bäume nennen. Tags wird er verehrt, nachts gefürchtet. Supaiyura tauften die Kichwa den Baum deswegen auch, den Teufelsbaum. Jeder, der sich im Dunkeln in seine Nähe wage, werde von ihm verzaubert erzählt Eduardo, als an diesem Abend die Motoren verstummen und das Leben an Bord zur Ruhe kommt. Im hohen Kapokbaum wohne der Duende, ein kleiner böser Troll, behaart und mächtig.

Ein Kanu gleitet vorbei, der Paddler nickt grüßend herüber ohne sein Tempo zu verlangsamen. Sobald die Sonne untergeht, eilen alle nach Hause. Dann gehört der Fluss den Kaimanen. Rot strahlen ihre Augen, wenn sie mit der Taschenlampe anleuchtet werden. Wo mögen sich jetzt all die Piranhas verbergen? Eduardo zuckt mit den Schultern. Sanft plätschert das Wasser gegen die Bordwand. Es ist ein beruhigender Rhythmus, der irgendwann alle Gedanken mit sich fort trägt, bis der Minero Gritón wieder einen neuen Tag mit seinem Titihé willkommen heißt.

Info Veranstalter: Die 14-tägige Reise "Flusskreuzfahrt Manatee" auf dem Rio Aguarico und Rio Napo wird von Lernidee Erlebnisreisen angeboten. Neun Tage bzw. acht Nächte verbringt man an Bord des Expeditionsschiffes "Manatee Explorer", weitere drei Nächte in Quito. Die Reise kostet inklusive Flug, Transfers, Unterkunft, Ausflügen und Verpflegung ab 4.550 Euro. Die Wanderungen im Regenwald sind auch für ungeübte Fußgänger zu bewältigen. Die nächste Expedition wird vom 3.11. bis 16.11. angeboten, weitere Termine finden 2010 statt.

Nähere Infos bei Lernidee Erlebnisreisen, Tel. 030 / 7 86 00 00, http://www.lernidee.de. Auch der Ecuador-Spezialist Sommer Fernreisen (Telefon 0 85 33 / 91 91 61, http://www.ecuador-discover.de) organisiert Dschungelreisen im Amazonasbecken, darunter auch 4- und 5-tägige Flusstouren auf der "Manatee". Diese können das ganze Jahr über als Reisebaustein gebucht werden: In der Doppelkabine zahlt man für die 4-tägige Tour 459 Euro.

Allgemeine Auskunft: Ecuadorianische Zentrale für Tourismus, c/o BZ.COMM e.K, Telefon 069 / 25 62 88 80, http://www.visitecuador.de.