Seit wenigen Tagen hat das Impfzentrum in Sindelfingen geöffnet, vorher waren mobile Teams unterwegs. Foto: Simon Granville

Die Teststrategie des Landkreises Böblingen kommt an, doch der Landrat will sich nicht auf den bundesweit gestreuten Lorbeeren ausruhen. Böblingen sollte jetzt eine Modellregion für die digitale Arbeit unter Corona-Bedingungen werden.

Böblingen - Der Auftritt des Böblinger Landrats in der bundesweit beachteten Talkshow von Markus Lanz hatte naturgemäß für eines gesorgt: Bundesweite Beachtung. Der Kreis Böblingen hatte gezeigt, dass man mit einer sinnvollen Test- und Impfstrategie die Inzidenzwerte in der Corona-Pandemie unten halten kann. Dazu hat der Landrat jetzt ein dreistufiges Programm geschaffen, das sich mit drei Schlagworten abbilden lässt: „Impfen, Testen, Öffnen.“

Wobei die drei Strategien ineinander greifen sollten. Jede Öffnung müsse mit ständigen Tests abgesichert werden, sonst funktioniere sie nicht, sagt Roland Bernhard, der es darüber hinaus für höchst problematisch hält, dass die Öffnung von Schulen und Kindergärten nicht mit einer Teststratege begleitet werde.

Der Jahrestag des ersten Corona-Falls im Kreis war für den Landrat am Montag der Anlass gewesen, bei einer virtuellen Pressekonferenz Rückschau zu halten. Der Landkreis Böblingen war mit seinen fünf Testzentren in den vergangenen Wochen in eigener Initiative vorgeprescht, und hatte damit die Inzidenzwerte in den vergangenen Tagen erstaunlich niedrig gehalten, und zwar bei einem Wert um die 30. Aber nicht nur bei den Tests war Böblingen einen eigenen Weg gegangen, auch bei der Impfstrategie. Hier hat er das Impfzentrum in Sindelfingen geschlossen gelassen und zunächst mobile Impfteams in die Altenheime geschickt.

Böblingen geht den eigenen Weg

Wie verwundbar jedoch dieses System ist, hat sich über das Wochenende gezeigt. In drei Heimen war Corona ausgebrochen und hatte den Inzidenzwert auf 60 angehoben. Das besondere Pech dabei war, dass in zwei der Altenheime die Erstimpfung schon gelaufen war, und das Virus sich kurz vor der Zweitimpfung ausgebreitet hatte. Zum Glück für die Senioren bietet die Erstimpfung einen gewissen Schutz vor schweren Verläufen. Beim dritten Altenheim war es wegen einer unklaren Infektionslage erst gar nicht zur einer Erstimpfung gekommen. Ohne diese Ausbrüche würde der Landkreis bei einem Inzidenzwert von etwa 20 liegen.

Inzwischen sind sich die Teams sicher, bis Mitte März auch mit der Zweitimpfung in fast allen Pflegeheimen fertig zu sein. Noch einmal appellierte Bernhard an die Bürger, sich impfen zu lassen, „kein Schutz vor der Krankheit zu haben, ist das Allerschlimmste“, sagte er.

Seit die Schnelltestzentren ihre Arbeit aufgenommen haben, wurden rund 7800 Menschen getestet, darunter wurden rund 25 Corona-Positive entdeckt, die keinerlei Symptome aufwiesen. Gerade die Menschen, die das Virus unbemerkt weitergeben, sind es natürlich, die die Zahl der Ansteckung erhöhen. Bernhard warnte auch davor, die Inzidenzzahl als alleinigen Maßstab für die Gefahrenlage zu betrachten. Genau so wichtig sei die Anzahl der Krankenhausbetten auf den Intensivstationen, die Anzahl der freien Beatmungsgeräte oder auch die Kapazitäten der Kontaktverfolgung. Gerade wegen dieser Kapazitäten hatte man ursprünglich den Inzidenzwert von 50 als Grenze für einen Lockdown eingeführt. Kommt die Kontaktverfolgung nicht mehr hinterher, ist es fast unmöglich die Infektionsketten zu durchbrechen.

Modellregionen bilden

Um die Tests noch attraktiver zu machen, hat der Landkreis jetzt neue Tests gekauft, die wesentlich angenehmer sind als die alten, bei denen das Teststäbchen durch den gesamten Nasenkanal geführt wurde.

Um weiter die Nase im Wind zu haben, regt der Landrat jetzt an, Modellregionen zu bilden, in denen verschiedene Impf-, Test- und Öffnungsstrategien durchgespielt würden, um sie wissenschaftlich zu untersuchen und die Strategie zu verfeinern. So wie viele Menschen empfindet auch Bernhard das Korsett der Corona-Verordnungen als beschwerlich und nicht mehr zielführend. „Wir brauchen mehr Mut zum Risiko. Wir müssen machen und gestalten und nicht nur mit Vorschriften reagieren“, warb er für eine dynamische Politik gegen das Virus.

Völlig unverhofft ist der Landkreis Böblingen in das bundesweite Medienecho gerückt: Zurecht, denn in Böblingen wurde die Idee geboren, nach der die Bundespolitiker seit November suchen. Seit diesem 3. November an dem sie das Land in den flächendeckenden Lockdown geschickt haben, der alle wirtschaftlichen, politischen, und gesellschaftlichen Kräfte lähmt, von den zwischenmenschlichen ganz zu schweigen. Mit einer Lähmung kommt man jedoch nicht aus der Corona-Krise, mit einer sinnvollen Test- und Impfstrategie schon.

Die hat der Landkreis Böblingen zum Erstaunen aller Experten vorgemacht und nun scheint es, als zöge die Bundespolitik nach. Schon hört man aus Berlin, Öffnungen mit einer guten Teststrategie könnten möglich werden. Und es ist ja nicht nur der Kreis Böblingen – Auch der Kreis Tübingen hat mit seiner zumeist ehrenamtlichen Testarbeit die Inzidenz-Zahlen auf ein beeindruckend tiefes Niveau gedrückt. Während die Böblinger und Tübinger Vorschläge in Berlin ankommen und vielleicht auch einmal in Stuttgart, denkt der Landkreis Böblingen inzwischen weiter: Punktuell arbeiten, den Gegebenheiten angepasst arbeiten, heißt die Devise, des Landrats Roland Bernhard. Das heißt, Modellregionen schaffen, in denen dann erforscht wird, wie sich die Öffnungen auf die Pandemie auswirken. Nicht das Land flächendeckend auf Null halten, wie das viel zu viele Wochen lang als Allheilmittel angepriesen wurde. sondern probeweise punktuell öffnen. In touristischen Landkreisen, die etwa in Freudenstadt die Hotels, in von Industriearbeit geprägten Landkreisen die Auswirkungen von Digitaler Arbeit testen. Dann wissenschaftlich untersuchen, die in den Modellregionen gewonnene Ergebnisse umsetzen. So könnte das Land aus der Krise kommen, und es muss schnell aus der Krise kommen. Wo immer man hinhört, spürt man sie sehr die Leute die jetzige Situation satt haben.

In Berlin sollte man eigentlich wissen, was passieren kann, wenn man versucht, ein ganzes Volk auf Dauer in der Abschottung zu halten.