Drohende Fahrverbote in Stuttgart, Frankfurt und womöglich weiteren Großstädten haben den Druck erhöht, schnell für saubere Luft zu sorgen Foto: dpa

Nach langer Ungewissheit ist der Diesel-Durchbruch da: Die Regierung will mit einer ganzen Palette von Maßnahmen nachlegen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen für Diesel-Besitzer.

Berlin - Die Bundesregierung hat sich in einer langen Nachtsitzung auf ein „Konzept für saubere Luft und die Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten“ verständigt. Um 2.29 Uhr in den Morgenstunden des Dienstag einigten sich die Spitzen von CDU, CSU und SPD im Kanzleramt darauf, wie die vielerorts zu hohen Schafstoffwerte reduziert und bei drohenden innerstädtischen Fahrverboten trotzdem Nachteile für Fahrer älterer Dieselfahrzeuge vermieden werden sollen.

Im Kern geht es darum, dass weiteres Steuergeld in die Umrüstung städtischer Fahrzeuge fließt – und Autobesitzer in besonders belasteten Städten und Regionen mit Umtauschprämien auf ein saubereres Auto umsteigen oder einen Katalysator in ihr altes eingebaut bekommen. „Wir haben an einem langen Abend etwas Gutes auf den Weg gebracht“, sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Dienstag in Berlin.

In welchen Städten und Regionen haben die Dieselbesitzer Anspruch auf Hilfe?

Laut einer Liste des Bundesumweltamtes lag der Jahresmittelwert des gesundheitsschädlichen Stickstoffdioxids in insgesamt 14 deutschen Städten über 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Für diese Städte und deren Umland gelten auch die neuen Beschlüsse zu Umtauschprämien und den Hardware-Nachrüstungen mit sogenannten SCR-Katalysatoren. Aus Baden-Württemberg betrifft das Stuttgart, Reutlingen, Heilbronn, Backnang und Ludwigsburg – bundesweit kommen noch München, Köln, Düren, Hamburg, Limburg, Düsseldorf, Kiel, Darmstadt und Bochum hinzu.

Außerdem gibt es zusätzliche eine Härtefallregelung für, wie es in dem Regierungspapier heißt, „Städte, in denen ein demnächst aufgestellter, bestandskräftiger Luftreinhalteplan wegen fehlenden rechtlichen Ermessensspielraums Verkehrsbeschränkungen vorsieht“. Diese Passage bezieht sich vor allem auf Frankfurt am Main, wo 2017 im Jahresmittel zwar nur 47 Mikrogramm gemessen wurden, die aber dennoch über dem EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm liegen.

Nach einem weitreichenden Gerichtsurteil könnten deshalb schon bald Fahrverbote Teil eines Luftreinhalteplans sein, den die Stadt derzeit in Kooperation mit dem benachbarten Wiesbaden ausarbeitet. Kurz vor der Landtagswahl Ende Oktober hatte besonders Hessen Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) politischen Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgeübt und damit den neuen Dieselgipfel erst mit herbeigeführt hatte.

Was ist mit Berufspendlern oder Diesel-Besitzern im Umland?

Die Bundesregierung fasst die Definition derer, die ein berechtigtes Interesse daran haben, in die besonders belasteten Städte einzufahren sehr weit. So sollen die Angebote für die Dieselfahrer auch gelten für „Bewohner der angrenzenden Landkreise“. Wegen der hohen Zahl betroffener Städte im Südwesten und der Hinzunahme der Nachbarkreise ergibt sich für Baden-Württemberg allein eine ziemlich hohe Abdeckung, die neben der gesamten Region Stuttgart zum Beispiel auch die an Reutlingen grenzenden Landkreise Tübingen, Zollernalb oder Sigmaringen umfasst, während weiter nördlich etwa die Kreise Karlsruhe oder Neckar-Odenwald an Heilbronn anschließen.

Im Zweifelsfall können aber auch Pendler von noch weiter weg Ansprüche anmelden, wenn sie ein Beschäftigungsverhältnis in der entsprechenden Stadt nachweisen oder als Selbstständige dort ihren Firmensitz haben. Und sollte dann noch jemand im Umfeld ausgelassen sein, verspricht die Regierung auch jenen Fahrzeughaltern Hilfe, „für die es eine Härte bedeuten würde und deren Fahrzeug diesen technischen Anforderungen nicht genügt“. Insgesamt spricht Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von rund „1,4 Millionen Fahrzeugen in diesem Bereich“, die unter die neue Regelung fallen.

Um welche Autos geht es beim Umtausch?

Umgetauscht werden können Diesel der etwas älteren Schadstoffklassen Euro 4 und Euro 5 von deutschen Herstellern. Die Autoindustrie im Land, namentlich BMW, Daimler und Volkswagen haben der Bundesregierung deren eigenen Angaben zufolge zugesagt, ein entsprechendes „Tauschprogramm mit attraktiven Umstiegsprämien oder Rabatten anzubieten“. BMW wird eine Prämie von 6000 Euro anbieten, bei VW soll sie zwischen 4000 und 8000 Euro liegen, bei Daimler bis zu 5000 Euro.

Für Menschen, die sich kein neues Auto leisten können oder wollen, soll auch es auch Prämien beim Erwerb eines saubereren Gebrauchtwagens geben. Außerdem soll es besonders günstige Leasingkonditionen geben. Laut Verkehrsminister Scheuer nehmen die deutschen Hersteller dafür „einen bedeutenden Milliardenbetrag“ in die Hand. Bei den ausländischen Herstellern erwartet Umweltministerin Schulze einen „Dominoeffekt“, wenn die hiesigen Hersteller erst einmal ihre Rabatte anbieten. Tatsächlich hat auch der französische Hersteller Renault gerade ebenfalls ein Umstiegsangebot von bis zu 10000 Euro auf den Tisch gelegt.

Welche Fahrzeuge kommen für eine Nachrüstung in Frage?

Für die Nachrüstung kommen nur Euro5-Diesel in Frage – und dies auch nur, wenn der entsprechende Katalysator mit Harnstoffeinspritzung verfügbar und geeignet ist, den Stickoxidausstoß auf den bei Euro5 derzeit zulässigen Wert von maximal 270 Milligramm pro Kilometer zu reduzieren.

Wer zahlt die Nachrüstungen?

Diese zentrale Frage ist noch nicht abschließend geklärt. Wenn ein betroffener Kunde nicht von der Umtauschoption Gebrauch machen will, „erwartet der Bund vom jeweiligen Automobilhersteller, dass er die Kosten hierfür einschließlich des Einbaus übernimmt“, heißt es zwar im Konzept des Koalitionsgipfels. Die Möglichkeit, die Hersteller rechtlich dazu zu verpflichten sah Verkehrsminister Scheuer jedoch nicht, obwohl er beispielsweise bei den Software-Updates bereits mit Bußgeldern gedroht hat. Der CSU-Politiker will in den nächsten Tagen weitere Gespräche mit der Automobilindustrie führen.

Bisher jedoch hat einzig VW zugesagt, Nachrüstung anzubieten und zu bezahlen – und dies auch nur zu 80 Prozent. BMW will nach Auskunft von Scheuer keine Nachrüstungen anbieten, und auch von Daimler gibt es bisher kein konkretes Angebot. „Daimler und BMW wollen sich prioritär auf das Tauschen konzentrieren“, räumte Minister Scheuer in Bezug auf den bisherigen Verhandlungsstand ein. Zusammen mit Schulze appellierte er daher am Dienstag in Berlin an die Industrie, mit weiteren Zusagen ihrer Verantwortung gerecht zu werden. „Unsere Vorstellung ist, dass die Nachrüstungen von der Industrie getragen werden“, sagte die Umweltministerin.

Wofür fließt Steuergeld?

Es gibt zwei Ausnahmen, für die die Bundesregierung von ihrem Grundsatz abweicht, dass die Industrie die Kosten für Hardware-Nachrüstungen übernehmen soll: So will Finanzminister Olaf Scholz (SPD) 80 Prozent der Kosten übernehmen, wenn die 65 Kommunen, in denen der EU-Grenzwert gerissen wird, ihre schweren kommunalen Nutzfahrzeuge wie Müllwagen oder Kehrmaschinen mit einem Katalysator ausstatten wollen. Die Förderung soll noch in diesem Jahr für 2019 beantragt werden können und insgesamt etwa 28000 Fahrzeuge sauberer machen. Ein vergleichbares staatliches Förderprogramm wird nun auch Handwerker- und Lieferfahrzeuge aufgelegt.

Wovon profitieren Handwerker und Lieferbetriebe?

Ein neues Förderprogramm soll dafür sorgen, dass deutlich weniger schmutzige Kleintransporter von Handwerkern und Lieferanten in die 65 Städte einfahren mit NO2-Werten von 40 und mehr Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. An der Nachrüstung dieser Fahrzeuge zwischen 2,8 und 7,5 Tonnen will sich der Bund ebenfalls mit 80 Prozent beteiligen, wer die übrigen 20 Prozent bezahlen soll, steht noch nicht fest. „Die Bundesregierung wird mit den Automobilherstellern über die Kostentragung für den Restanteil verhandeln“, heißt es in dem Koalitionspapier.

Wie wird die Einfahrt in Innenstädte mit Fahrverboten für bestimmte Autos kontrolliert?

Die sogenannte Blaue Plakette, mit zum Beispiel auch nach dem Wunsch der bade-württembergischen Landesregierung ausreichend saubere Autos gekennzeichnet werden sollten, ist vom Tisch. Stattdessen will die Bundesregierung auf dem rechtlichen Wege „sicherstellen, dass die Verkehrsüberwachungsbehörden auf die Daten des Zentralen Fahrzeugregisters zugreifen können“, wie es in dem Papier heißt. Sie sollen dadurch „fahrzeugindividuell die Einhaltung der Verkehrsbeschränkungen überprüfen“ können. Eine besondere Kennzeichnung wie die Blaue Plakette sei deshalb „nicht erforderlich“.